Wachstum ist nicht alles
Im Jahr bevor Mark Schneider als CEO die Zügel von Nestlé in die Hand nahm, betrug das organische Wachstum, die wohl am stärksten beachtete Kennziffer des Konzerns, 3,2%. Das war 2016. Nun berichtete der 56-Jährige, der vor seinem Wechsel in die Schweiz 13 Jahre Vorstandschef des Gesundheitskonzerns Fresenius gewesen war, von einem organischen Umsatzzuwachs von 7,5% im Vorjahr. Dazwischen liegen Welten.
Tatsächlich hat Schneider viel Bewegung in die Gruppe gebracht. So stellte er kurz nach seinem Amtsantritt in Vevey klar, dass wachstumsarme und ertragsschwache Konzernteile entweder auf Vordermann gebracht werden müssen oder abgestoßen werden. Umgekehrt scheute er sich nicht, starkes Wachstum und üppige Margen versprechende Assets zu Preisen mit hohen Multiples zu akquirieren. Obwohl seit 2017 etwa 85 entsprechende Transaktionen abgeschlossen wurden oder noch laufen, ging es bei den Zukäufen mit einer Ausnahme – dem Erwerb der Produktvermarktungsrechte der US-Kaffeehauskette Starbucks für 7,15 Mrd. Dollar – um wertmäßig überschaubare Deals; erst recht, wenn man sich die Finanzkraft von Nestlé vor Augen hält. Doch der Eindruck, dass es auch in Summe nur um Kleinigkeiten ging, täuscht. Die Portfoliotransformation in den vergangenen fünf Jahren betraf rund 20% der Erlöse von 2017. Das ist bei einem Unternehmen dieser Größe enorm viel.
Dennoch ist es um Nestlé nicht so gut bestellt, wie die Wachstumszahlen für 2021 und die Assetumschichtungen nahelegen. Zwar gelang es Schneider, das organische Wachstum von 2017 an (2,4%) kontinuierlich zu steigern, doch selbst im ersten Coronajahr 2020 betrug das Plus lediglich 3,6%, obwohl die Vorteile aus den längeren Aufenthalten zu Hause die Nachteile (geschlossene Restaurants, Kantinen usw.) zumindest ausgeglichen haben dürften. Auch dass Nestlé für die nächsten Jahre das Ziel bestätigt hat, organisches Wachstum im mittleren einstelligen Prozentbereich (4 bis 6%) zu generieren, zeigt, dass 2021 ein Ausnahmejahr war.
Ein ernstes Problem deutet sich aber in der Profitabilität an. Die hier für Nestlé relevante Größe, die zugrunde liegende operative Ergebnismarge, sank 2021 von 17,7 auf 17,4%. Das ist im Wettbewerb immer noch viel, zumal der CEO auf negative Einmaleffekte verweist. Doch auch in den drei Vorjahren trat die Marge auf der Stelle, und für 2022 werden höchstens 17,5% prognostiziert. Schneider läuft Gefahr, über die Wachstumsjagd die Rendite zu vernachlässigen.