LeitartikelBank of England

Zentralbank unter Druck

Unabhängigkeit der Notenbank hin oder her: Die britischen Konservativen wollen für ihren Wahlkampf sinkende Zinsen.

Zentralbank unter Druck

Zentralbank unter Druck

Von Andreas Hippin

Jeremy Hunt wünscht sich niedrigere Zinsen für den Wahlkampf. In der City will man vor allem eines: keine Überraschungen.

Vermutlich wäre die große Mehrheit der Briten entsetzt, wenn sie wüsste, auf welcher Grundlage Leitzinsentscheidungen getroffen werden. Der frühere US-Notenbankchef Ben Bernanke hat in einer unabhängigen Untersuchung wesentliche Mängel im ökonomischen Modell ausgemacht, das den Prognosen der Bank of England zugrunde liegt. Ob daraus irgendwelche Konsequenzen gezogen werden, steht in den Sternen. Für die am Donnerstag anstehende Leitzinsentscheidung dürften noch die bisherigen Projektionen ausschlaggebend sein.

Hunt dringt auf Zinssenkung

Schatzkanzler Jeremy Hunt drängt die Geldpolitiker der Notenbank, den Leitzins schnell zu senken. Das lässt sich nicht so einfach ignorieren, auch wenn die Bank of England einst von Gordon Brown in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Den regierenden Konservativen geht es darum, im herannahenden Wahlkampf sagen zu können, dass das Land unter ihrer Führung die Kurve gekriegt hat. Bis Ende Januar 2024 müssen Unterhauswahlen abgehalten werden. Angeblich soll es im November so weit sein. Bis dahin braucht Hunt möglichst viele gute Nachrichten aus der Wirtschaft.

Weg aus der Rezession

Im zweiten Halbjahr 2023 befand sich Großbritannien in einer technischen Rezession. Nun wird jeder Millimeter über der Nulllinie als Erholung gefeiert, auch wenn nach gut zwei Jahren Stagnation ein monatliches Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um ein oder zwei Zehntelprozent alles andere als berauschend ist. Wenn nicht alle Stricke reißen, reicht es zu etwas Wachstum im Auftaktquartal.  

Entlastung für Eigenheimbesitzer

Eine Zinssenkung wäre nicht nur gut für die Stimmung. Sie würde vor allem Eigenheimbesitzer entlasten, die ihre Hypotheken refinanzieren müssen. Viele, die ihren ablaufenden Kredit noch in der Nullzinsphase aufgenommen haben, müssen mit sehr viel höheren Monatsraten rechnen. Wäre es weniger, könnte das den Tories vielleicht ein paar Stimmen bringen.

Irrtümer der Vergangenheit

Da ist es kein Wunder, dass aus den Reihen der Konservativen daran erinnert wird, dass die Bank of England lange an der Fiktion festhielt, bei dem nach der Pandemie einsetzenden Preisauftrieb handele es sich um ein vorübergehendes Phänomen. Sie habe die Zügel zu spät angezogen und nun fehle ihr der Mut, sie rechtzeitig zu lockern. Die Unabhängigkeit der Notenbank wird zwar nicht mehr offen zur Disposition gestellt. Man macht ihr aber durchaus Druck.

Keine Mehrheit für Zinsschritt erkennbar

Es steht allerdings nicht zu erwarten, dass sich im neunköpfigen geldpolitischen Komitee eine Mehrheit für einen Zinsschritt nach unten finden wird. Am wahrscheinlichsten ist, dass sich weiterhin nur ein externes Mitglied, Swati Dhingra, für eine Senkung um 25 Basispunkte auf dann 5,0% aussprechen wird. Erst wenn sich ihr ein Mitglied der Führungsspitze der Bank of England anschließt, ist mit einem Umschwung zu rechnen.

Unterschiedliche Meinungen

Es gibt bereits unterschiedliche Meinungen im inneren Zirkel. Der stellvertretende Gouverneur Dave Ramsden hatte zuletzt Hinweise darauf ausgemacht, dass das Risiko eines Fortbestehens des heimischen Inflationsdrucks nachlässt. Chefvolkswirt Huw Pill konnte dagegen in den Daten der vergangenen Wochen keine Veränderung der Lage erkennen. Die anderen drei Insider im Komitee dürften Ramsden näher stehen als Pill.

Überraschungen unerwünscht

Vermutlich wird sich im Protokoll der Sitzung, formuliert im üblichen Notenbankerkauderwelsch, der eine oder andere Hinweis auf eine baldige Lockerung der restriktiven Geldpolitik finden. Mit mehr sollte man nicht rechnen. Am Markt wird eine erste Senkung frühestens im Juni erwartet. Überraschungen, egal in welche Richtung, würden bei den Anlegern äußerst schlecht ankommen.

Mehr Diversität im Denken verlangt

Gouverneur Andrew Baileys Vorgänger Mark Carney hatte den Markt öfter in die Irre geschickt als der Amtsinhaber. Der Wirtschaftsausschuss des Oberhauses hat klarere Kommunikation und mehr Diversität im Denken angemahnt. Die Unabhängigkeit der Notenbank will man dort allerdings nicht antasten. Die Tories dürften ins Leere laufen.

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