VW-Aktionäre erneuern Klage über Defizite bei Fahrzeugbauer
VW-Aktionäre erneuern Klage über Governance-Defizite
Doppelmandat des Konzernchefs und fehlende Unabhängigkeit im Aufsichtsrat moniert – Kritik an virtuellem Hauptversammlungsformat
ste Hamburg
Aktionäre haben in der diesjährigen virtuellen Hauptversammlung von Volkswagen einmal mehr Governance-Defizite bei dem Mehrmarkenkonzern beklagt. Als einziges Börsenunternehmen in Deutschland leiste sich VW mit Konzernchef Oliver Blume einen Teilzeit-Vorstandsvorsitzenden und verursache damit „eine besorgniserregende Governance-Anomalie, die maximal temporär (...), aber nicht dauerhaft" zu begründen sei, kritisierte Hendrik Schmidt von der Fondsgesellschaft DWS das Doppelmandat Blumes als Vorstandschef des VW-Konzerns und der Sportwagentochter Porsche.
Ferner fehle es im Aufsichtsrat des von den Familien Porsche und Piëch sowie dem Land Niedersachsen dominierten Konzerns weiterhin vollständig an „wirklich unabhängigen Mitgliedern“. Für eine weitere Amtszeit im Aufsichtsrat wurden Hessa Sultan Al Jaber, Hans Michel Piëch und Ferdinand Oliver Porsche gewählt.
„Werte zerstört“
Ulrich Hocker, Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), betonte, die Governance-Defizite seien der Hauptgrund für die niedrige Börsenbewertung des Konzerns. Ingo Speich von der Fondsgesellschaft Deka Investment erklärte, seit der Hauptversammlung im Mai 2023 habe die VW-Stammaktie 6% eingebüßt. Verglichen mit dem europäischen Branchenindex Euro Stoxx 600 Automobile & Parts habe die VW-Aktie 20% schlechter abgeschnitten: „Anstatt Wert zu erhalten oder zu steigern, haben Sie Werte und damit einen Teil unseres Aktionärsvermögens zerstört.“
Beklagt wurden ferner ebenfalls wieder der zu geringe Dividendenabstand zwischen den stimmrechtslosen Vorzugs- und den Stammaktien, Defizite am Vergütungssystem sowie eine unzureichende Aufarbeitung der 2015 aufgeflogenen Dieselabgasmanipulationen. Auch die Rückkehr zum Format der virtuellen Hauptversammlung fiel bei Anlegern und Aktionärsschützern durch. VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch verwies darauf, dass sich der Vorstand nach der Ermächtigung mit einer Mehrheit von 99,7% in der letztjährigen Hauptversammlung für das Format entschieden habe.
„Sicherheitserwägungen“
Manfred Döss, im Konzernvorstand für das Ressort Integrität und Recht zuständig, sagte, bei der Entscheidung hätten in Anbetracht der Vorfälle in der Präsenzversammlung des vorigen Jahres in Berlin „nachvollziehbarerweise Sicherheitserwägungen eine Rolle gespielt“. Damals war es zu Protesten von Klima- und Menschenrechtsaktivisten und zu einem Tortenwurf in Richtung Aufsichtsrat gekommen.
VW ducke sich vor den Aktionären weg, so Deka-Vertreter Speich. Das schade der Unternehmens- und Aktionärskultur in Deutschland. Die diesjährige Hauptversammlung, zu der sich rund 540 Aktionäre zugeschaltet hatten und die eine Präsenz von 55,43% aller Aktien und 94,16% der Stammaktien erreichte, fand auf dem VW-Werksgelände in Wolfsburg statt. Sie dauerte gut neun Stunden.
Pläne für Elektro-Kleinwagen
Kritisiert wurden weiter die große Abhängigkeit von China und der Rückstand bei Elektrofahrzeugen im weltgrößten Automarkt gegenüber der lokalen Konkurrenz. Mit der Transformation zur E-Mobilität tue sich VW schwer, so Janne Werning von Union Investment. Der Konzern müsse den Erfolg des VW Golf dringend auf Elektrofahrzeuge übertragen. Vorstandschef Blume verwies nach der Ankündigung des Unternehmens vom Vorabend auf Pläne, künftig Elektrofahrzeuge für Preise um 20.000 Euro auf die Straße zu bringen. „Damit halten wir unser Versprechen, bezahlbare Mobilität für Generationen anzubieten“, sagte er.
Anstatt in einer Partnerschaft mit Renault, die an internen Widerständen gescheitert sein soll, will VW das Projekt aber eigenständig entwickeln – „aus Europa für Europa“. Über den Produktionsstandort und über Investitionsmittel wurde noch nicht entschieden, wie Thomas Schäfer, Chef der Marke Volkswagen und Leiter der Markengruppe Core, mitteilte. Inwiefern das Projekt der Markengruppe Core mit der geplanten Weltpremiere im Jahr 2027 profitabel umzusetzen ist, blieb offen.
Konkurrenz aus China
Blume erklärte, man profitiere von Skaleneffekten, einem hohen Lokalisierungsgrad und dem technischen Fortschritt der Elektrofahrzeugplattform MEB. Man werde zu einem attraktiven Preis Maßstäbe bei Design, Qualität, Ausstattung und Technologie setzen. Eile ist geboten, denn Konkurrenten drängen in das Segment. Stellantis will ab Herbst 2024 Stromer des chinesischen Partners Leapmotor in Europa auf den Markt bringen. Der Kleinwagen „Seagull“ des chinesischen Elektroautobauers BYD soll 2025 in Europa starten.