US-Einzelhandel vor dem Ende des Kaufrauschs
US-Einzelhandel vor dem Ende des Kaufrauschs
Donald Trumps Strafzölle drohen die Preise bei vielen US-Retailern noch anzutreiben. Dabei steht der Sektor angesichts der angespannten finanziellen Lage bei vielen Verbrauchern ohnehin unter Druck.
Von Alex Wehnert, New York
Im Jahr 2015 herrscht in Deerfield, Illinois Aufbruchstimmung. Die in dem Chicagoer Vorort beheimatete Drogeriekette Walgreens hat zu diesem Zeitpunkt einen Merger mit dem schweizerisch-britischen Pharmagroßhändler Alliance Boots abgeschlossen, an der Börse ist das seit 1927 gelistete Unternehmen mit 106 Mrd. Dollar so viel wert wie noch nie. Zehn Jahre später hat sich die Situation drastisch verändert: Kunden bestellen mehr Haushaltsprodukte auf Amazon, statt eine der 8.700 Filialen von Walgreens aufzusuchen. Rivalen wie CVS Health haben sich mit großen Versicherern zusammengetan und sich somit vorteilhafte Bedingungen bei Pharmacy Benefit Managers gesichert, die für Versicherte Verschreibungen verwalten, sich um Ansprüche und Zahlungen kümmern und damit großen Einfluss auf die Preisgestaltung bei Medikamenten haben. Walgreens hingegen blieb dabei außen vor: Ein Streit mit der heute im Besitz von Cigna befindlichen Express Scripts kostete die Drogeriekette 2011 den Zugang zu Millionen Kunden.

Im Januar setzte Walgreens erstmals seit 91 Jahren die Dividende aus, am vergangenen Donnerstag steht ein Einschnitt in der Firmengeschichte fest. Die auf Retail- und Konsum-orientierte Investments spezialisierte Private-Equity-Gesellschaft Sycamore Partners sichert sich das Unternehmen aus Illinois für 10 Mrd. Dollar und nimmt es nach insgesamt fast 100 Jahren von der Börse.
Schrumpfkurs steht bevor
Dass der Dealwert durch die Übernahme von Schulden und an bestimmte Bedingungen geknüpfte Auszahlungen auf bis zu 23,7 Mrd. Dollar steigen könnte, macht den Niedergang der Drogeriekette für langjährige Investoren kaum erträglicher. Denn nach dem Verkauf droht dem Unternehmen, das von Diabetesspritzen bis hin zu Nagelscheren und einem bunten Sortiment abgepackter Lebensmittel alles verkauft, ein weiterer Schrumpfkurs. Schließlich will Sycamore angeblich Teile von Walgreens verkaufen, darunter die Boots-Filialen in Großbritannien, und mit Partnern das Kern-Retailgeschäft in den Vereinigten Staaten wiederbeleben.
Doch droht dem US-Einzelhandel das baldige Ende eines seit Jahren anhaltenden Kaufrauschs. Nicht nur, dass stationäre Retailer schon lange wachsende Kundenscharen an E-Commerce-Rivalen verlieren – auch dass die Amerikaner ihre überschüssigen Ersparnisse, durch eine expansive Fiskalpolitik in Corona-Zeiten auf das Rekordniveau von 2,1 Bill. Dollar getrieben, aufgebraucht haben, setzt die Branche unter Druck. Zuletzt hatten US-Verbraucher gar 300 Mrd. Dollar weniger auf der hohen Kante, als sie gemäß des Vor-Pandemie-Trends angehäuft hätten.
Konsumstimmung trübt sich ein
Zwar finanziert sich der Konsum nun auf Pump weiter, das Volumen von Kreditkartensalden und anderen revolvierenden Fazilitäten bei amerikanischen Banken hat zuletzt das historisch beispiellose Niveau von nahezu 1,1 Bill. Dollar erreicht. Doch die Stimmung verschlechtert sich seit dem Beginn der Präsidentschaft von Donald Trump bedeutend. „Die Verbraucher sind weniger optimistisch hinsichtlich des zukünftigen Geschäftsumfelds und ihrer Einkommensentwicklung“, betont Stephanie Guichard, Chefvolkswirtin der Nonprofit-Forschungsorganisation The Conference Board, deren viel beachteter Consumer Confidence Index im Februar um 7 Zähler auf 98,3 Punkte abrauschte und damit den stärksten Rückgang seit August 2021 hinlegte.
Der Pessimismus bezüglich der Arbeitsmarktsituation ist deutlich gestiegen, vor allem der Sprung der Inflationserwartungen sticht indes hervor. Neben den durch die Vogelgrippe bedingten explosiven Preisanstiegen bei Eiern verweist Guichard vor allem auf den Einfluss von Strafzöllen der Regierung von Präsident Donald Trump, da diese Importe verteuerten. Mit einem Plus von 2,8% zum Vorjahr legten die Verbraucherpreise in den USA gemäß Veröffentlichung vom Mittwoch im Februar zwar etwas weniger stark zu als erwartet, die Inflation hält sich damit aber hartnäckig über den Zielmarken der Fed.
Walmart mit defensivem Ausblick
Für Amerikas führenden Retailer hat sich die Teuerung zuletzt sogar als Geldsegen erwiesen: Walmart zieht inzwischen Kunden aus höheren Einkommensklassen an und hat 2024 stark abgeschlossen. Die Erlöse zogen im vierten Quartal zum Vorjahr um 4,1% auf 180,6 Mrd. Dollar an. Der operative Gewinn legte um 8,3% auf 7,9 Mrd. Dollar zu, womit sich das Wachstum beschleunigte. Doch die Aktie steht seit der Zahlenvorlage Mitte Februar unter Druck. Denn Walmart-Finanzchef John David Rainey betonte, wie angespannt die finanzielle Situation der Konsumenten noch immer sei. Für das laufende Jahr hat sich der Supermarktriese defensivere Ziele gesetzt: Der Umsatz werde wohl um 3 bis 4% wachsen, der operative Gewinn um 5 bis 7%.

Zollerhöhungen sind in dieser Planung nicht einkalkuliert, Trumps Handelspolitik wird für Walmart damit noch zum schweren Test. Rainey betonte, das Unternehmen werde „hart daran arbeiten, die Preise niedrig zu halten“. Dabei kommt dem Branchenprimus aufgrund seiner schieren Größe eine Verhandlungsposition gegenüber Zulieferern zugute, von der Wettbewerber in einem zunehmend konzentrierten Sektor nur träumen können. Die Supermarktkette Kroger, die zuletzt einen Erlösrückgang verkraften musste und einen Bruchteil der Investitionsausgaben von Walmart aufwenden kann, will ihre Kunden ebenfalls gegen Preisanstiege abschirmen. So will sie ihre Einkaufsstrategie bei frischen Lebensmitteln und anderen Produkten verändern, um den Effekten der Trump-Strafzölle zu entgehen.
Eigentlich wollte Kroger ihre Marktposition durch eine 20 Mrd. Dollar schwere Übernahme der Konkurrentin Albertsons stärken, doch ein US-Bundesgericht blockierte den Deal im Dezember nach einer Klage der Kartellaufsicht FTC. Diese argumentierte, dass der Merger Preisanstiege für Verbraucher nach sich ziehen würde, was die beiden Ketten als absurd bezeichneten. Im Zusammenschluss seien sie im Gegenteil wettbewerbsfähiger gegenüber Konkurrenten wie Walmart und damit auch besser in der Lage, deren Discount-Politik mitzugehen. Kroger betonte, die Preise bei Albertson's seien bisher in der Regel 10 bis 12% höher als in ihren eigenen Filialen und stellte deutliche Senkungen in Aussicht.
Drama um geplatzten Deal
Nachdem der Deal geplatzt ist, befinden sich die beiden einstigen Partner im Rechtsstreit um Strafzahlungen für Verstöße gegen die Merger-Vereinbarungen und verlieren ihre CEOs. Albertsons-Chef Vivek Sankaran geht im Mai, Kroger-Lenker Rodney McMullen hat sein Unternehmen nach Ermittlungen wegen persönlichen Fehlverhaltens bereits verlassen. Dort hinterlässt der 2014 ans Steuer gerückte Manager, unter dem die Kette ihre Präsenz im Online- und Werbegeschäft ausgeweitet hat, eine große Lücke. Anleger warten gespannt darauf, welcher neue CEO den Kaufrausch im Einzelhandel nun wieder anfachen soll.