Cherry startet mit 1 Millisekunde Vorsprung an der Börse
cru Frankfurt
– Der Handelsstart für die Aktie der Cherry AG am heutigen Dienstag (29. Juni) wird der jüngste Test für die Stimmung der Investoren gegenüber Börsengängen. Zum Ausgabepreis von 32 Euro, der in der unteren Hälfte der Spanne liegt, die bis 38 Euro reichte, kommt das Unternehmen auf einen Börsenwert von 778 Mill. Euro – das rund Zwanzigfache des operativen Gewinns.
Der Hersteller von Computermäusen, Tastaturen und Schaltern für Gaming-Keyboards und professionelle Peripheriegeräte für Desktop-Computer erwartet 2021 einen kräftigen Umsatzschub. Das kündigen Vorstandschef Rolf Unterberger und Finanzvorstand Bernd Wagner im Gespräch mit der Börsen-Zeitung an.
„Wir erwarten im laufenden Jahr ein Umsatzplus von 30 bis 40%. Dass wir stark wachsen, hat weniger mit der Pandemie zu tun als damit, dass wir etliche innovative Produkte in den Markt gebracht haben“, erklärt CEO Unterberger. Der 55 Jahre alte gebürtige Schweizer mit Abschluss als Maschinenbau-Ingenieur war 2017 zu Cherry gestoßen, als der Hamburger Finanzinvestor Genui das ehemalige Familienunternehmen mit heutigem Sitz in Auerbach in der Oberpfalz und mit Wurzeln in den USA vom großen Autozulieferer ZF Friedrichshafen erworben hatte. Im Jahr 2006 hatte Gründernachfahre Peter Cherry an ZF verkauft.
2020 hat Cherry mit knapp 500 Beschäftigten rund 130 Mill. Euro Umsatz gemacht – jeweils die Hälfte davon aus Gaming und Büroanwendungen – und daraus ein Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen von 38 Mill. Euro erzielt. Der Netto-Cash-Bestand des Unternehmens liegt bei rund 70 Mill. Euro.
Auf Expansionskurs
„Unsere Schalter geben das Signal in weniger als 1 Millisekunde weiter. Das kann darüber entscheiden, ob ein Gamer ein Spiel gewinnt. Alle Gaming-Keyboard-Hersteller, für die Cherry Schalter liefert, werben auf den Verpackungen damit, dass das Gerät diese enthält“, sagt CEO Unterberger. Auch die Digitalisierung im Gesundheitssektor mit Terminals für die elektronische Patientenakte in Apotheken, Arztpraxen und Krankenhäusern treibt den Umsatz von Cherry. Dort wird unter dem Stichwort „Common Criteria“ (CC) für Geräte eine extern zertifizierte Sicherheit der Daten verlangt.
So geht das Unternehmen auf Expansionskurs. „Den Brutto-Emissionserlös aus dem Börsengang von knapp 140 Mill. Euro werden wir für die Ablösung eines Teils unserer Nettoverschuldung von 60 Mill. Euro verwenden, den überwiegend größeren Teil aber für organisches Wachstum sowie Zukäufe“, kündigt Finanzvorstand Wagner an, der früher als Vorstandsmitglied der Internationalen Möbel-Selection AG arbeitete. Nach dem Börsengang kommt Cherry auf einen Streubesitz von 53%.
Mit einem Emissionserlös von insgesamt 416 Mill. Euro ist das IPO der sechstgrößte Börsengang in diesem Jahr in Deutschland. Neben dem Unternehmen selbst fließt der Emissionserlös zu rund zwei Dritteln den beiden größten Alteigentümern zu. Der Finanzinvestor Argand Partners aus den USA, der erst 2020 als neuer Mehrheitseigner eingestiegen war, und der Hamburger Finanzinvestor und ehemalige Mehrheitseigner Genui machen beide kräftig Kasse: Der Anteil von Argand sinkt von 66% auf 28%, die Beteiligung von Genui schrumpft von 30% auf 13%. Weitere 5% halten Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats.
Als wichtigster Wettbewerber von Cherry gilt der international tätige Computerzubehörhersteller Logitech mit Sitz in Apples in der Schweiz. Mit rund 6000 Beschäftigten ist Logitech allerdings rund zehnmal so groß wie Cherry und bietet auch noch ganz andere Produkte an. Cherry ordnet sich selbst als Marktführer mit einem Anteil von 42% am Premium-Segment der Tastaturen ein, deren Preis bei mehr als 100 Euro liegt. Tastaturhersteller, die Cherry-Switches verbauen, sind zum Beispiel Corsair, Dell mit der „Alienware“-Marke oder HP mit der „Omen“-Marke. Zu den wichtigsten Abnehmern der Cherry-Schalter gehören Gaming-Keyboard-Hersteller wie Togran oder Sunrex.
Automatisierung läuft
Laut Finanzvorstand Wagner wird sich an der Beschäftigtenzahl von Cherry, die mit 400 Mitarbeitern in Deutschland und mit 60 Mitarbeitern in China in der Stadt Zhuhai produziert, in nächster Zeit nicht allzu viel ändern: „Einerseits stellen wir Mechatroniker ein, die mit unseren modernen Anlagen umgehen können. Andererseits fällt durch die Automatisierung auch ein Teil der Tätigkeiten weg.“