Schaeffler bekommt mehr Gegenwind nach Übernahme von Vitesco
Corporate Finance Award: Die Preisträger (3) M&A
Schaeffler bekommt mehr Gegenwind
Autozulieferer gelingt strategisch wichtiger Schritt mit Erwerb von Vitesco − Branchenkrise dämpft − Stellenabbau
Von Stefan Kroneck, München
Der 9. Oktober 2023 ging in die Geschichte von Schaeffler ein. An diesem Tag verkündete der Industrie- und Autozulieferer die Übernahme des Antriebsspezialisten Vitesco, wofür er den Corporate Finance Award der Börsen-Zeitung erhält in der Kategorie M&A.
Das war von Vorstandschef Klaus Rosenfeld und vom Aufsichtsratsvorsitzenden Georg Schaeffler per se ein kluger Schachzug. Denn in der Transformation zur Elektromobilität erhöhen Größenvorteile die Wettbewerbsfähigkeit in der Autoindustrie. Der Umbau der Branche sorgt für einen wachsenden Konsolidierungsdruck. Schaeffler wandelt sich mit dem Zukauf zu einem Vollsortimenter.
Die erweiterte Schaeffler-Gruppe rückte näher an die großen drei der Branche - Bosch, ZF und Continental - heran. Das neue Gebilde umfasst einen Jahresumsatz von über 25 Mrd. Euro mit 120.000 Mitarbeitern, davon stellte Vitesco 38.000.
Kostensynergien im Visier
Am Tag der angekündigten Übernahme sprach Rosenfeld von einer „strategischen Logik". Beide Unternehmen seien zusammen stärker. Der CEO versprach Kostensynergien von jährlich 600 Mill. Euro. Diese sollen bis 2029 umgesetzt sein.
Für das SDax-Mitglied war die Akquisition finanziell zu bewältigen. Schaeffler bot zunächst 91 Euro in bar je Vitesco-Aktie, erhöhte die Offerte Ende November 2023 um 3 Euro auf 94 Euro je Titel. Das entsprach einer Bewertung von 3,76 Mrd. Euro. Es waren 120 Mill. Euro mehr als in den ursprünglichen Angebotsunterlagen vorgesehen. Schaeffler trug seinerzeit damit der Kritik des Vitesco-Vorstands Rechnung. Dieser bezeichnete das Angebot als zu niedrig. Die Anleger spekulierten auf eine Nachbesserung. Denn nach dem 9. Oktober 2023 notierte die Vitesco-Aktie, die um 21% sprang, hartnäckig über dem ersten Angebotspreis. Die stimmrechtslose Schaeffler-Vorzugaktie verlor 4,8% auf 5,20 Euro.
Erwarteter Schritt
Der Vorstoß von Schaeffler war erwartet worden. Über Avancen in Richtung Vitesco hatten Anleger schon spekuliert. Die Eigentümerfamilie Schaeffler kontrollierte bereits 49,9% an der einstigen Abspaltung von Continental über eine Beteiligungsholding. An Continental hält der Schaeffler-Clan seit einem missglückten Übernahmeversuch in der Finanzkrise 2008 rund 46%. Aufgrund der Aktionärsstruktur war aus Sicht von Schaeffler die Übernahme gut zu stemmen. Die Familienholding musste ihre Anteile nicht andienen. Die Schaeffler AG berappte dadurch für den vollständigen Erwerb der im Streubesitz befindlichen Anteilscheine insgesamt „nur“ 1,8 Mrd. Euro.
Rosenfeld zufolge arrangierte Schaeffler ein „umfangreiches Finanzierungspaket“. Das schloss eine Brückenfinanzierung ein. Die Großbanken Bank of America, BNP Paribas und Citigroup sicherten die Finanzierung vollständig ab. Anfang 2024 refinanzierte Schaeffler diese Bankdarlehen über zwei Anleiheemissionen im Volumen von insgesamt 1,1 Mrd. Euro.
Im Zeitplan
Die Akquisition ging relativ glatt über die Bühne. Aktionärstreffen von Schaeffler und Vitesco stimmten 2024 dem Zusammenschluss zu. Anfang Oktober vergangenen Jahres, also ein Jahr nach der Ankündigung, wurde Vitesco rechtlich auf Schaeffler verschmolzen. Rosenfeld hielt seinen ambitionierte Zeitplan ein.
Wie geplant wandelte Schaeffler im Zuge der Verschmelzung seine stimmrechtslosen Vorzugsaktien im Verhältnis eins zu eins in Stammpapiere mit Stimmrechten. Dadurch sortierte das Unternehmen das Machtgefüge im Aktionärskreis neu. Die freien Aktionäre verfügen nunmehr über die gleichen Rechte auf Hauptversammlungen wie die Eigentümerfamilie. Unter Rosenfelds Ägide kommt die im Jahr 2015 an die Börse gegangene Schaeffler AG damit dem Modell einer modernen, zeitgemäßen Corporate Governance näher. Rund 70% des Grundkapitals entfällt auf die Familie, 30% befinden sich im Streubesitz.
Flaute mit E-Autos setzt zu
Doch der mit der Neusortierung erhoffte Schwung für die Aktie bleibt bislang aus. Die Branchenkrise überlagert zunehmend das Geschehen. Mitte vergangenen Jahres senkten Schaeffler und Vitesco ihre Jahresprognosen. Die Flaute im Elektromobilgeschäft vor allem in Deutschland und die weltweite Konjunkturschwäche setzen den Unternehmen zu.
Nach der vollzogenen Übernahme spürte Schaeffler immer mehr Gegenwind. Anfang November 2024, nur einen Monat nach der vollzogenen Verschmelzung, gab der Konzern bekannt, in Europa 4.700 Stellen brutto zu streichen. Davon entfallen 2.800 an zehn Standorten in Deutschland. Vitesco ist davon in Regenburg, Nürnberg und Schwalbach betroffen. Die Konzernführung will den Plan von 2025 bis 2027 umsetzen.
Restrukturierung belastet
Schaeffler verspricht sich von dem Personalabbau jährliche Einsparungen von 290 Mill. Euro von 2029 an. Doch zunächst belastet die Maßnahme. Schaeffler räumte ein, dass für Rückstellungen und Kosten für Verlagerungen ein Aufwand von 580 Mill. Euro anfällt.
Ein Jahr zuvor wollte Schaeffler laut Angebotsunterlagen Synergien mit Vitesco über Wachstum realisieren und nicht via Standortschließungen und Personalabbau.
Risiken überwiegen derzeit
Die Entwicklung zeigt, wie rasch sich die Lage zu Ungunsten der Autozulieferer gewandelt hat. Bis sich die Vorteile der Akquisition im operativen Geschäft zeigen, vergeht noch viel Zeit. Es hängt davon ab, wie schnell sich die Nachfrage nach E-Autos in Deutschland erholt. Ex post betrachtet kam die Akquisition zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Schwankungen im Bedarf sind aber Risiken, die man einkalkulieren muss.
Daher wird auch 2025 für Schaeffler schwierig Zur Bilanzvorlage im März sprach Rosenfeld von „Volatilitäten“, die auch dieses Jahr „prägen“. Der Konzern rechnet mit einem operativen Verlust in der Elektrosparte. Der Konzern machte 605 Mill. Euro Miese 2024.
Mit der Übernahme von Vitesco ging der Autozulieferer Schaeffler einen strategisch richtigen Schritt, der sich für das Unternehmen aber noch nicht auszahlt. Schaeffler bekommt die Branchenkrise zu spüren. Statt erhoffter Synergien mit dem Neuerwerb über Wachstum streicht der Konzern Tausende Stellen.
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