Sustainability

Nachhaltigkeits-Leitfaden für den Mittelstand

Eine von der Frankfurter Rechtswissenschaftlerin Julia Redenius gegründete Expertengruppe will dem Mittelstand mit Handlungsempfehlungen für Nachhaltigkeitsstrategien unter die Arme greifen.

Nachhaltigkeits-Leitfaden für den Mittelstand

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Beim Thema Nachhaltigkeit stehen vor allem große börsennotierte Konzerne im Fokus von Öffentlichkeit und Investoren. Der Mittelstand wird aber auch immer stärker damit konfrontiert und setzt sich intensiv mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit auseinander. In der Regulierung bleiben kleine und mittelgroße Firmen ebenfalls nicht außen vor, wenn es etwa um das Lieferkettengesetz oder das EU-weite ESG-Reporting geht.

Genauso wie für große Unternehmen ist Nachhaltigkeit im Mittelstand mit Aufwand und Kosten sowie oft nennenswerten Investitionen verbunden –  für alle aktuell eine besondere Herausforderung, weil explodierende Energie- und Rohstoffpreise viele Firmen an ihre Grenzen bringen. Gerade der Mittelstand sieht sich in seiner Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt, befürchtet hohen Margendruck und steigende Finanzierungskosten.

Um Problemen in der Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien entgegenzuwirken, hat sich eine neu gegründete Expertenkommission das Ziel gesetzt, Sustainable-Governance-Grundsätze für den Mittelstand zu erarbeiten. Bis zum Frühjahr 2023 will der Kreis wissenschaftlich fundierte und zugleich anwendungsorientierte Handlungsempfehlungen in Form von Grundsätzen und Best-Practice-Beispielen bereitstellen, anhand derer die Unternehmen eine nachhaltige Governance etablieren können.

Julia Redenius-Hövermann, Professorin für Bürgerliches Recht und Unternehmensrecht an der Frankfurt School of Finance & Management, hat die Kommission ins Leben gerufen und den Vorsitz übernommen. Maßgeblich unterstützt wird das Projekt von Christina Bannier, Professorin für Banking & Finance an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Der Mittelstand ist sehr heterogen, so dass aus Sicht der beiden Wissenschaftlerinnen eine Orientierung an bestehenden Standards oder Kodizes nicht zielführend ist. Startpunkt für eine erfolgreiche Nachhaltigkeitsstrategie muss aus ihrer Sicht die Verankerung in der Governance der Unternehmen sein, denn die Strategie müsse aktiv umgesetzt werden. Inhaltlich wird es in dem Expertenkreis, in dem auch Mittelständler vertreten sind, um Themen wie Risikomanagement, Reporting, Gremienbesetzung und Vergütung gehen.

Die Idee, einen praxisnahen Leitfaden zu erarbeiten, habe sich in den vergangenen eineinhalb Jahren entwickelt. „Auf unterschiedlichsten Veranstaltungen und Konferenzen war aus Gesprächen zu entnehmen, dass es dem Mittelstand beim Thema Nachhaltigkeit und in der Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien an Orientierung fehlt“, sagt Bannier. „Im Mittelstand sieht man anders als in großen Konzernen die Problematik, dass das, was im Unternehmen für Nachhaltigkeit relevant ist, ex­trem individuell ist. Bei aller Unterschiedlichkeit gilt jedoch für alle mittelständischen Firmen, dass die Implementierung über die Governance-Strukturen sauber eingebettet sein muss“, ergänzt sie. Der Leitfaden soll es den Firmen ermöglichen, „ihre individuellen Nachhaltigkeitsstrategien geordnet in ihren jeweiligen Kontrollstrukturen umzusetzen“.

„ Wir hatten den Eindruck gewonnen, dass mittelständische Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit teilweise noch als Risiko und Belastung empfinden“, erklärt Redenius. „Hier wollen wir gegensteuern und motivieren, Nachhaltigkeit als Chance und Innovationstreiber zu sehen. Unser Appell: Nehmt das Thema an und macht etwas richtig Gutes daraus.“

Redenius hebt hervor, ihr Projekt solle keine Konkurrenzveranstaltung sein zum Deutschen Nachhaltigkeitskodex oder zum Deutschen Corporate Governance Kodex. „Uns geht es um die Schnittstelle von Nachhaltigkeitsthemen und Corporate Governance im Mittelstand. Wir haben uns bewusst nicht für den Begriff ESG entschieden. Denn hier fehlt es unseres Erachtens an einer eindeutigen Definition. Diese Expertenkommission hat sich zum Ziel gemacht, einen Leitfaden für Sustainable-Governance-Grundsätze für den Mittelstand zu erarbeiten“, stellt Redenius klar. „Nachhaltigkeitsaspekte greifen in­einander und reichen in viele Unternehmensbereiche hinein: Strate­gie, Implementierung, Incentivierung des Managements und am Ende ein sauberes Reporting – das wäre der Idealzustand“, resümiert Bannier.

Von den Leitlinien soll nach den Worten von Bannier ein breiter Adressatenkreis profitieren: „Faktisch richten sie sich zunächst an die Unternehmen selbst, an Management, Beiräte und Eigentümer – oftmals sind es ja Familiengesellschafter. Sie alle müssen sich eine Meinung über die passende Nachhaltigkeitsstrategie bilden und diese dann effizient umsetzen. Darüber herrscht oft noch Unsicherheit in den Gremien.“ Die Nachhaltigkeitsstrategie des Mittelstands sei letztlich auch relevant für Lieferanten und Kunden sowie für die Geldgeber, also Banken und Investoren, ergänzt Redenius: „Gute Sustainability erleichtert den Unternehmen die Finanzierung.“

Aus Fehlern lernen

Bannier weist darauf hin, dass gerade in familiengeführten Unternehmen derzeit die große Sorge zu spüren sei, wie die Finanzierung in Zukunft von Nachhaltigkeitsthemen abhängen werde. „Das spielte für viele Familienunternehmen bislang kaum eine Rolle, doch nun wird es von Bankenseite an sie herangetragen.“ Um diese Punkte zu adressieren, seien auch Vertreter von Banken im Expertenkreis.

Die beiden Wissenschaftlerinnen verfolgen mit ihrer Initiative auch die Hoffnung, den Mittelstand vor leidigen Umwegen zu bewahren. „Mein persönlicher Wunsch wäre, dass die Mittelständler aus den Fehlern der großen Unternehmen lernen“, be­tont Bannier. Dort habe am Anfang große Euphorie für Nachhaltigkeitsthemen geherrscht, dann kamen Vorwürfe von Greenwashing auf und vieles sei verpufft. „Diese erste Welle können die Mittelständler umgehen, wenn sie wohlüberlegt und mit Bedacht vorgehen. Darin wollen wir sie unterstützen“, sagt Bannier.

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