IT-Industrie

Softwareland abgebrannt?

Die Highflyer Suse und Teamviewer sind ab­gestürzt, die Auto­industrie setzt auf ausländisches Know-how. Wie mies steht es um die deutsche IT-Kompetenz­?

Softwareland abgebrannt?

Die erwartete Rezession und die explodierenden Energiepreise drohen zahlreiche Industrieunternehmen bis an die Grenze der Belastbarkeit zu strapazieren. Wie wichtig es dabei ist, den industriellen Kern Deutschlands zu bewahren, lässt sich nicht allein mit Blick auf den hohen Anteil des produzierenden Gewerbes an der Wertschöpfung ablesen. Auch der Blick auf eine andere, in der Wertschöpfung immer wichtigere Branche – die IT-Industrie – zeigt, warum Deutschland die führende Position in der Herstellung industrieller Güter dringend verteidigen sollte. Denn der Vorsprung, den hiesige Hardware gegenüber internationalen Wettbewerbern aufweist, ist in der Software ein gewaltiger Rückstand.

Die trostlose Lage spiegelt sich an der Börse. Hinter dem Dax-Konzern SAP, der aktuell unter dem Kursniveau von 2017 notiert, kommt meilenweit nichts. Dabei hatten zwei Börsenneulinge mit dem Linux-Softwareanbieter Suse und dem Remote-Work-Spezialisten Teamviewer in der jüngeren Vergangenheit zunächst die Hoffnung genährt, dass weitere Softwareschwergewichte entstehen könnten. Die ähnlich große Darmstädter Software AG  hatte die Investoren über die vergangenen Dekaden immer wieder enttäuscht. Doch mittlerweile ist Teamviewer, die zeitweise mehr als doppelt so hoch bewertet war, sogar hinter die Software AG zurückgefallen. Während die Kosten dauerhaft über üppige Sponsorenverträge getrieben wurden, erlebte das Erlöswachstum pandemiebedingt nur einen kurzen Höhenflug. Auch Suse notiert nach frühen Kurs­erfolgen mittlerweile weit unter dem Ausgabepreis. Auch hier wurde zu viel versprochen und zu wenig gehalten. Selbst wenn sich für beide Firmen die Auftragslage wieder bessert, zeichnet sich ab, dass auf der bestehenden technologischen Basis kein zweites SAP entstehen kann – also ein Softwareanbieter, an dessen Angebot weite Teile der Unternehmenswelt nicht vorbeikommen.

Ein Problem der mangelnden IT-Kompetenz im Land zeigt dies indes nicht an. Die großen US-Technologiekonzerne setzen weiterhin auf den Standort Deutschland – gerade wegen der gut ausgebildeten Fachkräfte. So hat Apple-CEO Tim Cook erst diese Woche in München angekündigt, den Standort als Zentrum für Hardware- und Softwareentwicklung weiter ausbauen zu wollen. Für den iPhone-Hersteller ist die bayrische Landeshauptstadt bereits heute der größte Entwicklungsstandort in Europa.

An einem Mangel an fähigen IT-Kräften kann es also nicht liegen, wenn große deutsche Softwarefirmen an der Börse nur spärlich bleiben. Woran es mangelt, ist die Fähigkeit, diese Kompetenz in Innovationen auf die Straße zu bringen. Und nirgends wird dies offensichtlicher als in der Autoindustrie, der Branche, in der Hardware „Made in Germany“ international noch immer den besten Ruf genießt, wie der Porsche-Börsengang eindrucksvoll demonstrieren konnte. Allerdings muss ein Auto heute auch Softwareintelligenz mitbringen. Und da müssen die hiesigen Hersteller, die zunächst viel selbst machen wollten, dann Kooperationen untereinander getestet haben, nun immer mehr Schlüsselkompetenzen ausländischer Anbieter nutzen. Jüngstes Beispiel ist der Ausbau der Kooperation von Amazons Tochter AWS und BMW. Der Münchener Autobauer setzt bei der künftigen Sprachassistenztechnologie auf die Expertise der Amerikaner. Deren Alexa-System kommt weltweit in mehr als 100 Millionen Geräten zum Einsatz. BMW ist offenbar zu dem Schluss gekommen, dass man mit den Entwicklern und ein paar hunderttausend Autos allein in den kommenden Jahren nicht mithalten kann. Es ist nur eine von vielen Partnerschaften eines deutschen Autobauers mit einem US-Technologieriesen in den vergangenen Monaten. So hat Apple unlängst Porsche und Audi für die nächste Carplay-Generation gewinnen können, die deutlich tiefer in die Fahrzeugsysteme integriert sein soll.

BMW folgt mit dem AWS-Deal also nur dem Trend. Auch die Opel-Mutter Stellantis setzt beim Infotainment voll auf US-Know-how. Nach einer Partnerschaft mit Google kooperiert der französisch-italienische Konzern seit Anfang des Jahres ebenfalls mit AWS. Das erhöht den Druck auf die deutschen Hersteller, sich vom Do-it-yourself-Motto freizumachen, Kompetenzen abzugeben und die US-Konzerne stärker ins Boot zu holen. Der letzte Verfechter einer In-House-Softwarestrategie im deutschen Automobilsektor war Ex-VW-Chef Herbert Diess. Und der wurde womöglich auch deshalb abgesägt. Softwareland Deutschland ist vielleicht noch nicht abgebrannt, wirkt im Herbst 2022 aber reichlich ausgebrannt.

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