Digitalisierung

Investitionen in Infrastruktur 4.0

Der technologische Fortschritt muss bei Infrastrukturprojekten mitgedacht und integriert werden. Für Berater hält der Bereich viele Herausforderungen bereit.

Investitionen in Infrastruktur 4.0

Von Philipp Osteroth *)

Der Markt befindet sich derzeit am Beginn eines Infrastruktur-Booms, der durch den Bedarf an und die Bereitschaft zu Investments in deutsche und europäische Infrastruktur be­günstigt wird. Private Investoren und die öffentliche Hand sind gleichsam willens, erhebliche Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, um die europäische Wettbewerbsfähigkeit im globalen Kräftemessen zu erhalten und wirtschaftliches Wachstum zu stärken.

Vor dem Hintergrund des technologischen Fortschritts als Innovationstreiber richtet sich der Blick zunehmend auch auf den Bereich der Infrastruktur 4.0 – ohne den die Digitalisierung nicht gelingen kann. Der vom World Economic Forum im Mai 2021 geprägte Begriff beschreibt, was sich bereits lange vorher abgezeichnet hat: Für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft muss die Infrastruktur der zunehmenden Digitalisierung ge­wachsen sein und technologischer Fortschritt bei Infrastrukturprojekten mitgedacht und integriert werden. Diese Prämisse hat eine Umkehr bewirkt. Nach einem jahrzehntelangen Rückgang von Infrastrukturinvestments hat sich die Nachfrage nach technologiegetriebener Infrastruktur zu einer obersten Priorität entwickelt.

Investitionssummen steigen

Die Herausforderungen an eine zukunftsfähige Infrastruktur sind dabei mannigfaltig. Um der Komplexität sich anbahnender Umwälzungen im Bereich der Infrastruktur gerecht zu werden, bilden sich Allianzen zwischen Marktteilnehmern, die vor einiger Zeit nicht denkbar gewesen wären. Diese neuen Allianzen führen wiederum zu einer neuen Art von M&A-Geschäft.

Schon zu Beginn des letzten Jahres zeigte sich ein Anstieg von Transaktionen mit einem Bezug zur Infrastruktur 4.0 sowie ein insgesamt stark gestiegenes Investitionsvolumen. Diese Entwicklung setzt sich seitdem ungebremst fort. Stabile Einkommensaussichten gepaart mit attraktiven Renditeerwartungen machen Investitionen in Infrastruktur 4.0 zu einer vielversprechenden Asset-Klasse für Private-Equity-Investoren, institutionelle Anleger sowie Infrastrukturfonds, die ihr verfügbares Kapital im letzten Jahrzehnt um 235 % steigern konnten.

Der Trend zu steigenden Investitionssummen wird dadurch verstärkt, dass Projekte im Bereich Infrastruktur 4.0 in der Regel mit geltenden ESG-Kriterien in Einklang stehen, was für Investoren von immer größerer Be­deutung ist. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die betreffenden Projekte eine Effizienz- und Effektivitätssteigerung der Infrastruktur anstreben, sozial verantwortliche und umweltbewusste Geschäftsmodelle fördern und die Steigerung der Lebensqualität der gesamten Gesellschaft bezwecken.

Die Investitionssummen erreichen trotz zuletzt – aufgrund der zahlreichen geopolitischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten – allgemein eher abflauender M&A-Tätigkeit ständig neue Höchststände historischen Ausmaßes und führen zu großvolumigen, grenzüberschreitenden und komplexen Transaktionen sowie gemeinsamen Investitionen verschiedenster Partner.

Die Marktveränderungen spielen sich dabei in jedem Bereich der Infrastruktur ab. Betrachtet man etwa den Bereich der Mobilitätsinfrastruktur führen wichtiger werdende Umweltbelange, steigender politischer Druck und Veränderungen des Kundenverhaltens zu wesentlichen Marktverschiebungen. Wissenschaftliche und technologische Verbesserungen in Bereichen wie künstliche Intelligenz, automatisiertes Fahren oder Ersatz fossiler Brennstoffe durch elektrische Antriebe oder wasserstoffbetriebene Fahrzeuge machen erhebliche Investitionen im Bereich der Mobilitäts­infrastruktur notwendig.

Der öffentliche Sektor hat bereits auf den zu erwartenden Investitionsbedarf reagiert und 30 Mrd. Euro für europäische Infrastrukturprojekte zwischen 2021 und 2027 im Rahmen des Projektes Connecting Europe bereitgestellt. Das Ziel dieses Investitionspaketes der Europäischen Union ist die Unterstützung von Mobilitäts- und Logistikinfrastrukturprojekten unter Beachtung von Digitalisierungsaspekten.

Wichtigster Logistik-Hub

Gerade im Bereich der Logistik­infrastruktur spielt der deutsche Markt mit seiner Lage im Herzen des Kontinents als wichtigster Logistik-Hub mit Zugang zu 500 Millionen Kunden in Europa eine entscheidende Rolle. Der Logistikmarkt der größten europäischen Volkswirtschaft beheimatet dabei sowohl Weltmarktführer als auch immer mehr aufstrebende Start-ups, die sich technischer Lösungen bedienen, um den zahlreichen Herausforderungen wie etwa dem steigenden Kostendruck oder der durch E-Commerce rapide gestiegenen Nachfrage nach Logistiklösungen zu begegnen.

Da globale Giganten bei steigenden Kundenerwartungen und technologischen Vorteilen agilerer Wettbewerber ihre Marktmacht herausgefordert sehen, suchen sie nach Investitions- und Übernahmemöglichkeiten im Hinblick auf andere Marktteilnehmer.

Die Reihe der sich im Umbruch befindenden Bereiche der Infrastruktur lässt sich endlos fortsetzen: Marktverschiebungen zeigen sich im Bereich der Telekommunikations­infrastruktur (etwa beim Glasfaserausbau), in der Energieinfrastruktur (etwa bei der Umnutzung von Gasnetzen für die zukünftige Wasserstoffversorgung) oder in der Sicherheitsinfrastruktur (etwa bei der zunehmenden Nutzung von Cloud-Lösungen). Schließlich macht die Digitalisierung auch vor der Verteidigungsinfrastruktur keinen Halt.

Diesem Bereich wurde in Deutschland jahrzehntelang wenig Aufmerksamkeit geschenkt, obgleich er einen wichtigen Beitrag zur europäischen Wirtschaftskraft mit einem jährlichen Umsatz von etwa 100 Mrd. Euro und mehr als 360 000 hoch qualifizierten Arbeitskräften liefert.

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und weitere Krisenherde in der Welt führen hier zu steigenden Ausgaben. Es ist zu erwarten, dass auch kurz- und mittelfristig mehr Transaktionen von liquiditätsstarken Unternehmen mit Bezug zur Verteidigungsinfrastruktur zu sehen sein werden, die Übernahmen von Unternehmen mit Schlüsselfähigkeiten bei sich entwickelnden Technologien für langfristiges Wachstum priorisieren.

Aus Beratersicht hält der Bereich der Infrastruktur 4.0 ebenso viele Herausforderungen parat wie für alle sonstigen Marktteilnehmer. Zum einen treffen bei den jeweiligen M&A-Projekten häufig sehr unterschiedliche Interessen – auch in Form echter Zielkonflikte – aufeinander; insbesondere, wenn ein Kapitalpartner sich einem operativen Partner an die Seite stellt. In solchen Fällen liegt ein Hauptaugenmerk auf der interessengerechten Regelung von Exit-Möglichkeiten – gerade wenn der Kapitalpartner sich lediglich zeitlich begrenzt beteiligen möchte.

Ein Exit kann zeitlich ausgeschlossen und danach durch Vorkaufs- oder Mitverkaufsrechte zu­gunsten des operativen Partners abgesichert werden. Auf der anderen Seite wird der Kapitalpartner regelmäßig eine Mitverkaufspflicht des operativen Partners verlangen, sodass ein Exit bezüglich der gesamten Unternehmung möglich ist. Gemeinsam kann ein Exit auch über IPO-Klauseln ausgestaltet werden. Die unterschiedlichen Interessen gilt es zu identifizieren und in der Transaktionsdokumentation auszubalancieren.

Zum anderen befinden sich gerade die regulatorischen Rahmenbedingungen regelmäßig noch im Fluss, sodass die weitere Gesetzgebung gerade bei langfristigen Projekten vorhergesehen und bestmöglich reflektiert werden muss. Schließlich bedarf es im Hinblick auf die häufig auftretenden Joint-Venture-Konstellationen auch eines gewissen Weitblicks dahingehend, dass auch problematische Projektphasen einvernehmlich oder durch Auflösung der gemeinsamen Investition gelöst werden können. In diesem Zusammenhang wird insbesondere um die Gestaltung der Klauseln für den Fall eines sogenannten Deadlock – also einer Situation, in der die Partner nicht einig sind, wie eine Anpassung des Geschäftsmodells oder des Businessplans vonstattengehen soll – heftig gerungen. Die Regelungsmöglichkeiten sind beinahe grenzenlos und geben Raum für Kreativität, um für die verschiedenen Interessen die bestmögliche Einigung zu finden.

*) Dr. Philipp Osteroth ist Partner im Bereich Corporate/M&A der Wirtschaftskanzlei Greenberg Traurig.