„Spezlwirtschaft“ bei der Baywa: Nährboden einer Existenzkrise
Im Blickfeld
„Spezlwirtschaft“ bei der Baywa: Nährboden einer Existenzkrise
Der Fall des insolvenzbedrohten Münchner Agrarhändlers weist viele Parallelen auf zum Desaster der Bayerischen Raiffeisen-Zentralbank. Sie war die Vorgängerin des wichtigsten Ankeraktionärs des Konzerns aus dem genossenschaftlichen Finanzverbund.
Von Stefan Kroneck, München
Kennen Sie Beilngries? Nein?! Es ist keine Bildungslücke, wenn man mit der beschaulichen Kleinstadt im oberbayerischen Landkreis Eichstätt unweit von Ingolstadt nichts anzufangen weiß. Für das Schicksal des in eine selbstverschuldete Existenzkrise hineingeschlitterten Agrarhandelskonzerns Baywa ist Beilngries allerdings ein Schlüsselort. Es handelt sich um den Hauptsitz des größten Einzelaktionärs des börsennotierten Münchner SDax-Mitglieds mit seinen Wurzeln im Genossenschaftssektor.
Bei der Bayerischen Raiffeisen Beteiligungs-AG (BRB), die 33,8% an der Baywa hält, laufen die Drähte heiß, seitdem das hochverschuldete Konglomerat vor vier Wochen Alarm schlug. Das traditionsreiche Unternehmen, welches 2023 sein 100-jähriges Bestehen feierte, erklärte sich offiziell zum Sanierungsfall.
Die Baywa türmte einen Schuldenberg von 11 Mrd. Euro auf, davon entfällt die Hälfte auf Finanzverbindlichkeiten. Der Konzern läuft Gefahr, diese Schulden aus dem operativen Cashflow nicht mehr fristgerecht tilgen zu können, bei wachsenden Zinsaufwendungen. Eine Insolvenz wegen Zahlungsunfähigkeit droht.
Auch eine Krise der Kreditgenossen
Die Malaise ist Folge einer kreditfinanzierten Expansion durch Zukäufe. Als das Zinstief endete und die Marktzinsen stiegen, geriet die Baywa in eine bedrohliche Lage. Seit Mitte 2023 schreibt die Firma hohe Verluste, die das Eigenkapital schmälern.
Unter den bedeutenden Gläubigerbanken befinden sich viele namhafte Adressen: die genossenschaftliche DZ Bank, die Landesbank LBBW, die HypoVereinsbank, die Deutsche Bank, die Commerzbank usw. Die Existenzkrise der Baywa ist auch eine Krise der Volks- und Raiffeisenbanken (VR-Gruppe) des flächenmäßig größten deutschen Bundeslandes. Die insgesamt 184 Primärinstitute des weiß-blauen Finanzverbunds stecken in dem Schlamassel mittendrin. Zahlenmäßig stellt dieses Bündel mehr als ein Viertel der insgesamt rund 700 bundesweiten Genossenschaftsbanken, die sich als „Verbundfamilie“ bezeichnen – eine Solidargemeinschaft in guten wie in schlechten Zeiten.
Der Reputationsschaden für diese ist groß. Landwirte, die die Baywa mit ihren Erzeugnissen beliefern und vom Konzern z.B. Düngemittel und Traktoren beziehen, sind oft auch Kunden der VR-Gruppe, vor allem in Süddeutschland, und halten Baywa-Aktien.
Ämterhäufung als „Krankheit“
Der bayerische Zweig dieser Großfamilie ist mit einem Anteil von über 81% Mehrheitsaktionär der BRB, die wie eine Treasury-Holding insgesamt zwölf Beteiligungen mit einem Bilanzwert von zusammen rund 1 Mrd. Euro für den Verbund verwaltet, darunter drei treuhänderisch für die DZ Bank, die zugleich zur Riege der Baywa-Gläubiger gehört. Die BRB selbst hält 7,4% an der genossenschaftlichen Großbank mit Sitz in Frankfurt am Main. Bemerkenswert ist, dass die Baywa selbst auch Anteilseigner der BRB ist, mit über 10%.
Überkreuzbeteiligungen sind ein Wesensmerkmal des Verbunds. Da liegt des Pudels Kern. Das Gestrüpp von Verästelungen und Verflechtungen in dieser Familie schuf über Jahrzehnte eine Kaste von Funktionären, die über Ämterhäufungen in Schlüsselpositionen über eine Macht verfügen, die außergewöhnlich ist. Kenner der Materie sprechen von einer „Krankheit“.
Multi-Funktionäre
Dazu zwei Beispiele: Wolfgang Altmüller (58), der Aufsichtsratschef der BRB, sitzt zugleich seit zehn Jahren im Kontrollgremium der Baywa. Dort ist er zweiter stellvertretender Chefaufseher. Der Bankkaufmann, hauptberuflich Vorstandsvorsitzender der Rosenheimer Meine Volksbank Raiffeisenbank, das größte Institut unter Bayerns Primärbanken, ist zudem Vorsitzender des Verbandsrats des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken mit Sitz in Berlin. Das BRB-Vorstandsmitglied Wilhelm-Josef Oberhofer (56) gehört seit neun Jahren dem Baywa-Aufsichtsrat an. Er leitet in diesem Organ den Prüfungsausschuss. Oberhofer ist hauptberuflich Vorstand der Raiffeisenbank Kempten-Oberallgäu.
Beide Funktionäre müssen nun den Karren aus dem Dreck ziehen, wobei sie für das Baywa-Debakel qua ihrer Ämter eine Mitverantwortung tragen.
Wie die übrigen 14 Mitglieder des Aufsichtsrats haben auch sie die Wachstumsstrategie des früheren Vorstandschefs Klaus Josef Lutz (66), der die Baywa von 2008 bis 2023 führte, mitgetragen. Nun stehen sie vor einem Scherbenhaufen. Der gut vernetzte Genossenschaftsbanker Gregor Scheller (66), bis vor kurzem noch Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern, ist im Mai als neuer Chefaufseher angetreten, um bei den Löscharbeiten während des Hausbrandes mitzuhelfen.
Schwerwiegender Fehler
Dessen Amtsvorgänger Lutz warf Monate zuvor das Handtuch, nach einem verlorenen Machtkampf mit seinem CEO-Nachfolger Marcus Pöllinger (45). Lutz konnte zuvor nahtlos in die Rolle des Chefkontrolleurs wechseln, um seinen „Ziehsohn“ Pöllinger zu überwachsen. Das Ignorieren der vom Corporate-Governance-Kodex empfohlenen Übergangsfrist von zwei Jahren war nur unter Geheiß der BRB möglich, also mithilfe von Altmüller und Oberhofer.
Das erwies sich als schwerwiegender Fehler. Vermutlich waren Lutz und Pöllinger mit ihrem Streit derart abgelenkt, dass sie den Überblick über die Konzernrisiken verloren.
Hinzu kam ein langjähriger Finanzvorstand in der Person von Andreas Helber, der, dem Vernehmen nach möglicherweise aus falscher Loyalität zu Lutz, dem alten CEO, nicht die Rote Karte zeigte, als die Schulden bereits Jahre zuvor eine bedenkliche Dimension erreichten.
In einer Parallelwelt
Diese eigentümliche Form der „Spezlwirtschaft“ bereitete den Nährboden für die Schieflage. Es handelt sich um eine von Männern dominierte Parallelwelt des gegenseitigen Auf-die-Schulter-Klopfens in der Verbundfamilie - am besten mit CSU-Parteibuch - in vermeintlich guten Zeiten, die im Extremfall betriebsblind macht.
Unter dem früheren Dauer-Chefaufseher Manfred Nüssel (CSU), der bis zur Stabübergabe an Lutz das Amt 22 Jahre lang ausübte, galt die Baywa als großer Spender der CSU. Der aus Franken stammende CSU-Politiker gehörte dem Kontrollgremium bei der Baywa insgesamt 40 Jahre lang an. Vor diesem Hintergrund ist die Baywa-Affäre auch ein Politikum. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erwägt Staatsbürgschaften mit Steuergeldern für eine Auffanglösung. Nüssel (76), heute Ehrenvorsitzender des Organs, soll durch gewieftes Taktieren zu Lutz` Sturz im Januar dieses Jahres entscheidend beigetragen haben. Er soll es auch gewesen sein, der dank seiner guten Verbindungen dafür sorgte, dass die CSU-Politikern Monika Hohlmeier in den Aufsichtsrat gewählt wurde. Die Tochter des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß (1988 verstorben) und Europa-Abgeordnete sitzt seit 2013 in dem Gremium auf der Kapitalseite.
Nun sind die Kreditgenossen als Baywa-Eigentümer zusammen mit den Gläubigerbanken gezwungen, aufgrund der Systemrelevanz des Konzerns vermutlich viele Hundert Millionen an frischem Geld im Rahmen eines Rettungspakets nachzuschießen, um Finanzlöcher zu stopfen, ohne aber die aktuellen Unternehmenszahlen zu kennen. Diese veröffentlicht die Baywa erst Ende September, wenn spätestens bis dahin das unter Druck der Gläubiger in Auftrag gegebene Sanierungsgutachten mit einer Fortführungsprognose von Roland Berger vorliegt. Dieser faktische Blankoscheck birgt Sprengkraft, da dieser wider alle kaufmännischen Vorsichtsprinzipien vergeben werden würde. Zudem drohen der Baywa umfangreiche Zusatzbelastungen aufgrund noch laufender Werthaltigkeitstests.
Blankoscheck birgt Sprengkraft
Das dürfte bei manchen beteiligten Bankern für ein mulmiges Gefühl sorgen und Erinnerungen an die unrühmliche Historie der BRB wecken. Diese ging vor 38 Jahren aus den Resten der implodierten Bayerischen Raiffeisen-Zentralbank AG (BRZ) hervor. Großmannssucht war die Ursache für den Zusammenbruch eines Instituts, welches beinahe sämtliche genossenschaftlichen Primärbanken in Bayern mit in den Abgrund gerissen hätte. Auf der Suche nach lukrativen Ertragsquellen drehte die BRZ ein großes Rad mit Bauträger-Darlehen. Als Mitte der 1980er Jahre der Immobilienmarkt wegen eines Überangebots an Wohnraum einbrach, musste die Bank nach einer Sonderprüfung 1,5 Mrd. DM wegen vieler notleidender Kredite (betroffen waren 15% des Portfolios) wertberichtigen. Das Eigenkapital war dahin. Eine Auffanglösung in der Familie war für die VR-Gruppe seinerzeit eine Nummer zu groß. Der BRZ drohte die Schließung.
Viele Ähnlichkeiten zur aktuellen Affäre
Die DG Bank, eines der beiden Vorgängerinstitute der DZ Bank, musste auf Geheiß der Finanzaufsicht im Rahmen einer rechtlichen Verschmelzung die Aktiva der BRZ übernehmen, um einen Dominoeffekt im genossenschaftlichen Finanzverbund zu vermeiden. Die verantwortlichen Vorstände mussten gehen.
Heute ist dieses Thema in der Finanzbranche wieder brandaktuell, diesmal aufgrund eines Überangebots an Büroimmobilien nach der Corona-Pandemie. Der Fall der BRZ weist erstaunlich viele Parallelen auf zur Causa Baywa. Vor diesem Hintergrund wird wohl mancher Genossenschaftsbanker hoffen, dass die absehbar teure Baywa-Rettung nicht allzu große Löcher in die Bilanzen der bayerischen VR-Gruppe reißt.