Chinas Tech-Branche

Miss­glückter Dressurakt

China hat die heimische Tech-Branche zum Tanzbären der Parteiideologie gemacht. Der heimischen Wirtschaft wird damit ein Bärendienst erwiesen.

Miss­glückter Dressurakt

Fast zwei Jahre ist es her, dass Chinas Parteiführung ein neues Konzept in Umlauf brachte, das den wohlklingenden Namen „Gongtong Fuyu“ (gemeinsamer Wohlstand) trägt. Es sollte der „sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung in der neuen Ära“ eine besonders edle, weil dem breiten Volk zugewandte wirtschaftspolitische Note verleihen. Daran knüpft sich die Vorstellung, den Wildwest-Kapitalismus auf chinesischem Boden zu bekämpfen, gepaart mit einer nie näher erläuterten Umverteilungspolitik. Peking argumentiert damit, negative Effekte einer „ungeordneten Kapitalexpansion“ einzudämmen. Das bedeutet konkret, dass die Privatwirtschaft im Allgemeinen, und die Tech-Branche als ihr erfolgreichstes Aushängeschild im Besonderen, durch gezielte Regulierungsschritte und verstärkte Überwachung soziale Verantwortung lernen und zur Stärkung des Gemeinwohls beitragen sollen. All das unter Anleitung der Kommunistischen Partei.

Überall auf der Welt grollen Verbraucher und Wirtschaftskritiker darüber, wie führende Tech-Konzerne auf Spielwiesen wie Online-Handel, Social Media, Unterhaltung, Finanztechnologie und einigen mehr ein latentes Regulierungsvakuum und embryonale Datenschutzregeln für die Entfaltung ihrer verführerischen Algorithmenpower ausnutzen. Zumal sich die Konzerne auch in arbeitsrechtlicher Hinsicht oft wenig um Konventionen oder um die Konsequenzen aus Regelverletzungen scheren. Vor diesem Hintergrund hat es das breite Publikum zunächst einmal nicht gestört, dass der Staat den Tech-Titanen des Landes zu Leibe gerückt ist. Vielmehr war eine gewisse Schadenfreude darüber zu spüren, wie Peking den Branchenriesen von Alibaba, Ant Group, Baidu, Didi, JD.com und Meituan bis hin zum Alleskönner Tencent das Leben und Wachstumsstreben plötzlich schwerer machte. Manch einer mag auch goutiert haben, wie die Regierung Gründermilliardäre und Topmanager vom hohen Ross herunterholte und dazu noch den erfolgsverwöhnten Tech-Investoren einen Schreck fürs Leben einjagte.

Selbst im Ausland, wo man den Kontroll- und Überwachungsmethoden des chinesischen Staates und der Aura von unfehlbaren Parteilenkungsmechanismen aus guten Gründen sehr reserviert gegenübersteht, waren genügend Stimmen zu vernehmen, die Pekings allgewal­tiger Regulierungsoffensive im Tech-Sektor etwas abgewinnen konnten. Der reizvolle Kontrast zur Ohnmacht und Kapitulationshaltung von Regulatoren und Politikern gegenüber der Marktmacht und Gigantomanie der US-Branchenführer galt als Inspirationsquelle für mögliche künftige Regulierungsschritte.

Mittlerweile aber dürfte sich niemand mehr finden lassen, der dem chinesischen Dressurakt für eine wild gewordene Tech-Branche noch irgendeinen Charme oder gar eine höhere ökonomische Vernunft abgewinnt. Aus der Eindämmung der ungeordneten Kapitalexpansion ist eine beispiellose Kapitalvernichtung geworden. Abzulesen nicht nur an dramatisch ge­schrumpften Börsenmarktwerten, sondern auch an verkümmerten Wachstumsperspektiven, zu­rückhaltenden Investitionen und einem vergifteten Konsumklima. Hinzu kommen negative Beschäftigungseffekte, weil zahlreiche chinesische Tech-Firmen zum ersten Mal überhaupt mehr Arbeitsplätze abbauen, als sie neue schaffen. Dieses Ergebnis der Regulierungskampagne trifft die chinesische Regierung nun als Bumerang – mitten in einer Zeit, in der die eigensinnigen Versuche, das Coronavirus durch harte Lockdown-Maßnahmen zu bändigen, die heimische Konjunktur lahmlegen und millionenfach Arbeitsplätze gefährden.

Natürlich weiß Peking, dass vieles schiefgelaufen ist. Aber Fehlereingeständnisse gehören nun einmal nicht zum Repertoire der Partei. Das färbt auch auf die Finanzmarkt-Kommunikation ab. Man versucht mittlerweile Absturzphasen chinesischer Tech-Aktien mit kryptischen Hinweisen zur „gesunden Entwicklung der Plattformökonomie“ zu kontern. Das soll Marktteilnehmern die Hoffnung geben, dass der Vendetta-Charakter der Tech-Regulierungskampagne an Schärfe verliert – und sie als „Dip Buyer“ ruhig wieder einsteigen können. Gleichzeitig wird aber auch den führenden Köpfen und Konzernlenkern in der heimischen Tech-Branche unmissverständlich klargemacht, dass der Staat unter gesunder Entwicklung etwas völlig anderes versteht, als sie es einst getan haben. Es wird also keine Rückkehr zu gewohnten unternehmerischen Freiheiten und damit auch nicht zu gewohnten Wachstumschancen geben.

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