Wie psychologische Sicherheit in Finanzunternehmen zu gewährleisten ist
„Das hat auch wehgetan"
Um ein angstfreies Arbeitsumfeld in Finanzinstituten zu schaffen, sind Widerstände zu überwinden
Von Tobias Fischer, Frankfurt
Wenn Belegschaften mit Ideen, Verbesserungsvorschlägen und generell mit ihrem Potenzial hinter dem Berg halten, gehen Finanzunternehmen nicht nur Wissen, Innovationsfähigkeit und potenzielle Erträge verloren. Diese Mitarbeiter drohen sie auch gänzlich zu verlieren. Die Ursache könnte in mangelnder psychologischer Sicherheit liegen.
Respektvoller Umgang
Die kann umrissen werden als angstfreies Miteinander. Ein offener und respektvoller Umgang herrscht vor, Beschäftigte trauen sich, ihre Meinung zu sagen, Fragen zu stellen und Fehler zuzugeben, in der Zuversicht, dass nichts davon gegen sie verwendet wird. Informationen werden ausgetauscht und nicht als Herrschaftswissen zurückgehalten, Konflikte werden konstruktiv gelöst. So weit die Theorie.
Gut in Erinnerung ist Christian von Schirach, Senior Manager der Beratungsgesellschaft ZEB, ein Fall, den er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung als Paradebeispiel für mangelnde psychologische Sicherheit beschreibt. Als externer Berater begleitete er in einer größeren Versicherung ein bunt zusammengewürfeltes Projektteam, das sich mit dem Thema agiles Arbeiten auseinandersetzte. Das gute halbe Dutzend Beschäftigte beschreibt er als hochgradig motiviert und findig.
Vertane Möglichkeiten
Doch schließlich traute sich dieses Team ungeachtet seiner Kreativität, allen Enthusiasmus` und Ideenreichtums nicht, Verbesserungsvorschläge jenseits des geschützten Projektraums vorzubringen. „Die Angst vor den Führungskräften war so groß, dass das Team nur einen Bruchteil der Möglichkeiten, das es hatte, wirklich auf die Straße brachte“, erzählt von Schirach. Von jenem Team sei keiner mehr im Hause tätig. Alle hätten binnen 18 Monaten nach dem Projekt gekündigt.
Christian von Schirach, Senior Manager ZEBDie Angst vor den Führungskräften war so groß, dass das Team nur einen Bruchteil der Möglichkeiten, das es hatte, wirklich auf die Straße brachte.
Erfolgsfaktoren verpuffen
Was sich so in dem Finanzunternehmen abgespielt hat, ist dem Senior Manager zufolge kein Einzelfall: In der Finanzbranche, die tendenziell von hoher Seniorität, konservativen Denkweisen und Strukturen geprägt sei, könnten solche Ängste eher gedeihen als in einem an Hierarchien ärmeren Arbeitsumfeld. Psychologische Sicherheit ist nach Ansicht von Schirachs und seiner Kollegin, Senior Managerin Christina Block, die Basis für die Leistungsfähigkeit jedes Unternehmens. Ohne sie verpufften weitere Erfolgsfaktoren wie Qualität, Struktur, Verantwortungsbewusstsein oder Motivation.
Christina Block, Senior Managerin ZEBWir wissen mittlerweile, dass die leistungsfähigsten Organisationen diejenigen mit hoher psychologischer Sicherheit sind.
Firmen könnten zwar versuchen, mittels Prozessen, Sinnhaftigkeit des Tuns und Zielklarheit eine Hochleistungsorganisation zu etablieren. „Aber immer fehlte etwas, und niemand hat wirklich verstanden, woran es liegt“, berichtet Block aus ihrer Erfahrung. „Wir wissen mittlerweile, dass die leistungsfähigsten Organisationen diejenigen mit hoher psychologischer Sicherheit sind – in denen gute Zusammenarbeit, Zufriedenheit und Motivation großgeschrieben werden.“
Sinn ist nicht genug
Der so oft bemühte Purpose, der Sinn der Arbeit, reicht ihres Erachtens bei Weitem nicht aus, um Mitarbeiter zufriedenzustellen, zu gewinnen und zu halten und Unternehmen zu leistungsfähigen und schlagkräftigen Einheiten zu formen. Vielmehr gehe es um solche Fragen: „Wie gehe ich mit Konflikten um? Lerne ich in der Organisation? Habe ich Spaß mit den Kollegen? Bereitet mir meine Aufgabe Freude? Bin ich motiviert? Kann ich mich weiterentwickeln? All das spiegelt sich in psychologischer Sicherheit.“
Christina Block, Senior Managerin ZEBWenn ich mit einer völlig überforderten Organisation zu tun habe, kann ich dort nicht noch neue Themen reinschütten, denn damit vergrößere ich das Problem.
Nun ist diese nach Blocks Erfahrung in der Regel schwer auszumachen. So berichtet sie von einem Fall, in dem sich Mitarbeiter einer Bank überlastet fühlten. In Befragungen habe sich herausgestellt, dass es auch um die psychologische Sicherheit nicht gut bestellt gewesen sei. War es dem Management ursprünglich darum gegangen, in der Belegschaft Veränderungsfähigkeit, Lernbereitschaft und persönliche Weiterentwicklung voranzubringen, so sei dies schließlich in den Hintergrund getreten. „Wenn ich mit einer völlig überforderten Organisation zu tun habe, kann ich dort nicht noch neue Themen reinschütten, denn damit vergrößere ich das Problem“, sagt Block. „Nur hat sich das schlicht keiner getraut zu sagen. Denn es herrschte eine für Regionalbanken typische Wohlfühlkultur vor.“
Hohe Arbeitsbelastung
Schließlich seien Knackpunkte, die alle beschäftigten, die ursprünglich aber keiner anzusprechen gewagt habe wie hohe Arbeitsbelastung – unter Absegnung des Vorstands – offen erörtert worden. „Das war schwierig, aber für viele auch wirklich ein Aufatmen“, erinnert sich Block.
Christina Block, Senior Managerin ZEBA weiß nicht, was B macht. C weiß es, sagt es aber nicht, weil er Angst hat, eine auf den Deckel zu bekommen oder weil es nicht sein Verantwortungsbereich ist.
Sie weiß von großer Erleichterung zu berichten, als unbefriedigende Arbeitssituationen endlich zur Sprache gekommen seien. „Manchmal machen vier Leute dasselbe, und keiner weiß voneinander. Oder sie haben Angst vor der Führungskraft. Das sind ja keine sehr speziellen Dinge, sondern sie begegnen uns ständig. A weiß nicht, was B macht. C weiß es, sagt es aber nicht, weil er Angst hat, eine auf den Deckel zu bekommen oder weil es nicht sein Verantwortungsbereich ist.“
Widerstände überwinden
Um nicht in den alten Trott zu verfallen, gilt es, Prozesse zu verstetigen und zu institutionalisieren. Mitarbeiter reden in festen Formaten über alles, was sie belastet und ihnen unfair vorkommt, Resultate von Umfragen werden mit den Führungskräften bis hin zu den Vorständen besprochen. Dabei seien Widerstände zu überwinden gewesen, sagt Block. „Das hat auch wehgetan." Es gehe nicht darum, Schuldige zu benennen oder Führungskräfte unter Druck zu setzen, sondern Dinge im Teamansatz zu verbessern.
"Auch die Vorstandsmitglieder sind gefragt, müssen Aufgaben erledigen oder in den Papierkorb werfen. Und das tun sie dann auch.“ Es entstünden bisweilen Situationen, die vorher undenkbar schienen. Chefs gäben zu, überlastet zu sein und bäten um Unterstützung. „Und auf einmal sind wir in einem Unterstützungsmodus“, berichtet Block. „Dadurch entsteht eine komplett andere Art der Zusammenarbeit.“
Von Schirach bekräftigt: "Wir bewerten keine Menschen, sondern interpretieren und diskutieren Ergebnisse mit den Führungskräften. Und wir versuchen, höchstmögliche Objektivität walten zu lassen, indem wir Benchmarks nutzen.“
Christian von Schirach, Senior Manager ZEBWir kalkulieren für Finanzdienstleister im Schnitt 46.000 Euro an Nachbesetzungskosten.
Ein Arbeitsumfeld, in dem psychologische Sicherheit gewährleistet ist, zahlt sich auch betriebswirtschaftlich aus. Weniger Fluktuation heißt weniger Aufwendungen. „Wir kalkulieren für Finanzdienstleister im Schnitt 46.000 Euro an Nachbesetzungskosten“, sagt von Schirach. Bei einer Fluktuationsrate von 1% in einer Belegschaft von 3.000 Personen kämen allein auf diese Weise fast 1,4 Mill. Euro im Jahr zusammen. Vor allem aber bringt ein solches Arbeitsumfeld zufriedenere, kreativere und effizienter arbeitende Mitarbeiter hervor, und helfe, so Block, Kapazitäten in die richtige Richtung zu lenken statt in unsinnige Projekte.