Konstantin Sauer, ZF Friedrichshafen

ZF will „nicht überinvestiert sein“

Die Aussichten für die Automobilindustrie sind herausfordernd. Für Europa rechnet ZF 2023 mit rückläufigen Absatzzahlen. Allerdings ist das Unternehmen inzwischen global aufgestellt und auch die steigenden Zinsen sind kein größeres Problem, wie der Ende 2022 ausscheidende CFO Konstantin Sauer erklärt.

ZF will „nicht überinvestiert sein“

Sebastian Schmid.

Herr Sauer, in ein paar Wochen geben Sie den Staffelstab weiter. Haben Sie schon Bilanz gezogen oder war dafür noch keine Zeit?

Die richtige Reflexionsphase hat bei mir noch nicht begonnen. Bei ZF sind wir aktuell noch stark operativ unterwegs, um die vielen Krisen zu bewältigen. Eine Bilanz werde ich deshalb sicher erst im nächsten Jahr ziehen.

Zwei Themen, die aktuell praktisch alle Unternehmen beschäftigen, sind Inflation und der Anstieg des Zinsniveaus. Wie wirkt sich das bei ZF aus?

Auf der Finanzierungsseite gibt es bei ZF in begrenztem Umfang variabel verzinste Finanzierungen und auch Refinanzierungen, bei denen das gestiegene Zinsniveau zum Tragen kommt. Das merken wir auch bei den Abschlüssen, die wir derzeit tätigen, wie vor kurzem bei unserem grünen Schuldschein mit einem Volumen von rund 700 Mill. Euro. Die Zinskosten setzen sich immer aus Basiszins und Risikoaufschlag, also dem so genannten Spread, zusammen. Letzterer wird maßgeblich von Unsicherheiten und geopolitischen Spannungen, wie wir sie derzeit erleben, beeinflusst. Solange die Geopolitik so bleibt, wie sie ist, muss man weiter von einem hohen Zinsniveau ausgehen. Das haben wir in unseren Finanzplanungen berücksichtigt.

Wie stark trifft das ZF?

Wie gesagt, das gestiegene Zinsniveau betrifft aktuell vor allem kurzfristige Finanzierungen, Refinanzierungen und Finanzierungen mit variablen Zinssätzen. Der weit überwiegende Teil unserer Darlehen ist aber langfristig mit fixen und aus heutiger Sicht sehr günstigen Zinssätzen finanziert. Hinzu kommt, dass das gestiegene Zinsniveau auch einen positiven Effekt hat. Der höhere Abzinsungsfaktor verringert in der Bilanz die Pensionsverpflichtungen, verglichen mit dem Jahresende 2021, deutlich. Das wirkt sich entlastend auf der Passivseite unserer Bilanz aus.

Sie haben bei Ihrem grünen Schuldschein den Zins an das Erreichen Ihrer Nachhaltigkeitsziele gekoppelt. Da die Finanzierungskosten steigen, wenn Ihre Ziele verfehlt werden, fallen die Kosten bei Erreichen geringer aus als bei einem nichtnachhaltigen Instrument?

Zunächst einmal sind die Kriterien, also die Key-Performance-Indikatoren, die in unseren nachhaltigen Finanzierungen verankert werden, keine neuen Ziele für uns. Es sind KPIs, die in unserer ZF-Nachhaltigkeitsstrategie ohnehin verankert sind. Strategie, Nachhaltigkeit und Finanzierung befinden sich daher im Einklang. Hinzu kommt, dass immer mehr Kapitalmarktteilnehmer genau diese Verbindung wünschen. Und dem stellen wir uns natürlich auch.

Klar, aber bringt das auch bessere Konditionen?

Solche Modelle bieten gewisse Chancen. Beim nachhaltigen Schuldschein ergibt sich ein Vorteil, sobald die vorher vereinbarten Nachhaltigkeitsziele erreicht werden, wobei es auch einen 5-Basispunkte-Malus bei Nichterfüllung der Ziele gibt. Bei Green Bonds lässt sich das noch schwieriger bewerten. Meistens gibt es einen kleineren Abschlag bei der Ausgabe. In der Vergangenheit war der meist im niedrigen zweistelligen Basispunktebereich. Inzwischen hat sich der Wind gedreht und Unternehmen ohne einen Nachhaltigkeitslink erhalten einen Malus, anstatt einen Bonus für nachhaltige Finanzierungen zu bekommen.

Einen Malus gibt es auch für Automobilzulieferer, wenn diese aus Banken- und Investorensicht zu zögerlich auf die Elektromobilität umstellen. Wie weit ist ZF hier mittlerweile?

ZF hat das Auftragsvolumen für die Elektromobilität auf inzwischen mehr als 25 Mrd. Euro gesteigert. Das ist wichtig für uns, auch weil derzeit die Technologien für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren und Plug-in-Hybride als Übergangstechnologie einen Teil unseres Umstiegs in die Elektromobilität finanzieren. Aus Sicht des Finanzvorstands und des Controllings gilt es, die verschiedenen Produktlebenszyklen auszutarieren. Wichtig ist dabei, dass man bei den Übergangstechnologien die richtigen Investitionszeitpunkte erkennt und nicht zu viel investiert.

Bei den Plug-in-Hybriden haben Sie gerade die vierte Generation auf den Markt gebracht. In Deutschland wird die Förderung nun beendet. Hat das Einfluss auf Ihre Investitionsentscheidungen?

Es ist nicht hilfreich für den Plug-in-Hybrid, wenn so eine Entscheidung zur Förderung gefällt wird. Aber die Diskussion um diese Technologie ist vor allem eine deutsche. Bei ZF schauen wir uns die Absatzmärkte aber global an. Und in China oder den USA haben wir eine ganz andere Situation als in Deutschland. Dabei analysieren wir genau, wie lange die Abschreibungskurven für eine Technologiegeneration sind, welcher Teil der Kurve durch Kundenaufträge gedeckt ist – und basierend darauf – geben wir Investitionen sehr vorsichtig frei. Wir wollen schließlich auch nicht überinvestiert sein.

Können Sie sich bei reinen E-Antrieben eine so vorsichtige Investitionshaltung leisten? Hier ist die Konkurrenz doch deutlich größer, da es anders als bei Plug-in-Antrieben auch Konkurrenz durch Newcomer gibt.

Natürlich stehen wir bei der Technologie für die E-Mobilität nicht auf der Bremse, sondern versuchen, so viele Aufträge hereinzuholen, damit der erwartete Rückgang von Aufträgen auf der konventionellen Antriebsseite mindestens ausgeglichen wird. Das ist schließlich ein zentraler Teil unserer Transformation – sowohl produkt- als auch wertschöpfungsseitig. Auf der Wertschöpfungsseite schauen wir uns deshalb die Standorte der konventionellen Technologie genau an, damit diese auch an der E-Mobilität partizipieren können. Ein perfektes Beispiel dafür ist Saarbrücken, wo das Unternehmen, die Mitarbeiter und die Landesregierung eine Übereinkunft zur Sicherung des Standorts mit Produkten für die reine E-Mobilität gefunden haben.

Traditionell ist der Anteil des Geschäfts mit hiesigen Autobauern recht hoch. Im Elektromobilitätsmarkt könnten die Marktanteile aber ganz anders verteilt sein. Müssen Sie sich auch kundenseitig umstellen?

Mit der Akquisition von TRW haben wir unser Geschäft mit den führenden Autobauern in Nordamerika deutlich ausgebaut, so dass das Bild von ZF als Zulieferer im Wesentlichen von deutschen und europäischen Autoherstellern so schon länger nicht mehr stimmt. Wir haben zudem wichtige Kunden in China gewonnen.

Also ist der Anteil der deutschen OEMs in den vergangenen Jahren zurückgegangen?

Prozentual schon, in absoluten Zahlen sind wir aber auch mit deutschen OEMs gewachsen.

Vielleicht noch mehr als von der technologischen Transformation waren die vergangenen Jahre von mehreren, sich überlappenden Krisen geprägt. Was hat ZF getan, um gegen diese und künftige besser gewappnet zu sein?

Wir haben seit 2020 mehrere Krisen unterschiedlicher Ausprägung er­lebt. Die Coronakrise hatte zunächst regionale Ausprägungen. 2021 folgte dann die Halbleiterkrise, die noch nicht ausgestanden ist. Der Mangel wird hier vorerst noch andauern. Die dritte Krise, die mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine noch hinzugekommen ist, dürfte eine durch Energiekrise und Inflation ausgelöste Rezession in Europa sein. Es überlagern sich also mehrere Krisen. Für uns bedeutet dies, dass wir mit einer bedeutend unsichereren Welt umgehen müssen.

Wie kann das gelingen?

Zum einen müssen wir sehr flexibel bleiben in unserer Kostenstruktur. Zum anderen haben wir ein flexibles System der Unternehmensführung etabliert, da der klassische Planungsprozess in volatilen Zeiten nicht mehr funktioniert. Wir sind deshalb umgestiegen auf einen Rolling-Forecast-Prozess. Dabei definieren wir monatlich neue Prämissen – sei es für Materialpreisentwicklungen oder andere Einflüsse.

Wie unterscheidet sich das von Ihrem früheren Vorgehen?

Vor fünf Jahren war unser Planungsprozess auf die nächsten drei Jahre ausgerichtet und wurde einmal jährlich überprüft und angepasst. Diese Anpassungen nehmen wir mittlerweile jeden Monat vor, um frühzeitig auf verschiedenen Ebenen gegensteuern zu können. Zum Beispiel indem man mit Lieferanten die Preise neu verhandelt oder selbst Preisanpassungen vornimmt. Dafür haben wir die notwendigen flexiblen und schnellen Prozesse.

Bei Preisanhebungen dürften Sie sich schwerer tun als viele Hersteller, die einfach ihre UVP anpassen. Sie haben meist langfristige Lieferverträge.

Natürlich haben wir im B2B-Geschäft andere Voraussetzungen und laufende Verträge. In einem Hochinflationsumfeld ist es wichtig, genau zu verstehen, wie Inflation wirkt. Nur dann kann man basierend auf Daten mit den Kunden und Lieferanten verhandeln und auf partnerschaftlicher Basis vernünftige Vereinbarungen treffen. Das ist ein ständiger Prozess, der uns noch länger begleiten wird, denn die Inflation wird auch 2023 andauern. Aber so ungewöhnlich ist das für ZF nicht. Es gibt Regionen, etwa in Südamerika, in denen wir seit Jahrzehnten geübt darin sind, mit hohen Inflationsraten umzugehen. Neu ist nur, dass uns das jetzt auch in Europa trifft.

Das Pkw-Geschäft war im vergangenen Jahr geprägt von Angebotsknappheit und damit einem Nachfrageüberhang mit steigenden Preisen. Droht jetzt mit der Rezession ein Angebotsüberhang?

Wir teilen die Einschätzung, dass wir in Europa und speziell in Deutschland im Pkw-Bereich eine Rezession vor uns haben. Entsprechend erwarten wir ein Absatzniveau, das unter dem des laufenden Jahres liegen wird. In China und den USA werden die Auswirkungen allerdings aller Voraussicht nach geringer sein. Dennoch sind wir aktuell sehr restriktiv bei Investitionen und der Freigabe von Budgets.

Erwarten Sie für den Nutzfahrzeugbereich ähnlich schwierige Zeiten?

Da sieht es nach unserer Einschätzung etwas anders aus. Hier sehen wir eine recht gute Entwicklung – auch nächstes Jahr.

Die Autohersteller fokussieren zunehmend. Nutzfahrzeuge werden abgespalten, das Volumensegment für mehr Premium vernachlässigt. Ist das auch für Zulieferer wie ZF eine Option?

Wir sind sehr breit aufgestellt, beliefern praktisch alle Segmente und nutzen die technologischen Syn­er­gien. Das hilft uns dabei, unterschiedliche Marktentwicklungen besser abzufedern und auf einzelne Marktverschiebungen zu reagieren. Deshalb werden wir unser Umsatzziel von mehr als 40 Mrd. Euro in diesem Jahr auch erreichen – trotz aller Unsicherheiten im Markt.

Mit der passiven Sicherheit gliedern Sie dennoch einen Bereich aus dem Portfolio aus. Ist das nur ein einzelner Schritt?

Wir haben schon immer gesagt, dass wir unser Portfolio ständig überprüfen. In diesem Fall gliedern wir den sehr erfolgreichen Bereich aus, um der Division ein schnelleres und größeres Wachstum zu ermöglichen. Denn für ein solches Wachstum sind Investitionen erforderlich, die von den strategischen Technologiefeldern unabhängig sind, auf die wir uns fokussieren. Und die passive Sicherheit zahlt auf die Themen E-Mobilität, Vehicle Motion Control und autonomes Fahren, die wir für uns als Zukunftsfelder definiert haben, weniger stark ein als unsere anderen Divisionen.

Beispielsweise aktive Sicherheit?

Genau. Der Bereich Vehicle Motion Control ist eines der technologischen Kernfelder für uns – und bei diesem Thema läuft ohne die Bremse nichts. Das erklärt auch die Logik unserer beiden großen Zukäufe in den vergangenen Jahren: Mit TRW haben wir uns im Pkw-Bereich und mit Wabco bei den Nutzfahrzeugen viel breiter aufgestellt. Wir haben aber auch schon vor der passiven Sicherheit andere Bereiche ausgegliedert, die nicht mehr so gut zu unserer Strategie gepasst haben und Wachstumskapital benötigten. Natürlich geht es auch darum, Investitionen in Kernfelder zu ermöglichen.

Ein Zukunftsthema, aus dem sich viele Autohersteller aber auch Techfirmen zuletzt zurückgezogen oder zumindest ihr Engagement reduziert haben, ist autonomes Fahren. Bleibt ZF weiter dran?

Ja, das werden wir. Das Thema autonomes Fahren wird zuerst im Nutzfahrzeug zur Anwendung kommen. Zunächst sehen wir die vollautonomen Funktionen auf dem Werksgelände oder in anderen fest definierten Umgebungen – etwa in der Landwirtschaft oder im Bau. Das sind die ersten Anwendungen, die einen ökonomischen Nutzen haben. Der zweite Bereich sind die Anwendungen in der Personenbeförderung wie bei Shuttle-Lösungen, für die wir die entscheidenden Systeme entwickeln.

Aber gibt es da auch einen Know-how-Transfer vom Nutzfahrzeug zum Pkw und umgekehrt? Viele Autobauer haben sich schließlich aufgespalten und sehen diesen offenbar weniger…

Die Geschäftsmodelle in Nutzfahrzeug- und Pkw-Markt unterscheiden sich schon deutlich. Technologisch gibt es aber einige Synergien. In der Elektromobilität profitiert unser Nutzfahrzeuggeschäft enorm von der Entwicklungstätigkeit im Pkw-Bereich. Auch die Plug-in-Hybrid-Technologie, die für Pkw entwickelt wurde, findet in leichteren Nutzfahrzeugen Anwendung. Beim autonomen Fahren gilt, dass die Sensorik und High-Performance-Computer, die wir für Pkw entwickeln, auch in Nutzfahrzeugen gut funktionieren.

Eine offene Frage ist, welche Rolle ein Zulieferer künftig einnehmen wird, wenn es um das softwaredefinierte Auto geht. Die Bereiche, in die man da gehen kann, sind so vielfältig, dass es wahrscheinlich die wichtigste Aufgabe ist, auszusieben. Wo zieht ZF hier die Grenze?

Das Software Defined Car ist sicher einer der Megatrends, der unsere Branche prägen wird. Da gibt es neue Wettbewerber aus dem Silicon Valley, aber natürlich auch die OEMs und andere Zulieferer. Ich glaube, dass wir da Technologien im Angebot haben, mit denen wir Standards setzen, weil wir mit unserer Hardware-Erfahrung Komponenten sehr effektiv mit Software vernetzen können. Beispiele im Bereich Vehicle Motion Control sind Anwendungen wie „Steer by Wire“ oder „Brake by Wire“.

Ist denn Steer by Wire wirklich so viel günstiger, dass die Nachfrage eindeutig dahin geht?

Wir haben Aufträge von Kunden aus Amerika, Europa und Asien. Insofern ist das Interesse global. Aber hier geht es nicht nur um die Kosten der Komponenten an sich, sondern auch darum, welche neuen Freiheitsgrade der Fahrzeugbauer durch diese Technolo­gie erhält. Ohne Lenksäule können Autos ganz anders designt werden und die OEM sparen sich Kon­struk­tionskosten für Links- und Rechtslenkerautos. Außerdem schafft ZF neue Funktionen durch die Vernetzung der Komponenten mittels Software, der sogenannten Middle Ware. Das Betriebssystem des Autos kommt von unseren Kunden und setzt auf der von uns entwickelten Plattform auf.

Bei den Herstellern gab es zuletzt insbesondere im Volumensegment eine stärkere Konsolidierung. Sehen Sie auch auf der Zuliefererseite einen stärkeren Konsolidierungsbedarf?

Ich denke schon, dass gerade Hersteller, die in den neuen Themen noch nicht so gut aufgestellt sind, Kooperationen und Zukäufe suchen werden. Ich sehe ZF in diesem Zusammenhang allerdings nicht im größeren Stil als Käufer auftreten. Dennoch könnte es den einen oder anderen kleineren Deal mit einem technologischen Hintergrund geben.

Sind Sie denn mit ihrem jüngsten großen Zukauf Wabco mittlerweile durch?

Bei Wabco konnten wir tatsächlich die Integration noch schneller abschließen, als das bei TRW der Fall war – trotz der pandemiebedingten Er­schwernisse. Das lag allerdings auch daran, dass wir die Erfahrung der TRW-Übernahme bei Wabco genutzt haben. Dennoch war es schade, dass wir in der Integrationsphase das Wabco-Team wegen der Reisebeschränkungen nicht wirklich so gut kennenlernen konnten, wie vorher bei TRW. Und im Prinzip haben wir das noch immer nicht wieder aufholen können, da es beispielsweise bis heute schwierig ist, nach China zu reisen. Insofern bin ich umso zufriedener, dass es so gut geklappt hat.

Das Interview führte

BZ+
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