Für wen die Ampel auf Rot springt
Vermögensverwalter wollen mit scharfer Klinge die unliebsamen Elemente aus ihren Nachhaltigkeitsprodukten heraustrennen: Zahlreiche Fonds mit grünem und sozialen Fokus schließen daher gleich ganze als schmutzig geltende Industrien aus dem Portfolio aus. Ausschlusskriterien seien als Druckmittel wichtig, um auf eine nachhaltigere Wirtschaft hinwirken zu können, betont Henrik Pontzen, Leiter der Abteilung ESG im Portfoliomanagement bei Union Investment. „Ohne diese Drohgebärde kämpfen wir mit stumpfen Schwertern und können im Unternehmensdialog nicht glaubwürdig Druck machen“, sagt der Nachhaltigkeitsstratege im Gespräch mit rendite. Ein Ausschluss sei allerdings dann am effektivsten, wenn er erst gar nicht zum Einsatz kommen müsse. Denn auch wenn Ausschlusskriterien zu rigide seien, verlören sie ihre Kraft.
Auch nach Ansicht von Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investment, sind sehr strenge Ausschlusskriterien und ein transformativer Charakter des Portfolios nicht miteinander vereinbar. „Wenn ein Portfolio eine extrem hohe Nachhaltigkeitsqualität besitzen soll, dann haben die enthaltenen Emittenten die Transformation entweder schon durchlaufen oder bereits sehr weit abgeschlossen“, sagt der Fondsprofi. „Um eine möglichst große Wirkung in Bezug auf den Wandel zu einer grüneren und sozialeren Wirtschaft zu erzielen, ist eine weitmaschigere Filterung notwendig.“ Wer die Nachhaltigkeitskriterien sehr hoch ansetze, beraube sich schließlich auch der Gestaltungsmöglichkeiten. „In Unternehmen, bei denen ein Investor noch eine große Veränderung zum Positiven erreichen könnte, ist er dann im Zweifel gar nicht mehr investiert“, führt Speich aus.
Rheinmetall ausgeschlossen
Gewisse Kriterien, mit denen Investoren die schwarzen Schafe aus dem Portfolio herausfilterten, seien zwar sinnvoll. Diese sollten aber nicht so scharf ausfallen, dass vielversprechende Transformationskandidaten nicht einbezogen würden. Bei der Deka springen die Ampeln für Unternehmen mit Beteiligung in problematischen Branchen wie Rüstung, Waffen und Atomenergie grundsätzlich auf Rot, mit Blick auf die Praktikabilität teils ab einem Umsatzanteil von 5 %. Mit Airbus findet ein schwerer Dax-Wert, der über 20 % seiner Erlöse über die Rüstungssparte erzielt, dadurch ebenso wenig Aufnahme wie die im MDax vertretene Rheinmetall. „Die fünfprozentige Umsatzgrenze reicht in der Regel aus, um den Rüstungssektor komplett auszuschließen, da dieser sehr stark konsolidiert ist“, führt Speich aus.
DJE Kapital zieht in Bezug auf Rüstung ebenfalls harte Grenzen. „In unseren Fonds findet sich kein Unternehmen, das mehr als 5 % seines Umsatzes mit Waffen erzielt“, betont Richard Schmidt, Leiter Multi-Asset und ESG sowie Fondsmanager bei dem in Pullach ansässigen Vermögensverwalter. Damit würden auch zahlreiche Zulieferer, zum Beispiel aus dem Bereich der hochpräzisen Optik, ausgeschlossen.
Daran ändere auch der Ukraine-Krieg und die damit einhergehende Diskussion, ob Rüstung als nachhaltig einzustufen sei, nichts. „Es ist aus unserer Sicht sehr schwierig, zwischen sogenannten Defensiv- und Offensivwaffen zu unterscheiden – eine Panzerfaust, die zur Panzerabwehr intendiert ist, kann eben auch zum Angriff gebraucht werden“, führt Schmidt aus. Der Ausschluss von Rüstungskonzernen begrenze im aktuellen Umfeld zwar die Performance. Die DJE-Kunden teilten aber größtenteils die Einschätzung, dass Waffen nicht nachhaltig seien.
Auch bei Union Investment hat sich die Bewertung der Rüstungs- und Waffenindustrie durch den Krieg in der Ukraine nicht geändert. „Waffen sind notwendig, da Staaten wie die Ukraine ihre Freiheit nicht für gegeben ansehen können und diese auch verteidigen können müssen“, sagt Pontzen. Damit sei Rüstung aber nicht nachhaltig und auch für die ESG-Produkte von Union Investment nicht investierbar.
„Wir unterstützen die Verteidigungsfähigkeit freiheitlicher Staaten allerdings mittelbar“, betont Pontzen. Das im Bundeshaushalt für 2022 angelegte Sondervermögen von 100 Mrd. Euro, aus dem auf Jahre hinaus der Mehrbedarf der Bundeswehr finanziert werden solle, speise sich schließlich aus der Staatsverschuldung. „Das Geld kommt also vom Kapitalmarkt, der Bundesanleihen kauft und damit Investitionsmittel zur Verfügung stellt“, sagt Pontzen. Genauso geschehe es mit den Bonds anderer freiheitlicher Staaten, die Staatsanleihen von Russland und Belarus fänden dagegen schon seit Jahren keine Aufnahme mehr in die nachhaltigen Fonds von Union Investment.
Aufspaltungen vorstellbar
„Wir müssten unseren Ausschluss von Rüstung bei nachhaltigen Fonds nur dann überdenken, wenn die Rüstungsunternehmen nicht ausreichend kapitalisiert wären, weil der gesamte Kapitalmarkt grün wäre und deshalb nicht in Waffen investierte“, sagt Pontzen. Dies sei aber nicht der Fall. Denn wenngleich der Anteil nachhaltiger Investitionen rasant wachse, kaufe der Großteil der Kapitalmarktteilnehmer immer noch Rüstungshersteller. Neben Airbus bleibt mit MTU Aero Engines ein weiterer Dax-Titel ebenso aus den nachhaltigen Produkten von Union Investment ausgeschlossen wie Rheinmetall. „In Zukunft ist aber sicher vorstellbar, dass Rüstungskonzerne ihre Sparten für zivile Anwendungen abspalten und diese für Nachhaltigkeitsinvestoren zugänglich werden“, führt Pontzen aus.
Der Ukraine-Krieg hat indes nicht nur eine Diskussion über das Nachhaltigkeitslevel der Rüstungsbranche entfacht, sondern auch die Debatte um die Bewertung von Atomenergie befeuert. So hat die EU-Kommission trotz massiver Kritik beschlossen, Kernkraft als grün einzustufen. Dies stellt die Fondsbranche vor Herausforderungen. „Wir haben uns die Entscheidung in Bezug auf die Kernenergie nicht leicht gemacht, da Atomkraftwerke sehr viel CO2 einsparen“, sagt DJE-Manager Schmidt. Die Niederlande, Frankreich und Großbritannien planten den Bau neuer AKW und selbst Polen bewege sich von der Kohle in Richtung Nuklearenergie. „In Deutschland und Österreich hält sich wegen der ungelösten Endlagerfrage aber eine ganz klare Abneigung gegen Kernkraft, dies war letztlich das entscheidende Argument für einen Ausschluss aus unseren Nachhaltigkeitsfonds“, unterstreicht Schmidt.
DWS differenziert
Dass Unternehmen maximal 5 % ihrer Erlöse in kontroversen Sektoren erzielen dürfen, um Aufnahme in Nachhaltigkeitsfonds zu finden, ist inzwischen üblich. Etwas anders handhabt es die DWS, die in ihren Produkten je nach Klassifizierung im Rahmen der EU-Offenlegungsverordnung zunächst unterschiedliche Grenzwerte für die Beteiligung eines Unternehmens in kritischen Industrien anwendet. „Für nach Artikel 8 ausgezeichnete Produkte ohne expliziten Nachhaltigkeitsfokus darf der Anteil der Erlöse, den ein Unternehmen im Sektor Rüstung erzielt, 10 % nicht übersteigen“, sagt Dennis Hänsel, Leiter des ESG Advisory bei der Fondstochter der Deutschen Bank. „Bei zivilen Handfeuerwaffen, im Ölsandabbau oder bei Tabakerzeugnissen darf der Schwellwert von 5 % nicht übertroffen werden.“ In Produkten mit explizitem Nachhaltigkeits-Label werden darüber hinaus Unternehmen ausgeschlossen, die 5 % ihres Umsatzes oder mehr mit Pornografie, Glücksspiel oder Nuklearenergie verdienen, und der Grenzwert für Rüstung wird von 10 % auf 5 % gesenkt.
„Eine Umsatzgrenze von 0 % birgt die Gefahr, Lieferanten und sonstige Unternehmen auszuschließen, die im Kern überhaupt nichts mit dem kontroversen Sektor zu tun haben“, betont Hänsel. Deshalb habe die DWS eine solche Null-Toleranz-Schwelle in allen Artikel-8- und -9-Fonds nur für kontroverse Waffen eingezogen. „Es gibt aber eben auch Sektoren wie etwa Tabak, in denen eine Umsatzgrenze von 5 % die gleiche Wirkung hat wie eine Schwelle von 50 %“, sagt der Experte. Schließlich seien diese Branchen stark durch spezialisierte Unternehmen gekennzeichnet.
Grenzen für thermische Kohle
Zudem existiert in DWS-Fonds mit ESG-Label eine Umsatzgrenze von 15 % für thermische Kohle. In Bezug auf Kohleförderung und -Verstromung bestünden große Unterschiede zwischen der Motivation und zukünftigen Geschäftsstrategie der einzelnen Unternehmen. Einige Versorger hätten ihre Anteile der Erlöse durch Kohleverstromung zum Beispiel auch aufgrund neuer Geschäftsopportunitäten oder des politischen und gesellschaftlichen Drucks auf 10 bis 15 % heruntergeschraubt, andere verfolgten weniger hohe Ambitionen und stünden noch bei 25 bis 30 %.
„Wir dürfen unsere Kunden nicht mit zu vielen verschiedenen Kriterien verwirren, doch die heterogene Ausprägung der Sektoren macht eine differenzierte Abgrenzung durch unterschiedliche Grenzwerte notwendig“, unterstreicht Hänsel. Schließlich müssten Fondsanbieter auch erklären können, warum sie bei einigen Unternehmen investiert blieben und bei anderen nicht. „Bei Tabak ist eine Transition natürlich schwer zu erreichen, dagegen haben viele Versorgungsunternehmen schon eine klare Strategie, wie sie langfristig aus der Kohleverstromung aussteigen wollen“, sagt Hänsel. „Diese Gesellschaften wollen wir begleiten und den Transformationsprozess beschleunigen.“ Aus diesem Grund fielen die Umsatzgrenzen für thermische Kohle höher aus als für andere kritische Geschäftsfelder.
Die Deka setzt die Grenzen für Kohle noch höher an und investiert nicht in Unternehmen, die mehr als 30 % Umsatzanteil in der Kohleförderung und mehr als 40 % in der Kohleverstromung generieren. „Alles, was darüber hinausgeht, sind reine Kohleproduzenten – bei diesen funktioniert die Transformation im Rahmen der Energiewende nicht mehr so schnell, wie die Regulierung Veränderungen fordert“, sagt Nachhaltigkeitschef Speich.
Union Investment schließt unterdessen Unternehmen aus Publikumsfonds aus, die mehr als 5 % ihrer Erlöse aus der Kohleförderung bzw. mehr als 25 % aus der Kohleverstromung generieren. „Dies werden wir in den nächsten Jahren auf 0 % herunterfahren“, sagt Pontzen. „Für uns als aktiven Assetmanager ist zugleich aber wichtig, dass wir im begründeten Einzelfall von rigiden Grenzen abweichen können, um eine positive Transformation zu unterstützen.“ In der Vergangenheit habe der Bergbaukonzern Anglo American zwar die Grenze von 5 % in der Förderung thermischer Kohle überschritten, aber eine glaubhafte Strategie zum Erreichen von Klimaneutralität vorgelegt. „Wir sind daher investiert geblieben – was sich bezahlt gemacht hat, da das Unternehmen den kritischen Teil des Geschäfts abgespalten hat und sich somit unterhalb unserer Ausschlussgrenzen bewegt“, berichtet Pontzen.
RWE als Zukunftswert
RWE-Aktien seien für die nachhaltigen Union-Fonds aufgrund der Ausschlusskriterien für Nuklearenergie und Kohleverstromung aktuell hingegen nicht investierbar. „Dies wird sich auf absehbare Zeit aber ändern“, prognostiziert Pontzen. Schließlich sei die Abschaltung der Atomkraftwerke zum Jahresende bereits beschlossen, der Anteil der Kohleverstromung werde durch den Ausbau erneuerbarer Energien unter den Schwellwert sinken. „Damit ist das Unternehmen perspektivisch ein Transformationskandidat“, sagt Pontzen.
„Bei der Beurteilung des CO2-Ausstoßes geht es auch darum, wie glaubhaft die Unternehmen in ihren Reduktionsbemühungen sind“, sagt DJE-Fondslenker Schmidt. Manager argumentierten häufig damit, dass ihre Firmen großes Einsparpotenzial besäßen. „Dies liegt in vielen Fällen aber daran, dass die Unternehmensführung in den vergangenen Jahren zu geringe Anstrengungen in Bezug auf den Klimaschutz unternommen hat“, kritisiert Schmidt. Proaktive Unternehmen hätten es nicht nötig, auf öffentlichen Druck hin ihre Transition Story zu verkaufen. Der persönliche Dialog mit dem Management sei daher für Vermögensverwalter sehr wichtig, um die Nachhaltigkeitsbemühungen der Unternehmen fundiert einschätzen zu können.
Die Transformationsratings von Union Investment werden laut Pontzen mindestens einmal im Jahr aktualisiert. „In der Zwischenzeit suchen wir den intensiven Kontakt mit den Unternehmen, um sicherzustellen, dass diese ihre Nachhaltigkeitsambitionen glaubhaft verfolgen“, sagt der ESG-Experte. Sollte ein Unternehmen Versprechungen nicht einhalten, erhöhe Union Investment in Gesprächen den Druck. Fruchte dies nicht, stimme die Investmentgesellschaft auf der Hauptversammlung des betreffenden Unternehmens gegen wichtige Punkte und kritisiere Nachhaltigkeitsverstöße öffentlich. „Zudem nutzen wir häufig die Möglichkeit, uns mit anderen Investoren zusammenzutun“, führt Pontzen aus. Erst wenn dann noch keine Lösung in Sicht sei, ziehe sich Union Investment strategisch aus der Anlage zurück.
„Dass wir vergleichsweise lange investiert bleiben, ist keine Feigheit, sondern zeigt, dass wir Nachhaltigkeit ernst nehmen“, sagt Pontzen. Schließlich bedeute der Ausschluss eines Unternehmens einen Verkauf der entsprechenden Wertpapiere. „Per Definition heißt dies, dass ein anderer Investor den Titel kauft – damit lösen wir das Problem nicht, sondern delegieren es nur“, unterstreicht der Anlagestratege. Wer die Zukunft nachhaltig gestalten wolle, müsse in entsprechende Lösungen investieren. Grüne Finanzinstrumente von RWE seien beispielsweise schon heute anders zu beurteilen als Dividendentitel des Konzerns. „Wir können Green Bonds, Social Bonds und weitere festverzinsliche Papiere eines ausgeschlossenen Unternehmens kaufen, wenn diese den Ausschlussgrund positiv adressieren“, erläutert Pontzen. Ein Social Bond, über den RWE einen Betriebskindergarten finanzieren wolle, gehöre beispielsweise nicht ins Nachhaltigkeitsportfolio. Ein Green Bond, über den RWE Mittel für den Bau eines Windparks aufnehmen wolle, sei für Nachhaltigkeitsinvestoren dagegen durchaus gangbar. „Es handelt sich um eine Einzelfallabwägung: Wir würden diese grüne Anleihe nur kaufen, wenn dies gemäß unserer fundamentalen Analyse und Risikobewertung ein sinnvoller Schritt wäre“, sagt der ESG-Experte.
Aus Sicht der Deka spielt die Bewertung der Nachhaltigkeit des Emittenten indes eine genauso große Rolle wie die Einstufung der Projekte, für die aufgenommene Mittel designiert sind. „So hatten wir zuletzt einen Green Bond aus Brasilien, der sauber aussah – bei der genaueren Analyse haben wir dann aber festgestellt, dass das Unternehmen mit den Erlösen eine Kameraüberwachung in großen brasilianischen Städten aufbauen wollte“, berichtet Speich. „Aus unserer Sicht könnte dies zur Unterstützung undemokratischer Strukturen beitragen, weshalb wir den Green Bond dann auch nicht gezeichnet haben.“
Würde andererseits der französische Stromproduzent Électricité de France (EDF) einen Green Bond auflegen, um einen Windpark zu finanzieren, käme dieser für die Deka ebenfalls nicht infrage. Denn der Emittent verstoße in diesem hypothetischen Fall durch seine Beteiligung an der Atomstromproduktion gegen Ausschlusskriterien. Das Engagement in als schmutzig geltenden Industrien stelle ein Risiko für die Zahlungsfähigkeit des Emittenten dar, negative Folgen strahlten im Zweifel auf die Spreads der grünen Anleihe ab. Auch Green Bonds von RWE fänden daher keine Aufnahme in ESG-Produkte der Deka. Die unterschiedlichen Abwägungen unterstreichen, wie wichtig es für Vermögensverwalter ist, bei Ausschlusskriterien nicht nur mit scharfer, sondern auch mit feiner Klinge zu fechten.