Betriebsversammlung in Wolfsburg

Betriebsrat attackiert Vorstand wegen verschärfter Sparpläne bei VW

Arbeitnehmervertreter gehen in einer Betriebsversammlung mit dem VW-Vorstand wegen der verschärften Sparpläne für die kriselnde Kernmarke hart ins Gericht. Volkswagen kranke daran, dass der Vorstand seine Arbeit nicht mache. Die Unternehmensführung sieht noch ein bis Jahre Zeit, das Ruder herumzureißen.

Betriebsrat attackiert Vorstand wegen verschärfter Sparpläne bei VW

„Das ist eine Bankrotterklärung“

Betriebsratschefin Cavallo kritisiert neue Sparpläne für Marke VW scharf – Finanzchef Antlitz: Noch ein bis zwei Jahre Zeit, das Ruder herumzureißen

Arbeitnehmervertreter gehen in einer Betriebsversammlung mit dem VW-Vorstand wegen der verschärften Sparpläne für die kriselnde Kernmarke hart ins Gericht. Volkswagen kranke daran, dass der Vorstand seine Arbeit nicht mache. Die Unternehmensführung sieht noch ein bis zwei Jahre Zeit, das Ruder herumzureißen.

ste Hamburg

Der zu Wochenbeginn angekündigte verschärfte Sparkurs für die Volkswagen AG mit der Kernmarke VW hat am Mittwoch zu einer hitzigen Betriebsversammlung in Wolfsburg geführt. Arbeitnehmervertreter gingen mit den angekündigten Plänen des Unternehmens, Werksschließungen in Deutschland nicht mehr auszuschließen und die noch bis 2029 geltende Jobgarantie aufzukündigen, hart ins Gericht und kritisierten den Vorstand scharf.

„Wir sind Volkswagen“

Bereits vor Beginn der Veranstaltung in Halle 11 des Stammwerks waren Teilnehmerkreisen zufolge Dutzende Plakate, Transparente und Spruchbänder zu sehen, während Tausende Beschäftigte beim Eintreffen der Vorstände auf der Bühne „Wir sind Volkswagen, ihr seid es nicht!“ skandierten. In ihrer wiederholt von Szenenapplaus unterbrochenen Rede bezeichnete VW-Beriebsratschefin Daniela Cavallo das Vorhaben des Vorstands, beim 2023 aufgelegten Performance-Programm für die Marke VW nachzulegen, weil der Gegenwind stärker geworden sei, als „Armutszeugnis“ und „Bankrotterklärung“.

Gedanken, Fabriken zu schließen, betriebsbedingt zu kündigen und Tarifeinschnitte durchzusetzen, seien nur zulässig, wenn das ganze Geschäftsmodell gestorben sei. Volkswagen, so Cavallo laut Redetext, kranke nicht an seinen deutschen Standorten und an den deutschen Personalkosten. „Volkswagen krankt daran, dass der Vorstand seinen Job nicht macht.“

„Hintern an der Wand“

Alles, was für die Technologieführerschaft nicht relevant und damit nicht kaufentscheidend für Kunden sei, müsse überdacht werden. „Unsere Komplexität muss runter, unsere Regelwut müssen wir angehen, wir müssen unseren Dokumentationsirrsinn abstellen und die vielen doppelten und dreifachen Prozesse zur Absicherung", forderte Cavallo. Das sei Führungsaufgabe, das Management müsse hier vorangehen. „Aber wer mit dem Hintern an der Wand steht, bekommt kein Team hinter sich versammelt.“

Die seit Mai 2021 amtierende Gesamt- und Konzernbetriebsratsvorsitzende, die auch dem VW-Aufsichtsrat angehört, unterstrich, die Beschäftigungssicherung gehöre weit über 2029 hinaus verlängert. Ein „Runterschrubben“ der Tarifentgelte würde an der „derzeit desolaten Gesamtsituation“ nichts ändern, und mit ihr, so die 49-Jährige, werde es in Deutschland keine Werksschließungen geben. In diese Richtung zielt auch das an VW beteiligte Land Niedersachsen. Was Kostensenkungen angeht, werde in den nächsten Wochen voraussichtlich nicht über das Ob, sondern das Wie intensiv zu diskutieren sein, so Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Stephan Weil (SPD) am Montag. „Dabei erwarten wir, dass sich die Frage einer Schließung von Standorten durch die erfolgreiche Nutzung von Alternativen schlichtweg nicht stellt.“

Lücke von 3 Mrd. Euro

Das Performance-Programm für die Marke VW sieht eine Ergebnisverbesserung um 10 Mrd. Euro vor, um Ende 2026 eine operative Rendite von 6,5% zu erreichen – nach 2,3% im ersten Halbjahr 2024. Der aktuelle „Füllstand“, so Cavallo, zeige eine Lücke zum Ziel von knapp 3 Mrd. Euro. Davon liege „nur ein Bruchteil im Block der Arbeitskosten“ und damit in der Zuständigkeit des Personalressorts. Der Rest liege da, wo der übrige Vorstand seine Arbeit machen müsse.

Cavallo bezeichnete das Vertrauen in den Vorstand als „massiv beschädigt“. Zusagen seien nichts mehr wert, zu viel sei revidiert worden. Produkt- sowie Standortzusagen aus den Planungsrunden müssten eingehalten werden. Ein „einziges Chaos“ seien die Abstimmungs- und Entscheidungswege zwischen Konzern, Marke und Volkswagen AG. Sie seien nicht klar definiert, zu komplex und deutlich zu langwierig. Notwendig sei eine Neujustierung des Steuerungsmodells im Konzern mit klarer Fokussierung auf die Marke Volkswagen als den Kern des Konzerns.

Pfeifkonzert

Die Betriebsratschefin warf dem Vorstand eine Abwendung von der VW-Kultur vor, Konflikte partnerschaftlich zu lösen. „Wer mit unserer DNA brechen will, bekommt es mit dem erbitterten Widerstand der Belegschaft zu tun.“ Den erlebte in der Betriebsversammlung nach Darstellung aus Teilnehmerkreisen als erster Redner des Vorstands zunächst Konzern-Finanzchef und -COO Arno Antlitz in Form von Pfeifkonzert und Zwischenrufen. Seit geraumer Zeit gebe man in der Marke mehr Geld aus, als eingenommen werde, sagte Antlitz dann vor mehr als 20.000 Beschäftigten in und vor der Werkshalle. „Wenn wir so weitermachen, schaffen wir die Transformation nicht.“

Antlitz verwies darauf, dass derzeit in Europa 2 Millionen Fahrzeuge pro Jahr weniger verkauft würden als noch vor der Corona-Pandemie. Anstatt mit rund 16 Millionen sei in der Region künftig allenfalls mit 14 Millionen verkauften Fahrzeugen zu rechnen. Als größtem Hersteller mit rund einem Viertel Marktanteil in Europa fehlten VW die Verkäufe von rund 500.000 Autos und damit die Verkäufe für rund zwei Werke. „Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, die Kostenfähigkeit gerade der deutschen Standorte zu verbessern“, betonte Antlitz. „Wir haben noch ein Jahr, vielleicht zwei Jahre Zeit, das Ruder herumzureißen.“

„Emotional berührt“

Der seit zwei Jahren amtierende Konzernchef Oliver Blume erklärte, die aktuelle Lage bei VW berühre alle emotional, „auch mich persönlich“. Die Autoindustrie habe sich im Volumensegment in wenigen Jahren massiv verändert. „Gemeinsam werden wir passende Maßnahmen umsetzen, um wirtschaftlicher zu werden“, sagte er. „Wir führen VW wieder dorthin, wo die Marke hingehört.“ Der aus Braunschweig stammende Blume, seit drei Jahrzehnten für den VW-Konzern tätig, erhielt nach negativen Reaktionen am Ende seiner Rede auch verhaltenen Applaus. „Ich bringe all meine Erfahrung bei VW ein“, versprach er. „Ihr könnt auf mich zählen und ich zähle auf euch.“

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