CO2-Grenzabgabe setzt neue Spielregeln
Von Tobias Faber und Kristina Laewen*)
Nun ist es so weit: Am 14. Juli hat die Europäische Kommission ihr lang erwartetes Klimapaket „Fit for 55“ vorgestellt. Ziel des ambitionierten Pakets ist die Reduzierung der Treibhausgase in der Europäischen Union (EU) auf 55% des Wertes von 1990 bis 2030 sowie die Erreichung vollumfänglicher Klimaneutralität bis 2050.
Das neu aufgelegte Klimapaket enthält neben zahlreichen Förderprojekten und Ausbauplänen für erneuerbare Energien einen CO2-Grenzausgleichsmechanismus, den „EU Carbon Border Adjustment Mechanism“, als zentrales Gestaltungsinstrument. Dieser sieht vor, dass der für die EU geltende CO2-Preis auch auf außerhalb der EU produzierte Güter Anwendung finden soll, sobald diese in die EU eingeführt werden. Dadurch soll einer Verlagerung von CO2-Emissionen in das EU-Ausland zur Umgehung der strengeren Regularien sowie zur Statistikbereinigung, dem sogenannten „Carbon Leakage“, vorgebeugt werden. Abwanderungsbewegungen einzelner Branchen wurden in der Vergangenheit bereits zahlreich beobachtet. Der Mechanismus verfolgt so einen konsequent globalen Ansatz im Sinne des Pariser Übereinkommens, der auf die Reduzierung der absoluten Menge an Treibhausgasen gerichtet ist.
Die Kommission folgt mit der Einführung des Mechanismus einem Beschluss des EU-Parlaments vom 10. März, den dieses auf Initiative des Umweltausschusses gefasst hat. Im Wesentlichen deckt sich der Kommissionsvorschlag mit einem informellen Entwurfspapier, das bereits Anfang des Jahres öffentlich geworden war und in den letzten Monaten in der Presse heftig diskutiert wurde. In einigen Punkten weicht der Kommissionsvorschlag allerdings vom damaligen Entwurf ab, insbesondere bei den Vorstellungen zum institutionellen Umsetzungsrahmen sowie den Übergangsregelungen bis zur voraussichtlich vollständigen Implementierung 2026: Ab dem 1. Januar 2023 werden zunächst reine Meldepflichten für Anbieter aus Drittstaaten statuiert. Um unbillige Härten zu Beginn der Umsetzung zu vermeiden, sieht der Kommissionsvorschlag sodann eine Schritt-für-Schritt-Regelung vor, nach der der Mechanismus zunächst nur wenige und sukzessive mehr Sektoren erfassen soll. In einer ersten Phase soll mit einer Abgabe auf die Einfuhr von Zement, Elektrizität, Düngemitteln sowie diverser Eisen-, Stahl- und Aluminiumgüter begonnen werden, da die Kommission in diesen Sektoren ein besonders hohes Risiko für Carbon Leakage ausgemacht hat.
Höhere Kosten
Maßgeblich für die Höhe der Abgabe soll der Preis sein, den Unternehmen im Wochendurchschnitt für die Ersteigerung von EU-Emissionszertifikaten im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems (EU-ETS) hätten zahlen müssen. Mit Blick auf die CO2-Bilanz werden in die EU eingeführte Güter im Ergebnis einem in der EU hergestellten Produkt gleichgestellt. Hierzu haben die drittstaatlichen Händler zu belegen, wie viel CO2 sie im Produktionsvorgang erzeugt haben. Das schließt neben Herstellungs- und Materialkosten auch Transport und Stromerzeugung ein. Abgezogen werden können jedoch Kosten, die Unternehmen in ihrem drittstaatlichen Heimatland für den CO2-Verbrauch aufbringen müssen. Stichtag für die Erklärung der angefallenen Emissionen ist jeweils der 31. Mai des Folgejahres.
Können die Drittstaatenanbieter den Nachweis nicht führen, werden Durchschnittswerte erhoben. Dabei soll ein strenger Maßstab gelten: Bei der Bildung eines Durchschnittswertes kommt es deshalb nicht auf den tatsächlichen Schnitt in der Union an, da Importeure sonst unberechtigt von einer Zunahme der erneuerbaren Energien in der Union profitieren würden. Stattdessen wird auf den Durchschnittswert für die Erzeugung aus fossilen Energieträgern abgestellt. Ausgenommen von der Drittstaatenregelung sind Island, Norwegen und Liechtenstein, da sie bereits Teil des EU-ETS sind.
Zuständig für die Registrierung der Importeure, die Überprüfung der angegebenen Kennzahlen sowie für die Abwicklung der Abgabe sollen die nationalen Behörden der Mitgliedstaaten sein. Die Kommission übernimmt lediglich Koordinierungsaufgaben. Im ursprünglich geleakten Entwurf war noch über die Schaffung einer EU-eigenen Behörde diskutiert worden.
Für Drittstaaten, deren Unternehmen in die EU importieren, könnten diese erhöhten Kosten erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen haben. Preissteigerungen im zwei- bis dreistelligen Prozentbereich dürften mit Zunahme des CO2-Preises keine Seltenheit sein. Allerdings sind Abweichungen möglich: Erstens bietet der Kommissionsentwurf die Möglichkeit, einzelne Staaten von der Abgabepflicht zu befreien. Voraussetzung dafür ist die Einführung eines mit dem EU-ETS verknüpften Emissionshandelssystems nach europäischem Vorbild. Eine solche Vereinbarung besteht derzeit mit der Schweiz und wird mit dem Vereinigten Königreich künftig noch auszuhandeln sein.
Zweitens kann der Drittstaat es seinen Unternehmen durch den Aufbau entsprechender Infrastruktur im eigenen Land ermöglichen, klimaschonender zu produzieren, wodurch die an die EU zu leistenden CO2-Kosten gesenkt werden. Drittens kann zumindest die Richtung der Abgaben umgelenkt werden; sind durch Gesetze im Drittstaat selbst CO2-Abgaben erforderlich, fließt das durch die Unternehmen zu zahlende Geld statt an die EU an den jeweiligen Drittstaat.
Insgesamt werden die Details des Kommissionsvorschlags überwiegend wohlwollend aufgenommen. Der Mechanismus schafft einen Anreiz, in Drittstaaten klimaneutrale Produktion zu ermöglichen beziehungsweise zu fördern – beispielsweise über CO2-frei erzeugten Strom oder wasserstoffbasierte Energieerzeugung – oder überflüssigen CO2-Ausstoß durch Abgaben zu sanktionieren. Gleichzeitig wird der Auslagerung energieintensiver Arbeitsschritte in Drittländer effektiv begegnet.
Mit Handelsregeln vereinbar?
Noch steht nicht fest, was mit den Einnahmen geschehen soll: Um einen wirkungsvollen Klimaeffekt zu entfalten, wäre eine Zweckbindung, wenigstens aber ein Vorrang für klimapolitische Projekte wünschenswert. Andernfalls droht eine bloß künstliche Verteuerung energieintensiver Güter, da mit einer Weitergabe der Kosten an die Endkunden zu rechnen ist. Die Preissteigerung allein wird vor diesem Hintergrund wenig ausschlaggebend für die Verbesserung der Situation sein. Interessant wird sein, wie die EU die CO2-Grenzabgabe mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) vereinbar machen wird. Der Mechanismus darf nicht zu einer protektionistischen Maßnahme werden, die EU-heimischen Waren einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Vor allem gegenüber Entwicklungs- und Schwellenländern, denen es schwerfallen dürfte, die Umweltstandards der EU zu erreichen und die gleichzeitig auf einen freien Marktzugang angewiesen sind, um wettbewerbsfähig zu sein, wird noch zu prüfen sein, ob das Instrument einer CO2-Abgabe mit europäischen Referenzwerten tatsächlich ein geeignetes ist.
Zusätzlich bleibt abzuwarten, was der Mechanismus für solche Unternehmen bedeutet, die in der EU produzieren und ihre Erzeugnisse exportieren. Sie sind auf Märkten in Drittstaaten im Nachteil, wenn sie bei der Produktion Abgaben an die EU zahlen müssen, diese Zahlungen bei der Ausfuhr aber nicht ausgeglichen werden. Der Entwurf sorgt so nur für Wettbewerbsgleichstellung auf Märkten innerhalb der EU.
Abzuwarten bleibt auch, ob die betroffenen Drittstaaten eine solche exterritoriale Rechtssetzung der Union dulden, oder ob es gar zu diplomatischen Verstimmungen mit Gegenmaßnahmen kommen wird. Die nächsten Schritte des EU-Gesetzgebungsprozesses werden entscheidend sein und dem Mechanismus, so er denn tatsächlich zustande kommt, sein finales Gepräge geben. Sowohl das EU-Parlament als auch der Rat der EU müssen dem Vorschlag noch zustimmen. In jedem Fall bleibt Unternehmen, die für ihre Güter auf den Im- und Export aus Drittstaaten angewiesen sind, zu raten, auch ihre Produktionsstandorte im EU-Ausland konsequent auf grüne Energien umzustellen. Dies könnte beispielsweise durch eine auf grünem Wasserstoff basierende Herstellung von Endprodukten wie Düngemitteln geschehen.
*) Dr. Tobias Faber ist Partner und Kristina Laewen Associate von Hogan Lovells.