Deutschland läuft die Zeit in der Altersvorsorge davon
Deutschland läuft die Zeit in der Altersvorsorge davon
Das private Geldvermögen ist hierzulande im Vergleich zum Ausland gering. Damit ist das Land schlecht auf den demografischen Wandel vorbereitet.
Riester-Rente? Erschlafft. Aktienrente? Vorerst auf Eis gelegt. Öffentlicher Fonds? Eine Idee auf dem Papier. Die kapitalgedeckte Altersvorsorge hat in Deutschland einen schweren Stand. Die Ampel-Koalition in Berlin bringt verschiedene Projekte für eine chancenorientierte Kapitalanlage bislang kaum voran. Der Haushaltsstreit hat die Koalition aus SPD, Grünen und FDP zusätzlich gelähmt.
Nichts bewegt sich: Die Zahl der Verträge in der Riester-Rente schrumpft seit sieben Jahren und lag Ende des dritten Quartals bei 15,7 Millionen. Eine Reform der staatlich geförderten Altersvorsorge bleibt aus. Die Aktienrente wiederum, also ein aktienorientierter Fonds zur Unterstützung der gesetzlichen Rente, sollte eigentlich im laufenden Turnus mit 10 Mrd. Euro befüllt werden, doch mit ihrem Nachtragshaushalt Ende November strich die Koalition den Zuschuss. Auch ein öffentlicher Fonds, eine Art Standardprodukt in der betrieblichen Vorsorge, steht bisher lediglich als etwaige Variante im Berliner Koalitionsvertrag.
Mehr Vermögen im Ausland
Den Anschluss zu einigen wohlhabenden Staaten hat Deutschland längst verloren. Im internationalen Vergleich erreicht die Bundesrepublik mit einem privaten Geldvermögen von durchschnittlich 89.400 Euro pro Kopf Rang 19, wie die Allianz zuletzt für das Jahresende 2022 festhielt. Damit steht das Land etwa gleichauf mit Italien und Österreich, aber hinter Frankreich (98.600 Euro), Großbritannien (125.900 Euro) und den Niederlanden (156.900 Euro) und etlichen anderen Staaten. In der Schweiz und in den USA ist das Geldvermögen mit umgerechnet 356.100 Euro und 307.900 Euro pro Kopf besonders hoch.
Deutschland begegnet dem demografischen Wandel somit mit einem geringen Kapitalpuffer. Dabei ist gerade hierzulande die Alterung der Gesellschaft eine ökonomische Herausforderung. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beziffert den Anteil der Menschen über 65 Jahren im Verhältnis zur arbeitsfähigen Bevölkerung zwischen 20 und 65 Jahren für das Berichtsjahr 2015 hierzulande auf annähernd 35%.
Damit liegt die Bundesrepublik oberhalb des Durchschnitts der EU und der OECD. Nur in Japan und Italien ist die Rate höher. Im Jahr 2060 wird die Quote der Prognose zufolge bei 60% liegen. Auch damit läge Deutschland über dem internationalen Durchschnitt, neben Japan und Italien droht aber auch China und Korea eine noch höhere Quote.
Zusätzlich belastet wird die kommende Generation durch Staatsverschuldung. Immerhin ist die Lage in Deutschland hier nicht ganz so dramatisch wie in vielen anderen Industrieländern. Mit 66% gemessen an der jährlichen Wirtschaftsleistung ist die Bundesrepublik per Ende 2022 geringer verschuldet als etwa Frankreich und Spanien (beide 112%) und Italien (142%) oder die USA (119%).
Riester ist "verbrannt"
Eine solider Kapitalstock kann die Last der Demografie zwar nicht aufheben, aber zumindest lindern. Die Riester-Rente als staatlich geförderte private Altersvorsorge bleibt dabei auf halber Strecke stehen: Über Versicherungsverträge ist bis Ende 2022 laut Branchenverband GDV ein versichertes Volumen von 169 Mrd. Euro zusammengekommen, in Fondssparplänen liegen dem Verband BVI zufolge zur Jahresmitte rund 140 Mrd. Euro, allerdings inklusive weiterer Sparpläne zu vermögenswirksamen Leistungen. Einige Banksparpläne und Wohnprogramme kommen in der Riester-Rente noch hinzu.
Die Kritik an Produktkosten und komplexen Vorgaben hat die staatlich geförderte private Altersvorsorge unbeliebt gemacht. „Das ist verbrannt, das Ding“, sagte der Altersvorsorge-Ökonom Bernd Raffelhüschen bereits vor zwei Jahren über die Akzeptanz der Riester-Rente. Ohnehin profitiert bislang nur eine Minderheit der Erwerbstätigen in Deutschland von dem System. In der Tiefzinsphase nahm die vorgeschriebene Beitragsgarantie zudem den Spielraum für eine chancenorientierte Anlage.
401(k) und AK7 sind Erfolgsmodell
Andere Länder sind – mit jeweils unterschiedlichen Modellen – bereits weiter. Die US-Amerikaner haben mit ihren steuervergünstigten 401(k)-Modellen, also der vom Arbeitgeber mitfinanzierten privaten Vorsorge, bis Ende September 2022 ein Vermögen von 6,3 Bill. Dollar aufgebaut, wie der US-Fondsverband ICI aufschlüsselt. In Schweden liegen 905 Mrd. skr (81 Mrd. Euro) in dem Fonds AP7, der die Leistungen der gesetzlichen Rente flankiert, wie der Fonds im Jahresbericht für 2022 festhält.
Gewaltig ist das Vermögen im Ölfonds Norwegens, der zur Jahresmitte nach Angaben der Zentralbank auf 15,3 Bill. nkr (1,3 Bill. Euro) kam. Davon profitieren weniger als sechs Millionen Norweger. Wird dieses Vermögen einberechnet, kommt Norwegen auf einen ähnlich hohen Kapitalstock pro Kopf wie die Spitzenreiter USA und Schweiz.
Sparkultur bremst aus
Doch nicht nur eine mangelnde staatliche Förderung, auch das Sparverhalten hält das Land zurück. Das Fonds- und Aktiensparen macht in Deutschland Fortschritte, doch noch immer liegt ein weitaus größerer Teil der Geldvermögen privater Haushalte auf dem Bankkonto. Laut Bundesbank haben die privaten Haushalte zur Jahresmitte 1,46 Bill. Euro in Aktien und Fonds angelegt, aber 3,13 Bill. Euro in Bargeld und Einlagen. Die Folge sind moderate Renditen, was auf Dauer zu einem weniger umfangreichen Geldvermögen führt.
Das zeigt ein Rechenbeispiel: Hätten die Bundesbürger seit der Jahrtausendwende Jahr für Jahr ein Fünftel weniger Geld in der Kategorie Bargeld und Einlagen neu angespart, sondern das Geld zum jeweiligen Jahresende international in Aktien investiert, wären sie heute wohlhabender. Die privaten Geldvermögen würden sich nicht, wie von der DZ Bank für das Jahresende geschätzt, auf 7,9 Bill. Euro oder 93.700 Euro pro Kopf belaufen, sondern auf 8,7 Bill. Euro oder 103.100 Euro pro Kopf. Grundlage des Rechenbeispiels ist die Börsenkursentwicklung bis Mitte Dezember. Grob geschätzt etwa 800 Mrd. Euro stünden zusätzlich bereit.
Zwar ist die Rechnung zu optimistisch: Kapitalertragsteuern und Produktkosten schmälern die Wertzuwächse erheblich. Auch können die starken Börsenjahre von 2010 bis 2021 nicht in die Zukunft fortgeschrieben werden. Eine Mehrrendite gegenüber sicheren Zinsanlagen ist nicht garantiert.
Gleichwohl zeigt das Beispiel, wie groß der Unterschied im privaten Geldvermögen auf lange Sicht ausfallen kann, wenn die Aktie auch nur etwas mehr Gewicht erhielte. Es ist für den Staat ein lohnendes Wagnis, in einer kapitalgedeckten Altersvorsorge einen starken Akzent auf Aktien und andere risikoreiche Anlageklassen zu setzen.
Jede Reform käme spät
Doch der Gesetzgeber ist bereits spät dran: Im kommenden Jahrzehnt verabschiedet sich die Generation der sogenannten Babyboomer in den Ruhestand. 6,2 Millionen Menschen vollenden in Deutschland in den Jahren 2030 bis 2034 das 67. Lebensjahr, während nur 4,1 Millionen Menschen in dieser Zeit 20 Jahre alt werden, wie das Statistische Bundesamt schätzt. Die Zeit für weiteren Vermögensaufbau ist knapp.