Zwang zum langen Atem in China
E-Auto-Markt
Zwang zum langen Atem in China
Beim Batterieauto haben westliche Konzerne zwar argen Rückstand auf die quirlige Konkurrenz in China, dafür aber mehr betriebswirtschaftliche Puste.
Von Norbert Hellmann
Wer die Welle spät kommen sieht, muss paddeln wie blöde, um vielleicht doch noch aufspringen zu können. Die tradierten Autokonzerne sind in Chinas hyperaktiver Elektromobilitätsszene gegenüber der lokalen Konkurrenz arg in Verzug geraten. Die große Automesse in Peking macht das deutlich. Chinesische Autobauer sind mit ihrer vollelektrischen Modellpalette oben auf der Welle und können dem Publikum alle möglichen Tricks und Kunststückchen vorführen. Die westlichen Hersteller haben derzeit noch wenig Aufregendes zu bieten. Ihren nach Peking gereisten Konzernchefs obliegt es vielmehr zu erläutern, wie sie mit geballtem Ressourceneinsatz und Trainingsfleiß auch einmal dahin kommen werden.
Ketzerische Frage
Lohnt sich für die etablierten ausländischen Marken der Mega-Aufwand, um auch im Batteriesegment mitzuhalten, lautet die ketzerische Frage. Die Chancen für signifikante Marktanteilsrückgewinne wirken derzeit eher bescheiden. Stellantis oder Mitsubishi haben bereits das Handtuch geworfen. Bei den deutschen Autobauern wird die Frage anders beantwortet. Mit Blick auf den gewaltigen Anteil des China-Geschäfts am Konzernerfolg sind zögerliche Investitionsbereitschaft oder gar Rückzugsgefechte keine Alternative. Sie wollen nun alle Kräfte mobilisieren, um sich bei Produktionsstrukturen, Entwicklungszyklen und Infotainment so chinesisch wie möglich zu machen. Das ist zweifellos die richtige Entscheidung.
Blitzschnelle Verdrängung
Bislang mochte man sich noch damit trösten, dass das profitable Geschäft mit konventionell angetriebenen Fahrzeugen in China noch über Jahre hinweg Erfolge zeitigen würde. Damit ließ sich ein bedächtigeres Tempo bei der parallelen Aufrüstung im Batteriesegment konzernstrategisch rechtfertigen. Das vermeintliche Ruhekissen erweist sich jedoch als dünn. In China geht die Verdrängung des Benzinmotors rasend schnell voran. Jüngst wurde die Marke von 50% bei der Durchdringungsrate geknackt. Erstmals in einem Land übersteigen die Neuzulassungen für vollelektrische und hybride Pkw die der Benziner. Neuen Umfragen zufolge versichern mehr als 95% der chinesischen Verbraucher, dass sie beim nächsten Autokauf ein elektrisches Fahrzeug wählen werden. Das sollte ausreichen, um Restillusionen von einer Stabilisierung der Nachfrage nach konventionellen Pkw zu verscheuchen.
Kontrast zum Westen
Die Situation im weltgrößten Pkw-Markt ist also eine andere als in Europa und den USA. Dort sieht man wachsende Verbraucherskepsis und zuletzt rückläufige Absatzzahlen bei E-Fahrzeugen. Der Tempounterschied bei der E-Auto-Verbreitung zwischen China und dem Rest der Welt macht die Frage der geeigneten Ressourcenaufstellung und investiven Anstrengungen für globale Autokonzerne erst recht knifflig. Immerhin aber haben sie aus dem noch robusten Benziner-Geschäft im Westen heraus genug Reserven, um die Herausforderungen im Reich der Mitte anzugehen.
„Race to the Bottom“
Chinas E-Automarkt ist nur auf den ersten Blick von einer schleichenden Konjunkturmalaise isoliert. Es tobt ein Preiskampf, der die Erfolgsgeschichte der mit Subventionen und Fördergeldern verwöhnten chinesischen Autobauer einem Realitätscheck aussetzt. Dass Einkommensdruck und müde Konsumneigung dem Absatztempo wenig schaden konnten, liegt vor allem daran, dass immer mehr qualitativ akzeptable elektrische Kompaktautos für den schmalen Geldbeutel angeboten werden. Auch in höheren Fahrzeugklassen sieht man ein „Race to the Bottom“ mit teilweise extremen Preisnachlässen, um Marktanteile zu halten.
Überlebenskampf
Die Marketingschlacht erzeugt einen Margendruck, der bedenkliche Proportionen annimmt. Neben dem Volumenprotz BYD gibt es nur eine Handvoll chinesischer Elektroautobauer, die Gewinne schreiben. Goldman Sachs zufolge droht die Profitabilität der gesamten Branche in diesem Jahr ins Negativterritorium zu geraten. Wie man auf der Messe zu hören bekam, wird es bis 2026 dauern, bevor sich VW, BMW und Mercedes adäquater positioniert fühlen können. Wenigstens stecken sie aber nicht in einem Überlebenskampf wie manch chinesischer Konkurrent, dem bis dahin schon die Puste ausgegangen sein könnte.