Branchenlobbyisten

Das Mantra von den Gefahren für die Autoindustrie

Der Autoverband VDA beklagt sich erneut über die Industriepolitik. Das Auftreten der Branchenlobbyisten wirkt aus der Zeit gefallen. Die Autoindustrie hat selbst viele Fehler gemacht.

Das Mantra von den Gefahren für die Autoindustrie

Von Stefan Kroneck, München

Die Autolobbyisten in Berlin haben sich wieder mal zu Wort gemeldet, um auf die – aus ihrer Sicht – Gefahren für den größten deutschen Wirtschaftszweig aufmerksam zu machen. Dieser Tage trommelte der Verband der Automobilindustrie (VDA) abermals für eine Industriepolitik, die auf die Bedürfnisse der Branche zugeschnitten ist. Das untermauerten die Interessenvertreter mit einem Umfrageergebnis, wonach insbesondere mittelständischen Zulieferern der Arbeits- und Fachkräftemangel sowie die hohen Strompreise zu schaffen machten. „Rund neun von zehn Unternehmen (88%) halten den Standort Deutschland in Bezug auf Energiekosten, Arbeitskräfte und Steuerbelastung international für nicht wettbewerbsfähig“, teilte der VDA mit.

Mehr Firmen planten, ihre Investitionen ins Ausland zu verlagern, warnten die Autolobbyisten, die mit Hildegard Müller über eine schlagfertige Verbandspräsidentin verfügen. Das Resultat der Umfrage sei „kein gutes für die deutsche Indus­triepolitik“, schmetterte sie in einer Pressemitteilung. „Das Ergebnis zeigt einmal mehr, dass wir dringend ein ambitioniertes Standortprogramm brauchen: weniger Bürokratie, mehr Handelsabkommen, ein konkurrenzfähiges Steuersystem, einfachere und schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren. Darüber hinaus muss unsere Energie- und Rohstoffversorgung mit internationalen Partnerschaften abgesichert werden, wenn wir Deutschland und Europa unabhängiger machen wollen“, forderte Müller.

Das, was die VDA-Präsidentin auf ihrer Wunschliste stehen hat, ist zwar nachvollziehbar und teils analytisch richtig, wirkt aber doch von außen wie aus der Zeit gefallen.

Man mag ja der Bundesregierung seit Ausbruch der Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine vor fast einem Jahr alles Mögliche an Fehlern vorwerfen – so agierte die Ampelkoalition untätig oder gar mutlos in Bezug auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik, aber nicht bei der Antwort auf die Frage, wie man das Schlimmste für die größte EU-Volkswirtschaft abwenden kann.

Seit jüngster Vergangenheit stört sich Müller auch daran, dass Washington die US-Autoindustrie mit Subventionen für die Elektromobilität stützt.

Staatliche Hilfen sind generell Gift für den freien Wettbewerb der Marktkräfte. Sie tragen in sich die Gefahr einer Fehlallokation von Ressourcen. Allerdings gleich die Initiative der Biden-Administration einem Akt der Verzweiflung. Es ist eine Aufholjagd der Amerikaner. Denn trotz der Pionierleistung von Tesla, die fast eine Ausnahme in Nordamerika darstellt, ist die US-Autoindustrie im internationalen Vergleich deutlich zurückgefallen. Ford und Chrysler vernachlässigten jahrelang die Innovationskraft der Fahrzeuge mit E-Motoren. Beide Adressen vertrauten zu sehr auf die altbackene Klientel in den großen, dünn besiedelten US-Bundesstaaten, die auf dicke Pick-ups setzen. Da wundert es nicht, wenn der US-Präsident öffentliche Gelder zur Verfügung stellt, um den Rückstand zu schließen.

Bei Letzterem kann sich die deutsche Autobranche nicht beklagen über etwaige Blockaden der Berliner Politik. Jahrelang wurden Volkswagen, BMW, Mercedes-Benz sowie die großen Zulieferer mit staatlichen Fördertöpfen bezuschusst, um die E-Mobilität anzukurbeln. Im Einzelfall ruhte sich manches Unternehmen zu sehr auf den Erfolgen der Vergangenheit aus. Mancher Marktakteur verschlief faktisch die Zeitenwende, die im Aus des Verbrenners endet.

Ladeinfrastruktur?

Derweil bringt die Branche beim Thema Ladeinfrastruktur nichts Kreatives zustande. Mehrkosten sozialisieren, Mehrgewinne internalisieren, lautet offenbar die Devise. Die jüngsten Rekordergebnisse von VW und Mercedes-Benz belegen diese Haltung. Angesichts des Klimawandels findet das in der Gesellschaft keinen breiten Zuspruch mehr. In diesem Kontext sind die VDA-Forderungen nicht zeitgemäß, geschweige denn verhandelbar. Der Rückhalt für eine Branche, die mit dem Mantra von den Gefahren für den eigenen Fortbestand öffentlich Stimmung macht, geht verloren.