EU–Taxonomie

Teure Transparenz

Seit dem 1. Januar wird europaweit die Taxonomie umgesetzt. Doch das neue Klassifizierungssystem ist umstritten. Aktuell ist das EU-Projekt noch eine riesige Baustelle. Anleger dürfen sich auf ein ganz neues Level an Transparenz freuen.

Teure Transparenz

Ende März platzte dem Europaabgeordneten Markus Ferber der Kragen. Nachdem die Plattform für nachhaltige Finanzierung – das zentrale Beratergremium der EU-Kommission in Sachen Taxonomie – noch mehr Vorschläge auf den Tisch gelegt hatte, wie das neue Klassifizierungssystem noch weiter verfeinert werden kann, wetterte der CSU-Finanzexperte: „Es geht schon lange nicht mehr darum, Transparenz für Investoren herzustellen, sondern darum, die Welt in gut und böse einzuteilen.“ Was die Plattform vorschlage, sei „Staatswirtschaft par excellence“ und schaffe außer Bürokratie keinerlei Mehrwert. „Wenn diese Vorschläge umgesetzt würden, werden in Europa ganze Wirtschaftszweige den Bach runtergehen“, warnte Ferber, der mit seiner Kritik nicht allein dasteht. Gerade die immer neuen Berichtspflichten sind für Unternehmen ein Ärgernis. Selbst der Chef des Münchener Ifo-Instituts, Clemens Fuest, geißelte die Taxonomie jüngst schon als „Planwirtschaft“. Es sei absurd, eine Liste wirtschaftlicher Aktivitäten aufzuschreiben, um dann zu entscheiden, was gefördert werde und was nicht.

Dabei war und ist dies ja gar nicht der Sinn des Brüsseler Großprojekts. Die EU-Taxonomie sollte keinesfalls eine verpflichtende Investitionsliste erstellen, die finanzielle Performance einer Investition beurteilen oder jedes Unternehmen in schwarz oder weiß einteilen. Vielmehr geht es darum, eine europaweit gemeinsame Sprache bei der Frage zu finden, was ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten sind und was nicht. Die Taxonomie soll dem Markt leichter zugängliche und besser vergleichbare Nachhaltigkeitsinformationen bereitstellen. Sie soll so Investoren und auch den Unternehmen bei ihren Investitionsentscheidungen helfen. Und die Taxonomie ist ein Referenzwerk und damit die Basis für viele andere Verordnungen und Standards, die sich auf sie berufen.

Die EU-Kommission sieht die Taxonomie als eines der Herzstücke des Green Deals. Die grüne Transformation der Wirtschaft wird jährlich einen dreistelligen Milliardenbetrag an Investitionen benötigen. Und dass dieses Geld angesichts leerer öffentlicher Kassen vor allem von privaten Anlegern kommen muss, ist kein Geheimnis. Die Taxonomie und allgemein die Sustainable-Finance-Politik – sowohl in Brüssel als auch in Berlin – soll nun helfen, die Geldströme der Investoren in grüne Projekte umzuleiten. Nach Einschätzung von Valdis Dombrovskis, dem zuständigen Vizepräsidenten der EU-Kommission, wird schon die erste Klimataxonomie, die zu Jahresbeginn in Kraft getreten ist, Unternehmen und Anlegern bei der Beurteilung helfen, ob ihre Investments und Tätigkeiten wirklich ökologisch sind. Dies sei ein großer Schritt nach vorn, betonte der Lette. „Die Taxonomie ist eine wesentliche Grundlage dafür, private Investitionen in nachhaltige Unternehmen zu mobilisieren und in Europa bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen“, ist Dombrovskis überzeugt.

Die Taxonomie soll einen Beitrag für insgesamt sechs fest definierte Umweltziele leisten (siehe Grafik): den Klimaschutz, die Anpassung an den Klimawandel, den Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung von Umweltverschmutzung allgemein sowie den Schutz der Biodiversität. Will ein Unternehmen für sein gesamtes Geschäft oder auch nur Teile davon das grüne Taxonomie-Siegel erhalten, muss es nachweisen, dass es einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung von mindestens einem dieser Ziele liefert und zugleich keines der anderen Ziele wesentlich beeinträchtigt („Do-no-significant-harm-Prinzip“). Außerdem müssen soziale Mindeststandards sowie spezifische technische Evaluierungskriterien eingehalten werden.

Atom und Gas als grün eingestuft

Bislang hat die EU-Kommission lediglich die Kriterien für die ersten beiden (Klima-)Ziele festgelegt, die aber immerhin schon 80% der Treibhausgasemissionen in Europa abdecken. Eigentlich sollten in diesem Zusammenhang im vergangenen Frühjahr auch schon die Kriterien für Investitionen in Atomkraft und Erdgas festgezurrt werden. Als sich aber ein kaum zu lösender politischer Streit über die beiden Energiebereiche abzeichnete, schob die Brüsseler Kommission das Problem kurzerhand auf die lange Bank. Mehr Zeit bedeutete aber natürlich nicht mehr Einigkeit, wie sich zu Beginn dieses Jahres zeigte, als die Behörde in einem eigenständigen delegierten Rechtsakt die umstrittene grüne Einstufung von Atom und Gas bekannt gab. Derzeit sieht es nicht so aus, als würden die Mitgliedsstaaten der EU oder das Europaparlament noch die nötigen Stimmen für ein Veto aufbringen können.

Aber selbst wenn der Streit um Atom und Gas in einigen Monaten endgültig entschieden ist und die grünen Einstufungen in Kraft sind, bleibt die Taxonomie eine große europäische Baustelle. Für die verbleibenden vier Umweltziele muss die EU-Kommission die genauen Kriterien noch in diesem Jahr vorlegen. Denn eigentlich sollen sie auch schon Anfang 2023 in Kraft treten. Parallel dazu gibt es zwei weitere Arbeitsstränge mit dem Ziel, die Umwelttaxonomie auch noch durch eine Übergangstaxonomie und eine Sozialtaxonomie zu ergänzen. Erste Berichte mit Vorschlägen dazu seitens der EU-Experten-Plattform liegen schon vor. Zugleich arbeitet das Gremium auch noch an den sozialen Mindeststandards für die Taxonomie. Ende Juni wird ein vorläufiger Bericht erwartet. Endgültige Vorschläge folgen dann nach einer Feedback-Phase im September.

Und was bedeutet das alles für Unternehmen, Banken, Fondsmanager und Anleger? Grundsätzlich gilt die Taxonomie für alle Finanzmarktteilnehmer oder Emittenten im Zusammenhang mit Finanzprodukten oder Unternehmensanleihen – egal, ob nun Kundenportfolios verwaltet oder ein neuer alternativer Investmentfonds aufgelegt wird. Dies bedeutet aber auch zahlreiche neue Berichtspflichten für Banken und Unternehmen, die komplex sind und auf die sich zumindest in Deutschland aktuell schon viele von ihnen intensiv vorbereiten. So müssen etwa große kapitalmarktorientierte Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern bereits ab diesem Jahr in ihrer nichtfinanziellen Erklärung die Anteile ihres Umsatzes, ihrer Investitionen und ihrer Betriebsausgaben nennen, die mit Blick auf die beiden Klimaziele der Taxonomie nachhaltig sind, und sie müssen diese Angaben auch näher erläutern.

Fast 50 000 Unternehmen im Visier

Die Richtlinie über die nichtfinanzielle Unternehmensberichterstattung (NFRD) wird zugleich überarbeitet und läuft künftig unter dem Namen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Der Gesetzgebungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Geplant ist aber, dass die neuen Regeln ab dem 1. Januar 2024 für Unternehmen gelten, die bereits der NFRD unterliegen. Die erste Berichterstattung findet damit 2025 statt. Ein Jahr später könnten dann die anderen großen Unternehmen folgen. Und Anfang 2026 kommen schließlich noch die börsennotierten Kleinbetriebe und Mittelständler (KMU) sowie kleine und nicht komplexe Kreditinstitute und firmeneigene Versicherungsunternehmen dazu. Die EU-Kommission hatte im vergangenen April vorgeschlagen, dass künftig fast 50 000 Unternehmen in die nichtfinanzielle Berichterstattung einbezogen werden. Heute sind es über die NFRD nur 11 000.

Banken müssen ebenfalls bereits in diesem Jahr (für das Geschäftsjahr 2021) qualitative Informationen und den Anteil ihrer Taxonomie-berechtigten Tätigkeiten offenlegen. Ein Taxonomie-Alignment ist noch nicht nötig. Noch bis 2024 haben die Kreditinstitute Zeit, bevor sie die neue Kennzahl Green Asset Ratio (GAR) berichten müssen. Dabei geht es um den Anteil der Taxonomie-konformen Assets im Verhältnis zu allen Assets einer Bank, also um eine Art vergleichbare „Nachhaltigkeitsquote“. Viele der für die Berechnung notwendigen Daten werden heute noch nicht systematisch erfasst.

Erste Taxonomie-Informationen werden also in diesem Jahr schon verfügbar sein. Noch ist die Datenbasis für Anleger zwar dünn. Aber es ist absehbar, dass in wenigen Jahren für alle wesentlichen Unternehmen in der EU – von den KMU bis hin zu den multinationalen Großkonzernen – und für alle Finanzprodukte vergleichbare Nachhaltigkeitsangaben vorliegen. Anleger werden dann entscheiden können, ob sie in einen Aktienfonds investieren wollen, der zu X % Taxonomie-konform ist, oder lieber in den Geschäftsbereich eines Unternehmens, das auf eine Nachhaltigkeitsquote von Y % kommt. Diese Entwicklung dürfte wohl nicht mehr aufzuhalten sein – trotz der Grundsatzkritik von Ferber, Fuest & Co.

Ob das erhoffte Umleiten der Investmentgelder in grüne Projekte mit Hilfe der zusätzlichen Transparenz gelingt, muss sich aber erst noch zeigen. Die EU-Experten von der Plattform für Sustainable Finance wollen sich noch in diesem Jahr mit der Messung der Kapitalströme befassen, um die konkrete Wirkung der Taxonomie besser einschätzen zu können. Die Glaubwürdigkeit des neuen Klassifizierungssystems der EU für grüne Investments hat zwar unter der Debatte um Atom und Erdgas gelitten. Aber große Fondsanbieter in Deutschland haben schon angekündigt, dieses umstrittene Labeling nicht nutzen zu wollen.

Positive Wirkung umstritten

Ob die Taxonomie am Ende auch positive Wirkungen auf Umwelt und Klima entfaltet, sieht zumindest Jan Pieter Krahnen skeptisch, der die Dynamik des Wandels als nicht mit der Taxonomie steuerbar einschätzt. Am Reißbrett funktioniere grüne Finanzierung sehr einfach, schrieb der wissenschaftliche Direktor des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE und Professor für Kreditwirtschaft und Finanzierung an der Goethe-Universität Frankfurt kürzlich in einem Gastbeitrag für die Börsen-Zeitung. Aber: „Was heute als Green Finance verkauft wird, ist häufig nur ein Placebo oder auch eine Illusion.“