EZB

Raus aus dem Krisenmodus

Der EZB-Rat sollte jetzt das Kauftempo bei PEPP reduzieren. Und er muss perspektivisch einen Plan entwickeln für den Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik.

Raus aus dem Krisenmodus

Tut er’s oder tut er’s nicht? Vor der morgigen Sitzung des EZB-Rats sind die Experten gespalten in der Frage, ob der Rat das seit März erhöhte Kauftempo beim Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP ab dem vierten Quartal wieder drosselt oder nicht. Grund sind widersprüchliche Signale aus der Euro-Wirtschaft, aber auch gegensätzliche Wortmeldungen der EZB-Granden. Tatsächlich ist die Zeit aber reif, den Fuß etwas vom geldpolitischen Gaspedal zu nehmen. Zumal die Europäische Zentralbank (EZB) damit immer noch mei­lenweit davon entfernt wäre, auf die Bremse zu treten.

Die Verfechter einer eher lockeren Geldpolitik im EZB-Rat, die „Tauben“, argumentieren vor allem, dass trotz wirtschaftlicher Erholung die Unsicherheit wegen der Pandemie noch immer groß sei – Stichwort: Delta-Variante. Und dass der starke Inflationsanstieg nur temporär sei – Stichworte: Basis- und Sondereffekte. Beides ist keineswegs falsch. Genauso zutreffend ist aber, dass sich die Euro-Wirtschaft sogar stärker erholt hat als erwartet und die berechtigte Hoffnung besteht, dass auch Delta dem Aufschwung nicht den Garaus macht. Und dass der Inflationsanstieg in seiner Vehemenz fast alle überrascht hat und niemand das Risiko einer zu hohen Inflation leichtfertig abtun sollte. Unter dem Strich spricht das dafür, das PEPP-Tempo jetzt wieder zu drosseln, wie es nicht mehr nur die „Falken“ im Rat befürworten. Ein „Einfach weiter so“ ist schlicht nicht mehr angemessen.

Man muss dabei auch die Kirche im Dorf las­sen. Mit einer Drosselung der monatlichen PEPP-Käufe von aktuell rund 80 Mrd. Euro auf 60 Mrd. Euro wie zu Jahresbeginn oder ei­nen Wert dazwischen würde die EZB den Expansionsgrad ihrer Geldpolitik allenfalls marginal revidieren. Die Geldpolitik bliebe beispiellos expansiv. Umso irrsinniger ist es auch zu erklären, die EZB könne jetzt kei­ne Drosselung des PEPP-Kauftempos be­schließen, weil sie damit sogar noch dem avisierten Tapering der US-Notenbank zuvorkäme. Beim Tapering der Fed geht es darum, die Anleihekäufe von derzeit 120 Mrd. Dollar pro Monat auf null herunterzufahren. Bei der EZB geht es jetzt um eine minimale Reduktion. Selbst ein komplettes Auslaufen von PEPP wäre letztlich noch kein Tapering. Beim parallelen Anleihekaufprogramm APP ist ja kein Ende in Sicht.

Die Diskussion über die Zukunft von PEPP per se wird der EZB-Rat wohl eher auf den Herbst und Winter vertagen. Das widerspricht zwar dem früheren Diktum, wichtige Weichen mit einigem zeitlichen Vorlauf zu stellen – aktuell endet PEPP schließlich Ende März 2022. Dennoch ist diese Vorsicht verständlich. Bis Dezember sollte mehr Klarheit herrschen über die Entwicklung der Pandemie und über etwaige Folgen des Fed-Tapering. Der EZB-Rat darf dann aber jetzt auch keine Vorentscheidungen treffen: Bei einem unveränderten PEPP-Kauftempo im vierten Quartal etwa erschiene es zumindest schwierig, das Pro­gramm­ dann binnen nur drei Monaten auslaufen zu lassen. Und der Rat sollte diese ­Diskussion auch nicht immer weiter vertagen: Die akute, schockhafte Coronakrise scheint vorüber. Dann muss aber auch die EZB den absoluten Krisenmodus hinter sich lassen und PEPP beenden.

Falls nötig, kann der EZB-Rat­ bei einem Auslaufen von PEPP im März 2022 zeitgleich das APP-Kaufvolumen von aktuell 20 Mrd. Euro pro Monat aufstocken. Allerdings gilt es auch da, nicht zu überziehen – weder bei der Höhe der Aufstockung noch bei der diskutierten Übertragung der großen Flexibilität von PEPP auf das APP. Diese Flexibilität beim Kauf von Anleihen (QE) mag in der Krise nötig gewesen sein. In normalen Zeiten gelten aber andere Maßstäbe; sonst droht schnell Willkür. Perspektivisch muss es zudem das Ziel der EZB sein, aus den Anleihekäufen auszusteigen. Ein QE ad infinitum birgt nicht nur erhebliche Risiken etwa für die Finanzstabilität und gravierende Fehlanreize für Europas Staatsfinanzen. Es ließe sich auch nur schwer in Einklang bringen mit der marktwirtschaftlichen Ordnung.

Natürlich hat die EZB Sorge oder gar Angst, den Exit aus der ultralockeren Geldpolitik oder schon den Einstieg in den Ausstieg zu früh an­zugehen. Gerne wird da auf vermeintliche Fehl­entscheidungen in der Vergangenheit re­kurriert, insbesondere auf die Zinserhöhungen 2008 und 2011, die alsbald zurückgedreht werden mussten. Aber solche Vergleiche hinken oft. Vor allem aber gibt es Gegenbeispiele: So hat auch die lockere Geldpolitik vor der Weltfinanzkrise eine Rolle gespielt beim Aufbau der Unwuchten im Finanzsystem. Es birgt eben nicht nur ein zu früher Ausstieg Risiken. Auch ein zu später Exit stellt eine immense Gefahr dar.

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