Übernahmekrimi am Wohnungsmarkt
Von Annette Becker, Düsseldorf
Im dritten Anlauf hat es endlich geklappt: Vonovia, Deutschlands größter Wohnimmobilienkonzern, hat sich die Nummer zwei der Branche, Deutsche Wohnen (DW), einverleibt. Entstanden ist ein Unternehmen mit mehr als 500 000 Wohnungen und einem Portfoliowert von 90 Mrd. Euro. Doch das, was sich im Mai 2021 zunächst als Übernahme in freundschaftlichem Einvernehmen darstellte, mutierte zum Kräftemessen mit kurzfristig orientierten Investoren. Die Finanzierung der größten Übernahme der Firmengeschichte von Vonovia, die mit einem Volumen von knapp 30 Mrd. Euro (inklusive Schulden) zugleich die größte Transaktion auf dem europäischen Immobilienmarkt war, stellte dagegen kein Problem dar.
Es sollte letztlich bis 2. November dauern, bis die Transaktion der Superlative abgeschlossen war. Dabei hatten die Protagonisten, Rolf Buch, Vorstandschef von Vonovia, und Michael Zahn, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Wohnen, reichlich Vorarbeit geleistet, um etwaige Hürden aus dem Weg zu räumen. Neben dem Beseitigen persönlicher Animositäten, die Folge des fünf Jahre zuvor gescheiterten Übernahmeversuchs waren, galt es insbesondere die Politik im Jahr der Bundestagswahl von der Großfusion zu überzeugen. Denn obgleich der vom Berliner Senat beschlossene Mietendeckel vor dem Verfassungsgericht gescheitert war, war die Enteignungsdebatte noch längst nicht vom Tisch.
Entsprechend wurde das Zusammenschlussvorhaben mit einem Angebot an Berlin zum Kauf von 20 000 Wohnungen und der Verpflichtung, die Mietsteigerungen in der Hauptstadt in den nächsten drei Jahren zu deckeln, kombiniert. Der Öffentlichkeit stellten die beiden Vorstandschefs das Vorhaben am 25. Mai zusammen mit dem Regierenden Bürgermeister Berlins, Michael Müller (SPD), im Roten Rathaus vor – eine tiefere Verbeugung vor der Politik geht kaum.
Die Politik war es aber letztlich auch, die DW-Chef Zahn zum Meinungsumschwung bewogen hatte. Denn das regulatorische Umfeld und die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Klimakrise – Stichwort: energetische Sanierung der Wohnungen – hatten zwischenzeitlich auch die DW-Investoren zum Nachdenken gebracht. Nur deshalb gelang es Vonovia mit einem Angebotspreis von zunächst 52 Euro zuzüglich der noch ausstehenden Dividende von 1,03 Euro je Aktie, die Unterstützung von Vorstand und Aufsichtsrat der Deutsche Wohnen für den Deal zu gewinnen. Der Kaufpreis enthielt zwar eine Prämie auf den gewichteten Durchschnittskurs der vorangegangenen drei Monate von 25 %. Einen Aufschlag auf den Nettovermögenswert der Aktie enthielt die Offerte jedoch nicht.
Zu siegesgewiss
Da sich beide Seiten handelseinig waren, nicht ohne Grund waren Plätze im Board der fusionierten Gesellschaft für verdiente Topmanager der Deutsche Wohnen freigemacht worden, schien dem Erfolg der Transaktion nichts mehr im Weg zu stehen. Noch bevor das offizielle Angebot lanciert wurde, unternahmen die Bochumer daher am 10. Juni den ersten Finanzierungsschritt mit der Emission von Anleihen im Umfang von 4 Mrd. Euro. Mit Orders über 18 Mrd. Euro war das Angebot 4,5-fach überzeichnet.
Das Geld war erforderlich, um vorsorglich schon ein paar DW-Aktien am Markt einzusammeln. Allerdings hätten die beiden Fusionspartner und ihre Berater schon zu diesem Zeitpunkt hellhörig werden können, gab Elliott doch zeitgleich bekannt, bei Deutsche Wohnen die meldepflichtige Stimmrechtsschwelle von 3 % überschritten zu haben.
Vonovia ließ sich von Morgan Stanley, Société Générale und Bank of America begleiten. Die Banken stellten die Brückenfinanzierung von anfänglich 22 Mrd. Euro bereit und qualifizierten sich damit als Federführer für die nachfolgenden Kapitalmarkttransaktionen. Deutsche Wohnen standen J.P. Morgan, UBS und Goldman Sachs zur Seite.
Als das offizielle freiwillige Übernahmeangebot am 23. Juni startete, hatte Vonovia bereits ein DW-Aktienpaket von 18,35 % in der Tasche. Etwa 10 % hatten die Bochumer dabei an der Börse erworben. Zudem hatten der norwegische Staatsfonds und das Investmentvehikel des Hedgefonds Davidson Kempner ihre DW-Aktien außerhalb des Angebots an Vonovia verkauft.
Zum Verhängnis sollte Vonovia jedoch die im Angebot festgeschriebene Mindestannahmeschwelle werden, wenngleich diese mit 50 % plus eine Aktie vergleichsweise niedrig ausfiel. Denn außer Acht gelassen wurde dabei, dass in den beiden Dax-Werten zahlreiche Indexfonds engagiert waren, die ihre Aktien erst nach dem erfolgreichen Abschluss der ersten Andienungsfrist in das Angebot einreichen durften.
Zum bösen Erwachen kam es am 24. Juli, kurz nach Ablauf der ersten Annahmefrist. Mit einer Annahmequote von 47,62 % war die Mindestschwelle um Haaresbreite verfehlt worden. „Das Ergebnis ist sehr enttäuschend, auch wenn wir dieses Mal vieles richtig gemacht haben“, räumte Buch damals ein. Die Schuld am Scheitern hatten Hedgefonds, auch wenn diese nach Lesart Buchs valides Interesse am Zustandekommen des Deals gehabt hätten. „Das System hat sich praktisch selbst ein Bein gestellt“, analysierte der Vonovia-Chef nüchtern.
Nickeligkeiten
Doch Zeit fürs Wundenlecken gestand sich Buch nicht zu. Im Gegenteil: Praktisch mit Bekanntgabe des Scheiterns zauberte der Vonovia-Chef die Option eines neuerlichen Angebots aus dem Hut. Zunutze machten sich die fusionswilligen Unternehmen dabei eine Ausnahmeregelung. Denn sofern sich die beiden Parteien handelseinig sind, kann die Finanzaufsicht BaFin die Bieterin von der normalerweise geltenden einjährigen Sperrfrist befreien. Kurz nach dem Scheitern gab Vonovia bekannt, die Beteiligung an Deutsche Wohnen auf 29,99 % aufgestockt und sich damit in eine wesentlich bessere Ausgangsposition gebracht zu haben. Das wenige Tage später angekündigte Übernahmeangebot belief sich auf 53 Euro je Aktie.
Jenseits des Angebotspreises blieb die Offerte samt Business Combination Agreement in ihren Eckpfeilern unverändert. Allerdings räumte sich Vonovia die Möglichkeit ein, die Mindestannahmeschwelle während der Annahmefrist zu streichen. Diese Option zog Vonovia im September und machte die Transaktion damit ein für alle Mal hieb- und stichfest.
Zudem hatte sich die Bieterin eine Handvoll Nickeligkeiten einfallen lassen, um spekulativen Investoren das Handwerk zu legen. So legten sich die Bochumer explizit darauf fest, für die Dauer von drei Jahren keinen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit Deutsche Wohnen abzuschließen. Zwar erübrigten sich Spekulationen auf ein höheres Abfindungsangebot im Zuge von Strukturmaßnahmen nicht gänzlich. Für eilige Investoren wurde ein Investment damit jedoch unattraktiv. Auch schloss Vonovia im neuen Angebot die Nachbesserung der Offerte ausdrücklich aus. Zusätzlich kündigte Deutsche Wohnen an, künftig keine Dividenden mehr auszuschütten.
Wenige Tage nachdem das neue Angebot scharf geschaltet war, sammelte Vonovia am Bondmarkt abermals 6 Mrd. Euro, zu noch günstigeren Konditionen als im Mai. Am 7. Oktober waren die Bochumer dann endlich am Ziel: Nach Ablauf der ersten Annahmefrist besaß Vonovia 60,3 % an Deutsche Wohnen und hatte damit die ursprünglich geltende Mindestannahmeschwelle passiert. Nach Ablauf der erweiterten Annahmefrist waren es 87,6 %.
Gekrönt wurde der Übernahmemarathon im Dezember mit einer 8 Mrd. Euro schweren Bezugsrechtsemission – nie zuvor hatte es in der weltweiten Immobilienbranche eine größere Eigenkapitalmaßnahme gegeben. Wohl auch aus diesem Grund ging Vonovia auf Nummer sicher und ließ sich die Kapitalerhöhung von den emissionsbegleitenden Banken garantieren. Doch auch, wenn das Grundkapital damit um 35 % erhöht wurde, war Vorsicht an dieser Stelle fehl am Platz, belief sich die Bezugsquote doch auf stolze 98,6 %. Der Bezugspreis von 40 Euro entsprach einem Abschlag von 22,5 % auf den um den Wert des Bezugsrechts bereinigten Kurs.
Später Absprung
Ende gut, alles gut? Nicht ganz. Denn kurz vor Weihnachten entschied sich Zahn, auf seinen im Mai ausgehandelten Posten als stellvertretender Vorstandschef von Vonovia zu verzichten. Das darf man getrost als Hinweis auf die sehr unterschiedlichen Firmenkulturen in Berlin und Bochum verstehen, die einer reibungslosen Integration im Wege stehen könnten.