Regulierung

Nachhaltig­keitsziele durchdringen Assekuranz

Für Erst- und Rückversicherer rückt das Thema Nachhaltigkeit immer stärker in den Fokus ihrer Aktivitäten. Das gilt für praktisch alle Bereiche ihrer Tätigkeit, von der Produktentwicklung über die Schadensbearbeitung bis zum Vertrieb und zur...

Nachhaltig­keitsziele durchdringen Assekuranz

Von Thomas List, Frankfurt

Für Erst- und Rückversicherer rückt das Thema Nachhaltigkeit immer stärker in den Fokus ihrer Aktivitäten. Das gilt für praktisch alle Bereiche ihrer Tätigkeit, von der Produktentwicklung über die Schadensbearbeitung bis zum Vertrieb und zur Kapitalanlage.

Die EU-Kommission hat bereits 2018 angesichts des Klimawandels einen Aktionsplan zur „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ verabschiedet (s. Textkasten). Die darin erwähnte Taxonomie gilt als dessen Kernstück. Die entsprechende Verordnung (EU) 2020/852 wurde im Juni 2020 verabschiedet und soll ab 1. Januar 2022 angewendet werden.

„Nur“ Lenkungsfunktion

Die Taxonomie nennt die Kriterien für eine ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeit, ohne diese allerdings vorschreiben zu wollen. Vielmehr wird eine Lenkungswirkung durch die Offenlegungsvorschriften im Rahmen der Transparenz-Verordnung angestrebt. Unternehmen, die nach der Corporate-Social-Responsibility-Regulation-Richtlinie sogenannte nichtfinanzielle Berichte erstellen müssen – dazu gehören grundsätzlich Versicherungsunternehmen –, haben in diesen Berichten zu erläutern, welchen ökologisch nachhaltigen Aktivitäten sie nachgehen und wie umfangreich diese sind. Darunter fallen neben Vermögenswerten auch die Versicherungsaktivitäten. So reklamiert die Allianz in ihrem kürzlich veröffentlichten, 20. Nachhaltigkeitsbericht für sich, zahlreiche Versicherungslösungen mit ökologischem und sozialem Nutzen, aber auch nachhaltige Finanzprodukte anzubieten.

Ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten müssen laut Taxonomie-Verordnung einen wesentlichen Beitrag zu Klimaschutz, zur Anpassung an den Klimawandel und zu weiteren Umweltzielen leisten. Was das genau heißt, steht in den technischen Erläuterungen. Diese hat die EU-Kommission für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel in Entwurfsform bereits vorgelegt. Der entsprechende delegierte Rechtsakt soll im Laufe des Jahres verabschiedet werden und ab 2022 gelten.

In einer Kundenveranstaltung zur ESG-Regulierung und ihrer Bedeutung für die Versicherungswirtschaft der Rechtsanwaltskanzlei Taylor Wessing konstatierte Yannick Eckervogt ein Spannungsverhältnis zwischen der Transparenz-Verordnung, die ja bereits teilweise angewendet werden müsse, und der Taxonomie-Verordnung, die sich erst in der Entwicklung befinde. Das führe zu einer gewissen Rechtsunsicherheit.

Die technischen Bewertungskriterien für den Klimaschutz gelten für die Assekuranz nur über Offenlegungspflichten in den Nachhaltigkeitsberichten (Art. 8 Taxonomie-Verordnung). Dabei geht es um den Umfang der nachhaltigen Investitionen im Verhältnis zu den Gesamtinvestments. Gemeint ist hier insbesondere die „grüne“ Energieerzeugung und -speicherung, aber auch der dazu erforderliche Netzausbau. So verweist die Allianz in ihrem 20. Nachhaltigkeitsbericht auf Investitionen von 6,8 Mrd. Euro in 116 Wind- und Solarparks.

Konkret genannt wird die Versicherungswirtschaft bei den technischen Bewertungskriterien für das Umweltziel „Anpassung an den Klimawandel“. Hier geht es um diverse Schadenversicherungen wie Feuer, Reise, Kfz und Transport, soweit sie Absicherungen gegen klimabedingte Gefahren wie Hitzewellen und Überschwemmungen bieten.

Nachhaltig im Sinne des Ziels „Anpassung an den Klimawandel“ sind Aktivitäten der Versicherer aber nur dann, wenn Klimarisiken mit modernsten Techniken modelliert werden und Anreize zur Risikominderung gegeben werden. Das könnten zum Beispiel ein verbesserter Versicherungsschutz oder geringere Prämien für E-Autos sein. Für Taylor Wessing Senior Associate Eckervogt zeigt sich hier die tiefgreifende Lenkungswirkung der Taxonomie-Verordnung. Denn schon bei der Produktentwicklung werde eine „Prüfschleife“ in Sachen Nachhaltigkeit erforderlich.

Schließlich ist für die Anerkennung nachhaltiger Aktivitäten im Rahmen des Umweltziels „Anpassung an den Klimawandel“ auch noch erforderlich, dass andere Umweltziele nicht erheblich beeinträchtigt werden. Versichert werden dürfen damit nicht die Gewinnung und Lagerung, der Transport und die Herstellung fossiler Brennstoffe oder die Nutzung von Fahrzeugen, Immobilien oder anderen Vermögenswerten für diese Zwecke. Eine Bahnstrecke, die hauptsächlich dem Transport von Kohle dient, dürfte damit nicht mehr versicherbar sein, will sich ein Unternehmen als nachhaltig wirtschaftend im Sinne der Taxonomie-Verordnung qualifiziert.

Die Versicherer sind sich dieser Problematik bewusst. Ob sie daraus ausreichende Konsequenzen ziehen, ist eine andere Frage. So verkündete die Allianz Anfang Mai eine Verschärfung ihrer Vorgaben für die Zusammenarbeit mit Kohle-Unternehmen. Beim Überschreiten be­stimmter Grenzwerte will die Allianz ab Anfang 2023 mit ihnen keine Schaden- und Unfallversicherungen sowie Finanzierungen mehr ab­schließen. Erstmals wird dabei auch Infrastruktur wie Kohlehäfen eingeschlossen – immerhin schon ab 1. Juli 2021. Aufgrund eines zu hohen Anteils am Kohlegeschäft soll Axa seine Verbindung mit RWE kappen.

Rechtsakt kommt bald

In Kürze will die EU-Kommission den delegierten Rechtsakt zum Umfang der Berichtspflicht verkünden. Dazu gibt es seit 1. März einen Vorschlag der europäischen Versicherungsaufsicht EIOPA. Kern sind zwei „Key Performance Indicators“ (KPI): die gebuchten Nichtleben-Bruttoprämien, die sich auf nachhaltige Aktivitäten beziehen, und der Umfang der Investitionen in diese Aktivitäten, bezogen auf die Gesamtinvestitionen. Hier steckt der Teufel im Detail. Denn die einzelnen Aktivitäten müssen zur Nachprüfung der Aufsicht regelmäßig in standardisierter Form geliefert werden. Welcher Detaillierungsgrad dabei erforderlich ist und ob die Daten überhaupt im gewünschten Detaillierungsgrad vorliegen, ist umstritten. Ein Zuviel an Informationen kann zulasten der Transparenz gehen.