Umdenken in der Champagne
Gras zwischen den einzelnen Rebreihen, auf den Wiesen in der Nähe der Kellerei Hühner und schwarze Schafe. Eine ganz normale ländliche Idylle, könnte man auf den ersten Blick meinen. Doch der Eindruck täuscht. Wir befinden uns mitten in der Champagne, in Cuisles. Dort überlässt Cédric Moussé nichts dem Zufall. Das Gras zwischen den Rebreihen hilft, den Boden anzureichern und zu strukturieren, die Hühner und die schwarzen Ouessant-Schafe fressen Insekten und Gräser. Moussé ist einer der Winzer, die in der berühmten Weinregion auf natürliche Anbaumethoden setzen.
Ausgerechnet in der Champagne. Denn noch in den 1990er Jahren galt sie als das Anbaugebiet Frankreichs, das die meisten chemischen Pflanzenschutzmittel einsetzte – auch wegen der schwierigen klimatischen Bedingungen mit einer hohen Feuchtigkeit, die die Gefahr für den Befall der Rebstöcke mit Mehltau erhöht. Doch inzwischen setzen immer mehr Champagnerhäuser und Winzer auf umweltfreundlichere Anbaumethoden. Und die Branche selber hat sich ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele gesetzt. Bis 2025 will sie ihren CO2-Ausstoß um 25% senken, bis 2050 dann um 75%. Gleichzeitig sollen bis 2030 alle Anbauflächen nachhaltig bewirtschaftet werden.
Vorreiter bei CO2-Bilanz
„Wir erleben heute eine Revolution in der Champagne“, sagt Cédric Moussé. „Winzer und Weinhändler sind sich einig, dass wir nachhaltiger werden müssen. Wir haben keine andere Wahl. Man braucht Champagner nicht. Deshalb sollten wir vorbildlich sein.“ Moussé, der die vierte Generation des 1923 gegründeten Champagner-Produzenten Champagne Moussé Fils vertritt, träumt nun davon, zwischen den Rebreihen in Permakultur Tomaten anzupflanzen. Um den CO2-Ausstoß zu senken, will er seinen Champagner künftig mit Frachtseglern über den Atlantik nach Amerika schicken, auch wenn das 28 Tage dauert, eine Woche länger als bisher.
Bei amerikanischen Verbrauchern dürfte das ankommen, denn bei einer Befragung des Marktforschungsinstituts IWSR gab 2021 fast die Hälfte von ihnen an, bei alkoholischen Getränken Marken und Produkte zu bevorzugen, die nachweislich umweltfreundlich und nachhaltig produziert worden sind. Nachhaltigkeit ist nicht nur deshalb eines der Themen, die die Champagner-Branche derzeit am stärksten umtreiben. Was den CO2-Abdruck angeht, ist sie nach Angaben des Fachmagazins „Revue du vin de France“ sogar Vorreiter in Frankreich. Denn sie hat bereits 2003 ihre erste CO2-Bilanz unter die Lupe genommen, sie seitdem alle fünf Jahre aktualisiert und entsprechende Aktionspläne aufgestellt. Das Anbaugebiet Bordeaux hat damit erst 2007 begonnen, während die übrigen Weinbauregionen in Frankreich erst jetzt beginnen, sich für das Thema zu interessieren.
Resultat: Seit der ersten CO2-Bilanz 2003 ist es der Champagne gelungen, ihren CO2-Ausstoß bis 2018 um 14% zu senken. Dabei sind Verpackungen für 32% und Glasflaschen für 27% der Kohlendioxid-Emissionen in der Champagne verantwortlich, der Gütertransport für 17%. Der Berufsverband Comité Champagne versucht deshalb, vor allem dort anzusetzen. „Bisher haben wir keine Alternative zu Glasflaschen gefunden“, sagt Pierre Naviaux, der beim Comité Champagne für nachhaltige Entwicklung zuständig ist. „Aber heute bestehen 90% der benutzten Flaschen aus Recycling-Glas, und wir haben die Glasflaschen selber leichter gemacht.“ Statt 900 Gramm wie früher wiegen die Champagner-Flaschen selber inzwischen nur noch 835 Gramm. Das hat geholfen, den CO2-Ausstoß pro Jahr um 8000 Tonnen zu senken.
Die Branche versucht auch, die Verpackungen zu verbessern. So hat sie gerade neue Kapseln aus Papier entwickelt, die künftig statt der bisher üblichen Kapseln aus Aluminium Korken und Drahtgestell umhüllen können. Mumm wiederum bietet inzwischen eine Geschenkverpackung an, die zu 93% aus Recycelpapier besteht, das ebenfalls zu Pernod Ricard gehörende Champagnerhaus Perrier-Jouët eine Geschenkbox aus Naturfasern, die 30% leichter als die herkömmliche Verpackung ist.
Das Comité Champagne arbeitet auch an anderen Themen, um die Nachhaltigkeit zu verbessern. Der Berufsverband investiert pro Jahr rund 10 Mill. Euro in Forschung und Entwicklung. Die Abteilung beschäftigt 50 festangestellte Mitarbeiter. Sie haben sich in den letzten Jahrzehnten auch mit alternativen Methoden zu chemischen Pflanzenschutzmitteln befasst. „Früher hat man mit Insektiziden versucht, Schädlinge davon abzuhalten, ihre Eier in die Trauben zu legen“, sagt Nachhaltigkeitsexperte Naviaux. „Inzwischen werden vor allem Pheromone dafür eingesetzt.“
Der Einsatz von Insektiziden in der Champagne ist deshalb seit 1996 um fast 95% zurückgegangen, der von Herbiziden um 60% und der von Fungiziden um 40%. Einige Häuser wie die von LVMH, Vranken Pommery Monopole und Pernod Ricard verzichten bereits auf Herbizide. Bis 2025 soll der Rest der Branche folgen. Um künftig auch auf Fungizide verzichten zu können, experimentiert die Champagne mit neuen Reben. So ist die gegen echten und falschen Mehltau resistente Rebsorte Voltis inzwischen versuchsweise für die Herstellung von Champagner zugelassen. Sie darf bis zu 10% der Assemblage ausmachen.
Anreize für Zertifizierung
Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Dünger gehört neben der Biodiversität und der Wasserwirtschaft zu den Kriterien, die für die vom französischen Staat vergebene Umweltzertifizierung Haute Valeur Environnementale (HEV) eine Rolle spielen. Winzer Moussé, aber auch Champagnerhäuser wie Bollinger, Billecart-Salmon und Deutz und die großen Gruppen gehören zu den Produzenten, die HEV-zertifiziert sind.
Beim biologischen Weinanbau hinkt die Champagne allerdings noch immer hinterher. So sind nur 8% der Anbauflächen und 4% der Produzenten für das Umweltlabel der Europäischen Union für ökologischen Landbau zertifiziert. Eine Entscheidung, die einige Winzer wie etwa Cédric Moussé ganz bewusst treffen, da sie einige Kriterien des Labels für problematisch halten. „Der CO2-Fußabdruck wird nicht berücksichtigt“, sagt Moussé. Vor fünf Jahren habe es etwa keinen französischen Biozucker gegeben, sondern nur Biozucker aus Vietnam oder Brasilien. „Ihn zu verwenden, wäre nicht besonders nachhaltig gewesen“, findet er.
„Jemand kann organisch anbauen, aber schlecht in der Abfallwirtschaft sein“, sagt Nachhaltigkeitsexperte Naviaux vom Comité Champagne. Deshalb habe die Champagne ihr eigenes Nachhaltigkeitslabel Viticulture Champagne entwickelt, das bei einigen Kriterien weitergehe. So spielen für die Zertifizierung auch die CO2-Bilanz, Abfall- und Abwasserwirtschaft und der Schutz des Terroirs eine Rolle. Inzwischen sind 63% der Anbauflächen in der Champagne mit einem der drei Umweltlabel zertifiziert.
„Die Herausforderung ist nun, auch die kleinen Winzer zu überzeugen“, erklärt Naviaux. Sie sind in der Mehrheit, da von den 16200 Winzern in der Champagne nur etwa 4000 größere Weinberge haben. Gerade auf die kleinen Winzer kann der Zertifizierungsprozess komplex und zeitaufwendig wirken. Deshalb versuchen nun die großen in der Champagne vertretenen Gruppen wie LVMH, die Winzer, mit denen sie zusammenarbeiten, dabei zu unterstützen.
Pernod Ricard unterstützt die Partner-Winzer auf dem Weg zur Zertifizierung mit Workshops und Diagnosen – aber auch finanziell. „Für Trauben von zertifizierten Anbauflächen zahlen wir einen höheren Preis als für nichtzertifizierte“, sagt Thibaut Le Mailloux vom Champagnerhaus Gosset. „Damit geben wir denen, die mit dem Zertifizierungsprozess angefangen haben, einen Anreiz, weiterzumachen.“ Ganz uneigennützig sind die Hilfen nicht. Denn die großen Häuser wissen, dass ihnen der Wandel nur zusammen mit den Winzern gelingen kann. Das ist nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch fürs Image wichtig.
Von Gesche Wüpper, Paris