Sachsens Tech-Szene krempelt die Ärmel hoch
Sachsens Tech-Szene krempelt die Ärmel hoch
Die sächsischen Start-up-Hotspots Dresden, Leipzig und Chemnitz stehen derzeit unter Volldampf. In keinem anderen Bundesland sind die Gründungsaktivitäten zuletzt so deutlich gestiegen wie in dem Freistaat. Der Zugang zu Wachstumskapital und die Gewinnung von Mitarbeitenden gestalten sich für die Jungfirmen allerdings oft noch schwierig.
Von Karolin Rothbart, Frankfurt
Der Südwesten gilt gemeinhin als Keimzelle des deutschen Erfindergeistes. Wer morgens mit dem Auto zur Arbeit fährt, unterwegs eine Brezel verspeist und im Büro die Ablage via Leitz-Ordner erledigt, kann diese Tätigkeiten nur dank des Einfallsreichtums schwäbischer Tüftler verrichten.
Nun ist es aber nicht so, dass unser Alltag nicht auch zu einem großen Teil durch ostdeutsche Innovationsfähigkeit bestimmt wird. Kommt der Kaffee als Begleitung zur Brezel aus der guten alten Filtermaschine, dann hatte hier die Dresdner Erfinderin Melitta Benz ihre Finger im Spiel. Wer dem Kaffee-Atem vorbeugen will, nutzt Zahnpasta und Mundwasser, die ebenfalls in Sachsen entwickelt wurden. Auch die Spiegelreflexkamera und selbst Publikationen wie diese Zeitung haben ihren Ursprung im Freistaat: Die erste Tageszeitung der Welt wurde 1650 in Leipzig herausgegeben.
Der sächsische Forschungsdrang hat sich bis in die Gegenwart fortgesetzt – und das Bundesland zu einem der bedeutendsten deutschen Technologiestandorte überhaupt werden lassen. Mit seinen zehn Fraunhofer-Instituten, -Einrichtungen und Institutsteilen gilt Dresden als Fraunhofer-Hauptstadt. Insgesamt zählt der Freistaat fast 70 außeruniversitäre Forschungsinstitute und 22 Hochschulen – mit der Technischen Universität Dresden trägt eine sogar das Prädikat „Exzellenz-Universität“.
Die Region hat sich vor allem im Bereich der Mikroelektronik einen Namen gemacht. Jeder dritte in Europa produzierte Chip stammt heute aus dem „Silicon Saxony“, die Branche beschäftigte zuletzt rund 70.000 Mitarbeitende. Um von dem vorhandenen Know-how und Netzwerkeffekten zu profitieren, haben sich zahlreiche internationale Player wie Globalfoundries, Infineon und Bosch mit eigenen Fabriken in Dresden angesiedelt. Demnächst will sich mit TSMC sogar der größte Halbleiterhersteller der Welt hinzugesellen.
Systematische Förderung
Das Problem an der Sache: Die Dickschiffe kommen allesamt von außerhalb – ein Zustand, an dem das Land für die Zukunft freilich etwas zu ändern gedenkt. Dafür nimmt es auch seine Gründerszene in den Blick, die sich im vergangenen Jahr laut Zahlen vom Startup-Verband als besonders aktiv erwiesen hat. Mit 91 neu gegründeten Start-ups kam es demnach in keinem anderen Bundesland zu einem so deutlichen Anstieg gegenüber dem Vorjahr wie in Sachsen. Bei den Pro-Kopf-Gründungen rückte der Freistaat somit im Ranking der Bundesländer vom 11. auf den 8. Platz vor.
Für Sören Schuster, den Leiter des TGFS Technologiegründerfonds Sachsen, eines aus öffentlicher und privater Hand finanzierten Eigenkapitalinvestors für techorientierte sächsische Start-ups, kommt das nicht überraschend. „Dass die Zahl der Unternehmensgründungen im VC-relevanten Bereich so deutlich gestiegen ist, ist das Ergebnis kontinuierlicher, langfristiger Arbeit des Ökosystems“, sagt er. „Seit dem Ende der 1990er Jahre werden Gründer und Gründerinnen in Sachsen systematisch motiviert, unternehmerisch geschult und auch mit Infrastruktur unterstützt.“
Tatsächlich ist das Angebot zur Unterstützung angehender sächsischer Unternehmer und Unternehmerinnen riesig. Angefangen bei der Förderung von Gründungsberatungen über Zuschüsse und Stipendien zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie Unterstützung bei der Markteinführung innovativer Produkte bis hin zu Beteiligungen, Bürgschaften, Investitionsförderungen und Hilfen bei der Vernetzung mit privaten Kapitalgebern bietet der Freistaat vielfältigste Anschubhilfe zur Stärkung des Ökosystems. Das dahinterliegende Ziel ist ehrgeizig: Bis 2030 will Sachsen gemäß seiner Innovationsstrategie das „Aushängeschild“ in puncto Wissens- und Technologietransfer und „Musterland“ der innovationsgestützten Regionalentwicklung und der industriellen Transformation werden.
Kostspielige Technologien
Eine gewisse Zahl von Shootingstars hat das Land mit dem Ansatz schon hervorgebracht – und das in ganz unterschiedlichen Brachen. Da wäre etwa das Chemnitzer Software-Start-up Staffbase, das vor zwei Jahren als bislang einziger Vertreter der neuen Bundesländer offiziell zum Einhorn aufgestiegen war, von Investoren also mit mehr als 1 Mrd. Euro bewertet wurde. Das Unternehmen betreibt eine digitale Plattform für Mitarbeiterkommunikation und beschäftigt derzeit weltweit rund 760 Mitarbeitende.
Da wäre auch das Dresdner Wasserstoff-Start-up Sunfire, das mit seinen Elektrolyseuren für die Industrie erst vor kurzem in einer Series-E-Finanzierung 215 Mill. Euro Wagniskapital und damit auf einen Schlag mehr als die gesamte sächsische Start-up-Szene im Vorjahr eingesammelt hat. Und da wäre das Roboter-Start-up Wandelbots, ebenfalls aus Dresden, das noch vor zwei Jahren 84 Mill. Dollar einwerben konnte. Bei letztgenannter Firma mussten zuletzt allerdings rund 30% der Mitarbeitenden gehen. Das Start-up konzentriert sich jetzt ausschließlich auf den Software-Bereich, der weniger finanzielle Ressourcen bindet.
Die kapitalintensive und oft langwierige Entwicklung von Hardware-lastigen Technologien ist ein Grund, warum sich Start-ups aus Sachsen bei der Gründung und Finanzierung teils noch schwertun. Im Halbleiterbereich braucht es beispielsweise teure Infrastruktur wie Laboratorien, Maschinen oder Reinräume – Dinge, die sich nicht mal eben für ein paar Tausend Euro bei Amazon bestellen lassen. „Allein das macht es vielen Leuten schwer, ein Unternehmen aus ihrer Hochschule heraus zu gründen“, sagt Schuster.
Sören Schuster, TGFSDurch das Aufkommen von Remote-Arbeit ist es zu einer massiven Kostensteigerung bei in Sachsen ansässigen IT-Fachkräften gekommen.
Laut dem TGFS-Geschäftsführer hat sich die ohnehin schon schwierige Kostenfrage in den vergangenen Jahren aber nochmal durch einen anderen Trend verschärft: „Durch das Aufkommen von Remote-Arbeit ist es zu einer massiven Kostensteigerung bei in Sachsen ansässigen IT-Fachkräften gekommen – einfach, weil diese heute auch bei finanzkräftigen Unternehmen aus anderen Teilen Deutschlands anheuern können.“ Die Gehälter, beispielsweise für Programmierer, hätten sich dadurch in den vergangenen acht Jahren verdoppelt. „Das ist schon erheblich“, so Schuster.
Betonung auf Weltoffenheit
Dass in der Region nach wie vor vergleichsweise wenig private Wagniskapitalgeber angesiedelt sind, macht die Sache nicht leichter. Dass die in dem Bundesland als gesichert rechtsextremistisch eingestufte AfD bei den anstehenden Landtagswahlen stärkste Kraft werden und die Gewinnung ausländischer Fachkräfte nochmals erschweren könnte, auch nicht. Schon im Jahr 2022 hatte der Startup-Verband den Anteil an internationalen Mitarbeitenden im sächsischen Ökosystem als „auffällig niedrig“ bezeichnet. Er belief sich damals auf 13% – in Berlin waren es 41%.
In einer jüngsten Umfrage des Verbands bewerteten denn auch nur 36% der teilnehmenden Gründer die Anziehungskraft des Standorts Sachsen für Talente als positiv. Als noch schwieriger wurde lediglich der Zugang zu Kapital bewertet. Die beste Bewertung erhielt das Ökosystem hingegen für seine Nähe zu Universitäten – ein Aspekt, auf den auch internationale Geldgeber großen Wert legen. In dem Punkt sowie in der Gesamtbetrachtung aller Aspekte schnitt Sachsen sogar besser ab als Deutschland als Ganzes.
Politisch gibt man sich im Freistaat jedenfalls optimistisch: Im Jahr 2030 will das Land nicht einfach nur Aushängeschild für Wissenstransfer sein. Nein, Sachsen soll – so heißt es ebenfalls in der Innovationsstrategie – „ein Synonym für ein hervorragendes Bildungsniveau, Weltoffenheit und Toleranz“ sein.