Hohe Verluste in Kreditportfolios

Assetqualität von US-Banken erodiert

Amerikas Banken wollen die Verwerfungen der vergangenen Jahre hinter sich lassen. Doch während Investoren luftige Erwartungen an die Institute hegen, lockern sich neue Bausteine in den Kreditportfolios.

Assetqualität von US-Banken erodiert

Assetqualität von US-Banken erodiert

S&P Global prognostiziert weiteren Anstieg abgeschriebener Kredite – Nicht realisierte Verluste in Wertpapierportfolios ziehen wieder an

xaw New York

Der US-Finanzsektor befindet sich im Auge eines Sturms. Die schwersten Turbulenzen der 2023 losgetretenen Krise unter Regionalbanken mögen zwar bereits am Sektor vorbeigezogen sein, doch die darauffolgende wolkenfreie Stille schätzt eine wachsende Zahl an Wall-Street-Insidern als trügerisch ein. Denn die Ratingagentur S&P Global mag zuletzt zwar den Bonitätsausblick für sechs Geldhäuser mit hohem Exposure gegenüber dem gebeutelten Gewerbeimmobilienmarkt von „Negativ“ auf „Stabil“ angehoben haben – darunter M&T Bank aus Buffalo im Bundesstaat New York und Columbia Banking System aus Tacoma, Washington. Damit können wieder so viele Institute solch solide Einstufungen vorweisen wie seit über einem Jahr nicht. Doch die Analysten räumen selbst ein, dass die Assetqualität in der Breite weiter Stück für Stück erodiert.

Zinsdienst stottert

„Die Situation bei Rückstellungen für faule Kredite und Nettoabschreibungen wird sich wahrscheinlich verschlimmern", prognostizierte Brendan Browne, für Ratings von Finanzinstituten zuständiger Managing Director bei S&P Global, im Rahmen einer Präsentation in der vergangenen Woche. Der Anteil der Kredite, bei denen sich Schuldner 30 bis 89 Tage im Rückstand befänden, sei im Schlussquartal des vergangenen Jahres weiter moderat geklettert. Bei Darlehen mit Zahlungsverzug von mindestens 90 Tagen und eingestellter Zinsabgrenzung – bei denen Banken also erheblich daran zweifeln, die Hauptforderung oder Ratenzahlungen zurückzuerhalten – ist der Anteil an den gesamten Portfolios inzwischen auf nahezu 1% gestiegen.

Die Nettoabschreibungen hätten gegenüber dem Vorjahr indes noch einmal um vier Basispunkte auf 0,67% des gesamten Kreditvolumens zugelegt. „Damit liegen sie anhaltend über dem langfristigen Mittel“, betont Browne – der Median seit dem Jahr 2003 liegt bei 0,53%. Das Kreditkartensegment und das Geschäft mit kurzfristigen Unternehmenskrediten, in dem die Nachfrage laut S&P trotz nach wie vor recht prohibitiver Konditionen zuletzt gestiegen ist, tragen dabei bedeutend zu den Qualitätsverlusten bei. Größter Unsicherheitsfaktor bleibt aber der Gewerbeimmobilienmarkt.

Zuletzt hatten die Quartalsvorlagen der Großbanken zwar Hoffnungen geweckt, dass sich die Lage im von einem durch den Bauboom des vorangegangenen Jahrzehnts ausgelösten strukturellen Überangebot und dem Homeoffice-Trend gebeutelten Segment wieder entspannt. Hatten US-Büromieter laut dem Informationsdienstleister Costar Group zwischen dem zweiten Quartal 2020 und dem dritten Quartal 2024 nahezu 209 Millionen Quadratfuß (über 19,4 Millionen Quadratmeter) an Flächen aufgegeben – der höchste Wert jemals für einen solchen Zeitraum – und damit zahlreiche Gebäudeeigner unter Liquiditätsdruck gebracht, vermeldete Wells Fargo zuletzt einen leichten Rückgang der Non-Performing Loans im Segment. Bei Bank of America und J.P. Morgan waren indes nur noch leichte Anstiege zu beobachten.

Verzerrte Statistik

Dass über dem US-Gewerbeimmobilienmarkt gerade allerdings keine strahlende Sonne aufgeht, schlüsselte darauf Bill Moreland vom Datenbankbetreiber Bank Reg Data auf. „Sie mögen den Anteil der Non-Performing Loans zwar als nahe am Zenit darstellen, in Wahrheit modifizieren die Banken ihre Kredite aber in schwindelerregendem Tempo“, betont er. Die Institute senkten also künstlich die Zinsverpflichtungen für Schuldner, damit diese nicht in den Zahlungsverzug gerieten, und bildeten stattdessen Rückstellungen für künftige Kreditrestrukturierungen, was die Statistik verzerre.

Wells Fargo weise im Gewerbeimmobiliensegment einen Anteil notleidender Kredite von zuletzt 2,06% aus. Wer allerdings die Darlehen mit Nachlass auf den Zinsdienst hinzurechne, komme auf 8,39%. Bei Bank of America liege die „Stressrate“ des Portfolios bei 10,19%. Die Spitzeninstitute haben dabei wesentlich früher begonnen, notleidende Kredite neu zu strukturieren, als es im Vorlauf der Finanzkrise 2008 der Fall war. Ziehe sich der Kreditzyklus aber länger hin, „entsteht eine zweite Welle an Zahlungsverzügen, da viele Schuldner dann zurück in die Säumigkeit fallen“, betont Moreland. Diese Darlehen müssten dann verspätet und geballt abgeschrieben werden.

Trump verstärkt Sorgen

Wie Browne betont, hängt die weitere Entwicklung der Kreditportfolios maßgeblich von der Gesamtkonjunktur ab. Die neue Regierung in Washington sorgt dabei indes für erhebliche Unsicherheit: Ökonomen um David Page, Leiter des Makro Research bei Axa Investment Managers, befürchten, dass die protektionistische Handelspolitik von Präsident Donald Trump das amerikanische Wirtschaftswachstum ausbremsen, die inländische Inflation antreiben und damit den Spielraum der Federal Reserve für weitere Zinssenkungen verringern wird. Zudem warnt Jan Hatzius, Chefökonom von Goldman Sachs, davor, dass eine beschleunigte Ausweitung der US-Haushaltsdefizite zu steigenden Laufzeitprämien am Anleihemarkt führen wird. Dies bringt zusätzliche Probleme für Hypothekenschuldner mit sich, deren Kreditkosten stark an die Renditeentwicklung der zehnjährigen Treasury gekoppelt sind.

Die Zinsanstiege am langen Ende der Kurve führen dabei zu hohen nicht realisierten Verlusten in den Anleiheportfolios der Banken. Diese fallen gemäß Daten der Einlagensicherung FDIC zwar nicht mehr so hoch aus wie zu Zeiten der Regionalbankenkrise, haben im Schlussviertel 2024 aber doch wieder zugelegt. Kombiniert sind zum Verkauf vorgesehene (AFS) sowie bis zur Fälligkeit eingeplante (HTM) Assets der amerikanischen Finanzinstitute nahezu 500 Mrd. Dollar weniger wert als zum Zeitpunkt des Erwerbs. Der Anteil der bisher lediglich auf dem Papier existenten Verluste an den gesamten Wertpapierportfolios ist wieder auf über 8% geschnellt, nachdem er im dritten Quartal des vergangenen Jahres noch in Richtung von 6% gefallen war. Für die Zukunft geht S&P von einer volatilen Entwicklung aus.

Gerade die Fehlbeträge aus den HTM-Positionen sind im Zuge der Marktverwerfungen 2023 verstärkt in den Fokus gerückt. Denn dadurch, dass Banken Wertpapierbestände als „Held to Maturity“ markieren, mussten sie die verbundenen Verluste bisher nicht gesondert in ihren Quartalsveröffentlichungen ausweisen. Damit sind sie für Investoren und Einlagenkunden nicht transparent einsehbar – was das Risiko negativer Überraschungen beinhaltet. Die Silicon Valley Bank kollabierte vor rund zwei Jahren beispielsweise, als sie aufgrund einer akuten Liquiditätsklemme gezwungen war, eigentlich bis zur Fälligkeit eingeplante Anleihen zu veräußern. Dass sie auf einmal bis dato kaum bekannte Verluste realisierte, löste eine Panik unter Einlagenkunden aus.

Regulatoren rudern zurück

Amerikas Regulatoren suchen die Problematik im Zuge der Umsetzung des globalen Bankenpakets Basel III zu adressieren. Auch Institute mit einer Bilanzsumme von weniger als 250 Mrd. Dollar sollen gemäß Plan künftig gezwungen sein, nicht realisierte Gewinne und Verluste aus ihren Wertpapierportfolios in die Berechnung ihrer Eigenkapitalquoten einzubeziehen. Allerdings hat die Federal Reserve bei ihren ursprünglich ambitionierten Basel-III-Plänen im vergangenen Jahr nach heftigem Gegenwind aus der Branche bereits kräftig zurückgerudert.

Die neue Regierung in Washington sucht die Kompetenzen der Einlagensicherung FDIC massiv einzuschränken. Foto: picture alliance / NurPhoto | Jaque Silva.

Gemäß einer aktuellen Befragung von S&P gehen Marktteilnehmer davon aus, dass das globale Bankenpaket der Regulierungsvorstoß ist, der in den Vereinigten Staaten kurzfristig mit größter Wahrscheinlichkeit noch signifikante Änderungen erfahren wird. Diese Erwartung ist laut Beobachtern nicht zuletzt auf das Vorgehen der Trump-Administration zurückzuführen, die an der Unabhängigkeit von Regulatoren wie der Fed rüttelt und die Kompetenzen der FDIC massiv einzuschränken sucht.

Auch Greg Hertrich, Leiter US-Bankenstrategie beim japanischen Finanzdienstleister Nomura in New York, hebt derweil die schwereren Belastungen für Schuldner durch die Anstiege der Kapitalmarktzinsen über die vergangenen beiden Jahre hervor. Politische Einflüsse seien wie immer äußerst schwierig abzuschätzen. Doch wer zusätzliche Stimuli aus Washington vorhersage, müsse dabei annehmen, dass beide Seiten im Kongress konsistent und verbindlich vorgingen, die Exekutive verlässliche Zusagen treffe und die Judikative Maßnahmen des Gesetzgebers nicht infrage stelle. „Nichts davon zeigt sich aktuell“, betont Hertrich.

Parallelen zu 2008

Zudem müssten Investoren Annahmen infrage stellen, die Banken in ihren Accounting-Modellen zugrunde legten. „Rückstellungen für faule Kredite auf Basis von Daten zu berechnen, die das Zinstief nach der Großen Finanzkrise beinhalten, erscheint nicht gerade zweckmäßig“, kommentiert der Nomura-Stratege. Besonders besorgt zeigt sich Hertrich nicht bezüglich Gewerbeimmobilien, sondern mit Blick auf Konsumentendarlehen. So stark parallel wie aktuell seien die Zahlungsverzüge bei Karten-, Auto- und Hypothekenkredite zuletzt 2006 gestiegen. Natürlich sei die Situation nicht deckungsgleich mit dem Vorlauf zum Crash 2008, doch entwickle sich der Kreditmarkt zyklisch. „Die Vorstellung, dass dieses Mal alles anders kommt, hat sich im Bankensektor so gut wie nie als richtig herausgestellt“, gibt Hertrich zu bedenken. Viele Lender strafften nun die Standards für Verbraucherkredite, was auf gewissen Stress in den Bestandsportfolios hindeute.

Luftige Erwartungen

Die positive Nachricht: Amerikas Banken verfügten über mehr überschüssiges Kapital als zu jedem anderen Zeitpunkt seit 2021 und überwachten ihre Liquiditätsrisiken seit der Regionalbankenkrise enger. Doch während die Institute noch mit vielschichtigen Risiken in ihren Kreditportfolios kämpfen, sind sie angesichts des jüngsten Aufschwungs im Kapitalmarktgeschäft und verbesserter Nettozinserträge der größten Institute bereits wieder mit hochfliegenden Investorenerwartungen hinsichtlich ihrer Eigenkapital- und Dividendenrenditen konfrontiert.

Jede Underperformance einer Bank gegenüber der direkten Konkurrenz dürfte laut Hertrich „Debatten um den effizientesten Einsatz ihres Kapitals“ auslösen – und damit eine weitere Konsolidierung im Sektor antreiben. Aktuell gebe es in den USA über 4.000 Geschäftsbanken, in den kommenden Jahren werde sich ihre Zahl eher in Richtung 2.500 bewegen. Die Sorgen vor Konzentrationsrisiken im Sektor dürfte dies jedoch nicht gerade dämpfen – und die wolkenfreie Stille könnte laut Analysten schon bald wieder einem umso heftigeren Sturm weichen.

Amerikas Banken wollen die Verwerfungen der vergangenen Jahre hinter sich lassen. Doch während Investoren schon wieder hochfliegende Erwartungen an die Institute hegen, lockern sich neue Bausteine in den Kredit- und Wertpapierportfolios. Gerade der Gewerbeimmobilienmarkt bleibt ein bedeutender Unsicherheitsfaktor.

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