Ex-Vorstandschef Fuhrmann wird 65
Von Carsten Steevens, Hamburg
Dreimal im bisherigen Jahresverlauf hat die Salzgitter AG ihre Gewinnprognose für 2021 angehoben. Nach zwei Verlustjahren in Folge sowie dem zweiten Verzicht auf eine Dividendenzahlung seit dem Börsengang im Juni 1998 steuert der zweitgrößte deutsche Stahlproduzent im laufenden Turnus mit aktuell erwarteten 600 bis 700 (i.V. –196) Mill. Euro auf das beste Vorsteuerresultat seit über zehn Jahren hin. Den Auswirkungen der Corona-Pandemie, die sich im Frühjahr und Sommer 2020 in einer stark gesunkenen Stahlnachfrage vor allem aus dem Fahrzeugsektor zeigten, folgte eine für den Konzern erfreuliche Erholung bei Nachfrage und Preisen – eine erfreuliche Entwicklung nicht zuletzt auch für den Ende Juni zum Ablauf seines Vertrags planmäßig in den Ruhestand gewechselten langjährigen Vorstandsvorsitzenden Heinz Jörg Fuhrmann.
Er sei, erklärt der promovierte Eisenhütteningenieur im Gespräch mit der Börsen-Zeitung, „so demütig zu sagen: Du hast mit diesem Timing auch Glück gehabt“. Gerade in der Stahlindustrie sei es in der Vergangenheit nur wenigen vergönnt gewesen, zu einem guten Zeitpunkt auszuscheiden. Die begünstigenden Faktoren von externer Seite waren in den gut 25 Jahren seiner Tätigkeiten im Vorstand der Salzgitter AG „sicherlich sehr übersichtlich“, wie Fuhrmann sagt. Dass der Konzern, an dem Land Niedersachsen als größter Aktionär mit einem Anteil von 26,5% beteiligt ist, sehr solide aufgestellt sei und sich beim wichtigsten Zukunftsprojekt der Branche in Deutschland und Europa, der Dekarbonisierung, in einer sehr guten Ausgangsposition befinde, sei das Ergebnis einer Teamleistung von Management und Belegschaft über viele Jahre hinweg.
„Extremer Glücksfall“
Noch beim Börsengang seien dem heutigen SDax-Unternehmen, das aus der Preussag Stahl hervorging, nur wenige Jahre des Überlebens in Eigenständigkeit prognostiziert worden, erinnert sich der ehemalige Vorstandschef, der von 2001 an für zehn Jahre als Finanzvorstand der Salzgitter AG tätig war. Dann habe sich die auch am Kapitalmarkt kritisierte Übernahme des „Old-Economy-Unternehmens“ Mannesmannröhren-Werke von Vodafone im Jahr 2000 als „extremer Glücksfall“ erwiesen. Auch die Diversifikation des Konzerns etwa mit Übernahme einer Beteiligung am Hamburger Kupferproduzenten Aurubis vorangetrieben zu haben, hebt Fuhrmann ebenso wie den „zum idealen Zeitpunkt“ erworbenen Großteil der benötigten CO2-Zertifikate für die am 1. Januar 2021 begonnene vierte Periode des europäischen Treibhausgas-Emissionshandelssystems hervor.
Eine intensivere Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen bis hin zu einer Fusion habe er nie ausgeschlossen, unterstreicht der aus Duisburg stammende Oldtimer-Liebhaber weiter. Nur habe er bis zu seinem Ausscheiden als Vorstandschef auch „kein Konzept gesehen, was auch geeignet gewesen wäre, den Interessen der Salzgitter AG förderlicher zu sein als die Eigenständigkeit“. Dass sich in diesem Jahr die Papenburg-Gruppe aus Hannover mit einem Anteil von über 10% als zweitgrößter Aktionär etablierte, begrüßt Fuhrmann sehr. Das sei ein weiterer Schritt in Richtung Stabilisierung, die Papenburgs seien ja auch als „niedersächsische Patrioten“ bekannt.
Zu Spekulationen während seiner Amtszeit, die Salzgitter AG könne über die Beteiligung von aktuell knapp 30% hinaus mit dem im MDax gelisteten Kupferproduzenten Aurubis zusammengehen, fügt Fuhrmann hinzu, er persönlich sei stets mehr ein Anhänger eines Multi- Metall- als eines reinen, großen Stahlkonzerns gewesen. Aber die Salzgitter AG könne auch in der gegenwärtigen Konstellation gut weitergeführt werden.
„Denkbare Option“
Wie sein Nachfolger Gunner Groebler (49) zur „denkbaren Option“ eines Multi-Metall-Konzerns stehe, wisse er nicht. Auf jeden Fall dürften Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung wesentliche Bestandteile der überarbeiteten Strategie sein, die der seit Juli amtierende Salzgitter-Chef bis zum kommenden Frühjahr präsentieren will. Zur Wahl des ehemaligen Vattenfall-Managers, der in seinem Berufsleben viel Erfahrung und Expertise im Kontakt mit Politik und öffentlicher Hand, mit Genehmigungsverfahren und Infrastrukturprojekten gesammelt habe, beglückwünscht Fuhrmann seinen früheren Aufsichtsrat. Die Gründe, die bei der Salzgitter AG für den 49-Jährigen gesprochen hätten, seien „sehr nachvollziehbar“.
„No-Go-Area“
Mit dem Stahlkocher fühlt sich Fuhrmann weiterhin verbunden, wie er sagt. Doch nach dem Ausscheiden als Vorstandschef werde er auch jenen Tipp für den Ruhestand beherzigen, dass das ehemalige Büro nun „eine No-Go-Area“ sein müsse. Zu seinen Aufgaben im neuen Lebensabschnitt zählt er Tätigkeiten im Aufsichtsrat des finnischen Edelstahlerzeugers Outokumpu, in den Aufsichtsräten von TÜV Nord und Öffentlicher Versicherung Braunschweig sowie als Senatsvorsitzender der Fraunhofer-Gesellschaft. Ferner gehört er dem noch neuen, von EZB-Präsidentin Christine Lagarde angeführten Klima- und Umweltbeirat der Europäischen Investitionsbank an.
Die neuen Freiheiten will Fuhrmann neben häufigeren Ausfahrten mit seinen Oldtimern für sportliche Aktivitäten wie Tennis und Schwimmen, für Theater- und Konzertbesuche sowie für mehr Urlaub als bislang nutzen. An diesem Sonnabend vollendet er zunächst im engsten Familienkreis sein 65. Lebensjahr.