Die Verwundbarkeit der Banken
Manchmal geht es ratzfatz. Am 25. September 2008 berichtet die belgische Großbank Fortis noch über eine komfortable Liquiditätslage. Das ist ein Donnerstag. Am Freitag Abend ruft der Vorstand beim Premierminister an und bittet um dringende Hilfe. Sonntags wird die Bank durch eine Teilverstaatlichung gerettet. Auch die Deutsche Bank weiß, wie schnell Finanzkonzerne in Probleme geraten können. Im Herbst 2016 ziehen große Adressen binnen kurzer Zeit Geld von der Deutschen Bank ab, weil eine drohende Milliardenstrafe aus den USA das Institut belastet. Später gehen die Ereignisse als „Nahtoderfahrung“ in die Geschichte der Deutschen Bank ein.
Und nun die Credit Suisse. Nach der Liquiditätsspritze am Donnerstag scheint sich die Lage zunächst zu stabilisieren. Die zuvor gebeutelte Aktie gewinnt fast 20% zurück. Doch schon freitags wird klar, dass der Abzug von Geldern nicht nachhaltig gebremst ist. Regierung, Notenbank und Aufsicht drängen die UBS zur Notübernahme – und geben im Gegenzug Garantien und Hilfen. Die Notenbanken weltweit begrüßen die Notoperation und flankieren sie mit Liquiditätsmaßnahmen. Derweil sind Großbanken in Europa bemüht, zu versichern, dass ihr Engagement bei der Credit Suisse überschaubar ist, um sich dem Sog zu entziehen. Mal sehen, ob das gelingt.
Erschütternd ist die Rasanz der Ereignisse. Vor zwei Wochen wäre es unvorstellbar gewesen, dass die Credit Suisse schon bald Geschichte ist. Und im Grunde ist es auch heute nicht trivial zu erklären, warum die Bank so jäh in die Tiefe gestürzt ist. Mit der Silicon Valley Bank gibt es keine enge Beziehung. Und die Ansage des saudischen Großaktionärs, aus regulatorischen Gründen derzeit die Beteiligung nicht über 10% ausbauen zu können, hat eigentlich für sich genommen zu wenig Sprengkraft, um die Bank im Mark zu erschüttern.
Der Credit Suisse ist vielmehr zum Verhängnis geworden., dass die Anleger in der nicht enden wollenden Saga aus Fehltritten und Skandalen in den vergangenen Jahren – von Archegos über Greensill bis zu den Suisse Secrets – das Vertrauen in die Großbank verloren haben. Und nun dem Management nicht mehr vertrauen, egal welche Liquiditätsziffern es präsentiert. Vor diesem Hintergrund ist es aktuell schwierig, die Gretchenfrage zu beantworten: Sorgt die Notübernahme der UBS nun wieder für Ruhe und Stabilität – oder gerät schon bald der nächste Dominostein ins Wanken? Werden die Investoren nun bei einem weiteren Finanzkonzern Reißaus nehmen, in den das Vertrauen angeschlagen ist? Es wäre vermessen, diese Frage aus heutiger Sicht mit Gewissheit beantworten zu wollen.
Unstrittig ist, dass es richtig und wichtig war, am Wochenende eine Lösung zu finden. Man kann allerdings trefflich darüber streiten, ob es nicht besser gewesen wäre, die Credit Suisse zu verstaatlichen, die Bank zu zerschlagen, die heimische Kreditbank zu erhalten und den Rest abzuwickeln. Durch die Übernahme der UBS muss man in Aktionärsrechte der UBS-Eigner eingreifen. Zudem werden kartellrechtliche Vorbehalte einfach niedergeschlagen. Immerhin: Zumindest werden Eigentümer und Gläubiger der Credit Suisse an den Kosten der Rettung beteiligt, indem Nachranganleihen und Aktien drastisch an Wert einbüßen.
Der Fall Credit Suisse führt abermals vor Augen, wie verwundbar Banken sind – trotz aller regulatorischen Vorschriften, mit denen auf die Bankenkrise von 2007 und 2008 reagiert worden ist. Die Ernüchterung darüber, dass das umfangreiche „financial repair“ ein erneutes Bankenbeben nicht verhindern konnte, ist groß – freuten sich doch bis noch vor kurzem Aufseher und Vorstände darüber, dass Europas Banken wesentlich krisenresilienter seien als früher. War das womöglich eine gefährliche Illusion? Nun werden viele eine abermalige Verschärfung der Regeln für Kapital und Liquidität fordern. Aber es ist fraglich, ob das die Probleme löst. Denn beispielsweise der Ruf nach deutlich höheren Liquiditätsreserven ist nicht wirklich überzeugend. Schließlich schmelzen – das zeigt der Fall CS anschaulich – auch eigentlich üppige Reserven in Fällen, in denen das Vertrauen in das Management verloren gegangen ist, wie Schneebälle in einem Hochofen.
Vielmehr stellen sich nun drängende Fragen rund um Aufsicht und Governance: Wer hat überhaupt zugelassen, dass die Credit Suisse in eine Lage geraten ist, in der sie der Kollaps eines US-Kreditinstituts und die unglückliche Äußerung des Großaktionärs komplett aus der Bahn geworfen hat?