IPOs

Vom Wachstums­wunder zum Rohr­krepierer

Eine Reihe von stark gehypten IT-Unternehmen, die den Sprung aufs Londoner Parkett wagten, ist unter die Räder gekommen. Die Ernüchterung über den Abstand von Marketing und Realität ist groß.

Vom Wachstums­wunder zum Rohr­krepierer

Von Andreas Hippin, London

Sie heißen Alphawave IP, Darktrace oder THG. Ihre Initial Public Offerings (IPOs) waren von großen Wachs­tumshoffnungen begleitet. Doch seit einigen Wochen kennen ihre Kurse nur noch eine Richtung. Man sollte den Gründern dieser Technologieunternehmen nicht übelnehmen, dass sie sich im besten Licht darstellen wollten. Doch fragt man sich, warum die oft aberwitzigen Equity Stories von den hoch bezahlten Fachleuten institutioneller Investoren ernst genug genommen werden, um ihnen bei ihren Börsengängen erstaunliche Bewertungen zu sichern. Offenbar fürchtet man in der City immer noch, das nächste IT-Wachstumswunder zu verschlafen, und ist deshalb bereit, jedem, der eine halbwegs glaubwürdige App entwickelt hat, erst einmal Glauben zu schenken.

Gehypter Make-up-Versand

Matt Mouldings E-Commerce-Konglomerat THG (The Hut Group), in dem manche schon eine Art britische Amazon.com zu erkennen glaubten, stürzte von 660 auf weniger als 200 Pence ab. Zuletzt halbierte der Ankeraktionär BlackRock seine Beteiligung. Zuvor war die Fondsgesellschaft neben dem Internet-Tycoon aus Burnley der zweitgrößte Anteilseigner. Das IPO von THG im September vergangenen Jahres war der bis dahin größte Börsengang einer E-Commerce-Firma in Europa. Der Online-Haushaltsgerätehändler AO World holte sich vor sieben Jahren 487 Mill. Pfund. Zalando brachte der Sprung aufs Parkett im selben Jahr umgerechnet 411 Mill. Pfund. Bloomberg zufolge war es zudem das größte IPO in London seit der Rückkehr von Allied Irish Banks 2017. Dann stieg auch noch der japanische Finanzinvestor Softbank ein, der sich wohl in erster Linie für die E-Commerce-Plattform Ingenuity interessiert, die THG auch anderen Investoren zur Verfügung stellt.

Plötzlich rückte eine mögliche Zerschlagung in den Fokus. Und je genauer man hinsah, desto mehr glich THG nur noch einem Make-up-Versand mit großen Ambitionen. Die Frage, die sich Fondsmanager gleich zu Anfang hätten stellen können, lautet: Warum sollten Kunden auf Ingenuity setzen, wenn sie auch Amazon.com als E-Commerce-Dienstleister benutzen können? Dazu muss man noch nicht einmal die Technologie verstehen, die so einem Ge­schäftsmodell zugrunde liegt.

Alphawave IP konzentriert sich darauf, auf Grundlage di­gitaler Signalprozessortechnologie eine schnellere Datenübertragung bei geringerem Energieverbrauch zu ermöglichen. Natürlich wurde der kanadische Chipdesigner gleich in die Nähe von ARM Holdings gerückt, dem britischen­ IT-Vorzeigeunternehmen, dessen Chiparchitektur die Grundlagen für das mobile Internet geliefert hat. Dazu passte, dass Alphawave IP ankündigte, ein Forschungszentrum im „Silicon Fen“ von Cambridge einzurichten, denn dort hat ARM Holdings ihren Sitz. BlackRock gehört auch bei diesem Unternehmen zu den Ankerinvestoren. Ernüchterung setzte nur langsam ein, nachdem die „Financial Times“ herausarbeitete, dass das Unternehmen den Großteil seiner Umsätze mit nahestehenden Parteien macht – der China Product Partnership, die es mit seinem chinesischen Großaktionär Wise Road Capital an den Start gebracht hat, und Verisilicon, deren Anteilseigner Sehat Sutardja im Board von Alphawave IP sitzt.

Der IT-Sicherheitsfirma Darktrace machten nahestehende Parteien schon vor ihrem Börsengang zu schaffen. Der Autonomy-Gründer Mike Lynch, der weiter gegen seine Auslieferung in die Vereinigten Staaten kämpft, gehörte zu ihren ersten Investoren. Nach einer kritischen Studie des Brokers Peel Hunt schmierte auch ihr Aktienkurs ab. Die Analysten hatten auf 51 Seiten ausgeführt, warum es aus ihrer Sicht zu einer Entkoppelung von Kurs und Umsatzpotenzial gekommen sei. Ihr Fazit: Die Aktie sei nur halb so viel wert, wie vor Veröffentlichung der Studie dafür bezahlt wurde. Es gebe eine „Lücke zwischen Marketing und Realität“. Das lässt sich mittlerweile über viele Börsenneulinge sagen.

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