Kryptowährungen

Bitcoin verlässt den Kinder­tisch

Investoren hoffen darauf, dass die führende Kryptowährung 13 Jahre nach ihrem Entstehen endlich reifer wird. Doch auf Bitcoin warten 2022 große Herausforderungen – und hohe Volatilität.

Bitcoin verlässt den Kinder­tisch

Bitcoin wird 2022 zum Teenager. Investoren hoffen nun darauf, dass sich die vor 13 Jahren gestartete Kryptowährung langsam reifer und erwachsener verhält, Analysten erwarten allerdings eher eine aufsässige Phase hoher Kursvolatilität. Denn wenngleich der Markt für digitale Assets im abgelaufenen Jahr deutlich gewachsen ist – die Marktkapitalisierung aller umlaufenden Kryptowährungen belief sich Mitte Dezember auf 2,2 Bill. Dollar, Anfang Januar hatte sie noch 770 Mrd. Dollar betragen –, bleibt das Segment im Vergleich zu etablierten Assetklassen doch klein. Damit können einzelne Transaktionen gewaltige Verwerfungen im Markt auslösen – und es lauern genügend Gefahren, die zu sich beschleunigenden Abverkäufen führen könnten.

Zuletzt ist insbesondere ein Risikofaktor in den Fokus der Investoren gerückt: Der Stablecoin Tether. Bei Stablecoins handelt es sich um Kryptowährungen, die an beim Emittenten hinterlegte Basis-Assets wie Gold oder Staatsanleihen gekoppelt sind – im Fall von Tether liegt der Dollar zugrunde. Wie ihr Name sagt, sollen die Coins Preisstabilität gewährleisten, was bei Kryptowährungen wie Bitcoin nicht gegeben ist. Ihren Nutzen entfalten Stablecoins im Handel mit anderen Cyberdevisen. Denn wer mit Bitcoin handelt, muss beim Tausch in Fiat-Währungen mitunter tagelange Verzögerungen in Kauf nehmen. Der Wechsel in Stablecoins nimmt dagegen nur wenige Minuten in Anspruch, was es Anlegern effizienter ermöglicht, Gewinne zu sichern oder Kursrücksetzer schneller wieder für Einstiege zu nutzen. Tether, der unumstrittene Platzhirsch im Stablecoin-Segment, kommt in der Folge regelmäßig auf tägliche Handelsvolumina, die jene der führenden Kryptowährung Bitcoin um ein Vielfaches übersteigen.

Zweifel an Besicherung

In der Folge ist die Abhängigkeit des Kryptomarkts von Tether gewaltig gestiegen. Doch Marktbeobachter befürchten nun, dass der Stablecoin das gesamte Segment zum Einsturz bringen könnte. „Bei Tether be­stehen erhebliche Zweifel daran, dass jede Stablecoin-Einheit tatsächlich durch Dollar-Reserven gedeckt ist“, beschreibt Christopher Mellor, Leiter des ETF-Produktmanagements für Europa, den Nahen Osten und Afrika bei der US-Investmentgesellschaft Invesco, das Problem. Eine Implosion des Stablecoins, der in unruhigen Marktphasen eigentlich Sicherheit bieten soll, könnte laut Analysten zahlreiche Kryptobörsen die Existenz kosten und erhebliche Nervosität unter den Anlegern verursachen.

Laut Mellor ist es zum aktuellen Zeitpunkt wohl unmöglich abzuschätzen, wie groß die Gefahr durch Tether tatsächlich ist. „Meiner Ansicht nach ist der Kryptomarkt bereits zu weit entwickelt, als dass ihn das Tether-Risiko komplett aus der Bahn werfen würde“, räumt der Produktspezialist ein. „Allerdings dürften immer wieder Probleme und Herausforderungen auf das Segment zukommen, die auch für deutliche Kursrücksetzer sorgen können.“

Nach Einschätzung von Regulierungsexperten würde die Einführung von digitalem Zentralbankgeld einen effektiven Weg darstellen, den Markt zu stabilisieren und die Stablecoin-Risiken abzumildern. „Derzeit arbeiten 65 Notenbanken an der Digitalisierung ihrer Währungen“, sagt Steffen Bauke, CEO des Multi-Family Office Belvoir Capital. Allerdings sollten sich Investoren davon auch kein zu hohes Maß an Innovation versprechen. Denn die Währungshüter richteten ihre Anstrengungen nur auf einen Hygienefaktor internationaler Zahlungsströme.

Unterdessen arbeiteten die dezentral orientierten Blockchain-Entwicklergemeinschaften an einer Revolution des gesamten Geldsystems. Die Existenz von Bitcoin & Co. sei schließlich auf den durch die Finanzkrise von 2008 entstandenen Vertrauensverlust zurückzuführen, mittlerweile stellten digitale Assets eine valide Alternative dar. „In den nächsten Jahren wird sich das Kräfteverhältnis an den Kapitalmärkten weiter verschieben“, sagt Bauke. „Anleger sind daher gut beraten, wenn sie sich überlegen, in welche Arten digitaler Assets sie investieren möchten.“ Gerade der Be­reich von Decentralized-Finance-Lösungen werde noch deutlich an Relevanz gewinnen. Der Grundgedanke hinter dem DeFi-Trend besteht darin, klassische Finanzkonzepte mit Distributed-Ledger-Technologien zu verbinden und zentrale Intermediäre wie Börsenmakler und Banken abzulösen. Dabei helfen Smart Contracts, also Computerprotokolle, die Transaktionen automatisiert und dezentral ausführen können. Das Volumen des Kryptokapitals, das in Smart Contracts mit DeFi-Bezug liegt, ist kräftig gewachsen: Belief es sich zu Jahresbeginn laut der Plattform Defi Llama auf 21,6 Mrd. Dollar, soll es sich nun auf 250 Mrd. Dollar summieren.

Ether im Vorteil

Das Problem für Bitcoin: Mit der führenden Kryptowährung sitzen noch zahlreiche weitere Cyberdevisen am Asset-Kindertisch, die deutlich vielseitigere Begabungen vorweisen können. Zwar ist die Bitcoin-Blockchain seit dem viel beachteten, Mitte November aufgespielten Upgrade „Taproot“ fähig, komplexere Smart Contracts abzubilden. Das Ethereum-Netzwerk und die zugehörige Kryptowährung Ether besitzen diesbezüglich aber einen jahrelangen Vorsprung und laut Analysten somit einen klaren First-Mover-Vorteil. Das reflektieren auch die Zahlen: Während das Volumen der in DeFi-Protokollen hinterlegten Assets auf Bitcoin 164 Mill. Dollar beträgt, sind es bei Ethereum 164 Mrd. Dollar. „Es gibt sicherlich viele Faktoren, die für Ether sprechen, allen voran die Bedeutung der Cyberdevise für den DeFi-Trend“, sagt Invesco-Manager Mellor. Bit­coin stelle hingegen sicherlich nicht die optimale Lösung für die meisten realwirtschaftlichen Distributed-Ledger-Anwendungen dar, sondern sei vor allem aufgrund seiner Funktion als Wertaufbewahrungsmittel populär.

Bitcoin gilt aufgrund der per Protokoll festgeschriebenen Limitierung auf 21 Millionen Einheiten unter Kryptoinvestoren als Inflationsschutz. Doch auch Ether hat durch eine Anpassung der Transaktionsgebühren im Zuge einer umfangreichen Upgrade-Welle im abgelaufenen Jahr eine deflationärere Natur erhalten. Die Umstellung des Netzwerks auf die Version Ethereum 2.0 dürfte laut den Entwicklern 2022 abgeschlossen werden. Damit wird der Konsensmechanismus der Blockchain auf das sogenannte Proof-of-Stake-Verfahren (PoS) umgestellt. Dieses ist wesentlich energieeffizienter als die Proof-of-Work-Variante, auf die Bitcoin per Protokoll festgelegt ist. Somit, erwarten Analysten, dürfte Ether auch für umwelt- und klimabewusste Investoren gangbarer werden, denen der hohe Stromverbrauch von Bitcoin ein Dorn im Auge ist.

Neuer Widerstand

Nach der Verbannung von Krypto-Minern aus China haben die Nachhaltigkeitsbedenken im zweiten Halbjahr 2021 laut Bloomberg Intelligence zwar abgenommen. „Allerdings könnte der Widerstand gegen den Energieverschleiß von Bitcoin 2022 erneut aufkommen“, kommentiert Sam Belkin, Analyst bei dem Datendienstleister, die Aussichten. Zuletzt habe US-Senatorin Elizabeth Warren bereits Druck auf das New Yorker Krypto-Mining-Unternehmen Greenidge ausgeübt. Und auch Wirtschaftsköpfe wie Tesla-Chef Elon Musk könnten Miner dazu drängen, auf erneuerbare Energiequellen umzustellen, oder gleich einen Wechsel hin zu effizienteren Token anführen.

Die Nase vorn hat Bitcoin gegenüber Ether hinsichtlich der Verbreitung. So erwartet Alexander Höptner, CEO der Kryptobörse Bitmex, dass im neuen Jahr mindestens fünf Entwicklungsländer dem Beispiel El Salvadors folgen und Bitcoin als offizielle Währung einführen dürften. Und auch bezüglich der Anlagemöglichkeiten, die institutionellen Investoren offenstehen, ist die größte Cyberdevise im Vorteil. Dafür hat auch die US-Börsenaufsicht SEC gesorgt, die im Oktober dem Start der ersten Futures-basierten Exchange-Traded Funds (ETFs) auf Bitcoin in den Vereinigten Staaten zustimmte. Krypto-Bullen hoffen, dass die Existenz regulierter Finanzprodukte der Cyberdevise den Sprung in den Mainstream ermöglichen wird. Doch während die SEC Futures-ETFs ihren Segen erteilt hat, schmettert sie Anträge auf Spot-basierte Vehikel standhaft ab. Diese böten im Gegensatz zu Produkten mit Terminkontrakten als Underlying einen geringeren Schutz vor Marktmanipulation. Aus Sicht der Analysten von Bloomberg Intelligence ist diese Argumentation zwar nicht schlüssig, da der Spot- und der Terminmarkt eng miteinander verzahnt seien – eine Manipulation an Ersterem würde sich daher auch auf die Futures auswirken. Dennoch sei es wahrscheinlicher, dass Futures-basierte Ether-ETFs in den USA zugelassen würden, bevor Spot-basierte Bitcoin-Vehikel an den Markt kämen. Auch in diesem Punkt hätte die führende Kryptowährung ihren Vorteil also eingebüßt.

Tatsächlich hat das Open Interest der Ether-Futures an der Chicago Mercantile Exchange (CME) zwar ausgehend von den im August erreichten Höchstständen wieder abgenommen – laut Bloomberg Intelligence ist es aber groß genug, um einen ETF unterstützen zu können. Ohnehin ist das Volumen bei Bitcoin zuletzt noch deutlich stärker zurückgegangen. Zudem hat die CME Anfang Dezember die Voraussetzung für ein weiteres Wachstum der Ether-Kontrakte geschaffen, indem sie Micro-Futures auf die zweitgrößte Cyberdevise einführte. Während die Standardkontrakte den Multiplikator 50 enthalten, bilden die neuen Produkte ein Zehntel des Werts von Ether ab. „Dies ermöglicht einen präziseren Handel und ein genaueres Risikomanagement“, sagt Tim McCourt, Global Head of Equity Products bei der CME Group. „Außerdem können wir so Privatanleger ins Boot holen, die Krypto-Futures handeln und ihr Portfolio kurzfristiger umschichten wollen.“ Anträge auf Terminkontrakt-basierte Ether-ETFs liegen der SEC jedenfalls vor.

Neben Ethereum haben sich auch Herausforderer wie Solana oder Cardano in Stellung gebracht, das Investoreninteresse an diesen ist in der zweiten Hälfte 2021 stark gestiegen. Und aus Kreisen der US-Terminbörsen ist zu hören, dass diese durchaus an der Einführung von Referenzkursen für die zugehörigen Kryptowährungen interessiert sind. Für Bitcoin-Investoren könnte am Ende des Jahres also die Erkenntnis stehen, dass einige der kleinen Brüder den Kindertisch schneller hinter sich gelassen haben als die eigentlich führende Cyberdevise.

Von Alex Wehnert, Frankfurt

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