Petroperú

Weder E noch S noch G

Ein Milliardenkredit unter Führung der Deutschen Bank an den staatlichen Ölkonzern Petroperú zeigt exemplarisch, wie ein Projekt den selbst gesteckten Nachhaltigkeitszielen entgegenstehen kann.

Weder E noch S noch G

­­­­Wie ernst ist es der Deutschen Bank mit ihrem Bekenntnis zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz? „Unternehmen, die Nachhaltigkeit heute nicht ins Zentrum ihrer Strategie stellen, laufen in Gefahr, innerhalb der nächsten zehn Jahre von Markt zu verschwinden, weil ihre Produkte und Dienstleistung nicht mehr in die sich verändernde Welt passen“, sagte Konzernchef Christian Sewing vor wenigen Tagen auf einer Branchenkonferenz in Frankfurt. Das deckt sich mit Warnungen aus der Versicherungswirtschaft, die sich schon lange vor „Fridays for Future“ mit dem Klimawandel beschäftigten. Die Münchener Rück thematisierte schon 1973 erstmals mögliche negative Auswirkungen der bis dahin kaum erforschten Erderwärmung. Von den ausgehenden 1990er Jahren an mehrten sich die Warnungen der Versicherer an die Unternehmen, dass sich der von ihnen mitverursachte Klimawandel zu einem ihrer größten Geschäftsrisiken auswachsen werde.

Was sich damals wie eine dystopische Gedankenspielerei aus dem Aktuariat anhörte, hat nach dem dritten Dürrejahr in Europa, einer von den Medien weitgehend unbeachteten Flutkatastrophe in Pakistan, die Millionen Menschen getötet oder obdachlos gemacht hat, und den verheerenden Waldbränden, die andere Teile der Welt heimsuchen, an Überzeugungskraft gewonnen. Zugleich hat in der globalen Finanzbranche ein beispielloser Wettbewerb um das Thema Nachhaltigkeit eingesetzt. Im Mittelpunkt steht dabei jedoch fast immer die Anlage von Kundengeldern. Im eigentlichen Kerngeschäft der Banken, der Finanzierung von unternehmerischen Vorhaben, sind die in der Formel „Environmental, Social, Governance“ (ESG) zusammengefassten ethischen Grundsätze deutlich schwerer umzusetzen.

Umstrittener Milliardenkredit

Exemplarisch zeigen lässt sich das an dem Milliardenkredit, den die Crème de la Crème der globalen Großbanken 2019 unter der Federführung der Deutschen Bank an den peruanischen Staatskonzern Petro­perú ausreichte. Verwendungszweck: die Modernisierung der Talara-Raffinerie im Nordwesten des Landes. Sie wurde bereits 1917 von der International Petroleum Company (IPC) errichtet. Der Andenstaat, auf dessen Territorium im vergangenen Jahr 128 000 Barrel Öl pro Tag gefördert wurden, verfügt über mehrere Ölvorkommen. Zum Teil liegen sie an der Küste, die meisten jedoch im Amazonas, dem weltweit wohl klimarelevantesten und von einer einmaligen Artenvielfalt geprägten Waldgebiet. Bis heute wohnen dort indigene Gemeinschaften, die sich dank der Unzugänglichkeit des Gebiets ihre Lebensweisen weitgehend bewahren konnten.

Die Talara-Raffinerie stellt neben Diesel und anderen Kraftstoffen auch Schwefelsäure her. Von den drei Raffinerien, die Petroperú derzeit betreibt, war sie trotz ihres fortgeschrittenen Alters immer die mit Abstand produktivste. Erste Modernisierungsvorhaben in den 1980er Jahren scheiterten an der ökonomischen und politischen Situation des Entwicklungslandes, dessen Pro-Kopf-Einkommen in etwa halb so hoch ist wie im Nachbarland Chile, das ebenfalls als Schwellenland gilt.

Erst eine 2004 vorgestellte Machbarkeitsstudie markiert den Startschuss für das Projekt, dessen Kosten sich nach Regierungsangaben zwischenzeitlich auf 5,7 Mrd. Dollar summieren. Um die für die vielleicht teuerste Raffinerie der Welt aufgenommenen Schulden zurückzuzahlen, muss Petroperú für eine hohe Auslastung sorgen. Der frühere Vize-Energieminister Pedro Gamio sagte im April dieses Jahres, dass die nationalen Ressourcen dafür wohl nicht ausreichen werden.

Negative Umweltfolgen

Wenige Monate zuvor war der Staatskonzern wieder in die Förderung eingestiegen – nach einem Vierteljahrhundert, in dem er sich nur mit der Lagerung, dem Transport und der Weiterverarbeitung der von privaten Unternehmen geförderten fossilen Brennstoffe beschäftigt hatte. Als die Konzession für Block I an der Pazifikküste auslief, ging sie an den Staatskonzern. Der Plan der Regierung, auch die in den kommenden Jahren auslaufenden Konzessionen per Gesetz Petroperú zuzuschlagen, wurde vom Kongress ausgehebelt. Nun befürchten Umweltorganisationen, dass das Unternehmen die Wiederinbetriebnahme von Block 64 forcieren könnte, einem Ölvorkommen in der Region des Río Marañón, dem Hauptquellfluss des Amazonas (siehe Karte), das sich auf indigenen Gebieten befindet. Die Förderstätte wurde 2019 stillgelegt, weil die Erstellung der Studie über die Umweltfolgen zu keinem Ende fand.

Das ökologische Risiko besteht nicht nur in ungeplanten Austritten an der Förderstelle selbst, sondern auch in den immer wieder auftretenden Leckagen an der in die Jahre gekommenen Pipeline, die Block 64 mit der Hunderte von Kilometern entfernten Raffinerie verbindet. Zwischen 2000 und 2019 habe es insgesamt 474 dokumentierte Austrittsstellen an der Pipeline und den mit ihr verbundenen Förderstätten gegeben, heißt es in der Oxfam-Studie „The Shadow of Oil“.

Für die Leckagen an dem in den 1970er Jahren errichteten Rohrleitungssystem ist Petroperú verantwortlich. Laut einer Recherche des auf Lateinamerika spezialisierten, spendenfinanzierten US-Magazins „Mongabay Latam“ ist Petroperú das peruanische Unternehmen mit den drittmeisten anhängigen Klagen und behördlichen Sanktionen wegen Umweltschäden. Die naheliegende Rechtfertigung, dass die Sanierung der Raffinerie die Umweltbilanz verbessern wird, können die an der Finanzierung beteiligten Banken daher kaum strapazieren.

Sozialer Sprengstoff

Auf Anfrage will sich die Deutsche Bank nicht konkret äußern. Vor rund zwei Monaten trafen Vertreter der Bank Stammesführer der in dem Gebiet angesiedelten Wampis Nation, die seit 2018 einen Status als autonome Region genießt, sowie Stammesführer der Achuar und Vertreterinnen der deutschen Umweltorganisationen Urgewald und einen Mitarbeiter der US-Organisation Amazonwatch. Man pflege und schätze den Dialog mit Nichtregierungsorganisationen und anderen kritischen Stakeholdern, zitiert ein Sprecher auf Anfrage aus den Nachhaltigkeitsstatuten der Bank. Es sei jedoch Stillschweigen vereinbart worden, an das man sich auch halten wolle.

Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung gaben die Aktivisten ebenfalls keine Details von dem Treffen preis. Sie verstünden sich als Hüter des Waldes, von und in dem sie auf dieselbe Weise lebten wie ihre Vorfahren, so die Vertreter der beiden indigenen Bevölkerungsgruppen, die bereits seit Jahrzehnten einen erbitterten Kampf gegen die Ölförderung in ihren Gebieten führen. Jedes Leck hat das Potenzial, das Wasser zu verseuchen und den Einwohnern die Lebensgrundlage zu entziehen. Es waren die massiven indigenen Proteste, wegen denen die chilenische Betreiberfirma Geopark vor zwei Jahren Block 64 aufgab und dem Staatskonzern Petroperú überließ.

Vor diesem Hintergrund ist es eher unwahrscheinlich, dass der gesetzlich vorgeschriebene Prozess eingehalten werden kann, der erforderlich wäre, um Block 64 oder andere Ölvorkommen auf indigenem Terrain zu reaktivieren. Ein 2011 verabschiedetes Gesetz garantiert den indigenen Minderheiten, dass Projekte auf ihren Gebieten erst in Angriff genommen werden dürfen, wenn sie über das Vorhaben umfänglich informiert wurden und in freier Abstimmung ihre Zustimmung erteilt haben.

Angesichts des massiven Drucks, den die Zinswende auf Schuldnerländer ausübt, wird es interessant sein zu beobachten, wie die hinter dem Ölkonzern stehende peruanische Regierung mit diesem Zielkonflikt umgeht. Die Deutsche Bank muss sich die Frage gefallen lassen, wie ihre Rolle in dieser Angelegenheit in Einklang zu bringen ist mit den selbst gesetzten Nachhaltigkeitszielen.

Prekäre Governance

Die Tatsache, dass der Kredit zu einem Zeitpunkt arrangiert wurde, als die Deutsche Bank erst dabei war, die Nachhaltigkeit in ihre neue Konzernstrategie zu integrieren, rechtfertigt die Sachlage nur bedingt. Denn in diesem Frühjahr hätte ein Credit Event dem Institut vielleicht die Gelegenheit gegeben, nachzubessern. Ein Streit des wiederholt mit Korruptionsvorwürfen konfrontierten Ölkonzerns mit den Wirtschaftsprüfern von PwC mündete in einer Testatverweigerung für den Finanzbericht 2021. Wie aus einer Ende Mai von Petroperú veröffentlichten Pflichtmitteilung hervorgeht, stimmte die Deutsche Bank als Konsortialführerin einer Verlängerung der Abgabefrist bis zum 30. September zu. Von neuen Auflagen, um den drohenden Schaden aus dem von ihr mitfinanzierten Vorhaben einzudämmen, ist nichts bekannt.

Zu bewahrheiten scheint sich jedoch, dass Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit keine Gegensätze sind, sondern einander bedingen. Nachdem Petroperú vor wenigen Tagen in den noch immer ungeprüften Zahlen ihren Barmittelbestand per 30. Juni auf lediglich 32 Mill. Dollar beziffert hatte, stufte die Ratingagentur Fitch das langfristige Emittentenausfallrating sowohl in Fremd- als auch in Landeswährung herunter und warnte vor einem wahrscheinlicher gewordenen Ausfall der vorrangig unbesicherten Anleihen. Der unter ESG-Kriterien zweifelhafte Milliardenkredit könnte sich auch wirtschaftlich als Fehlentscheidung erweisen.

Von Anna Sleegers, Frankfurt

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