Gastbeitrag Commerzbank und Unicredit

Bei transnationalen Bankenfusionen in Europa sind Haftungsfragen ungelöst

Die mögliche Übernahme der Commerzbank durch Unicredit wirft Fragen zu Haftung und Risiken auf. Die italienischen Staatsschulden und eine fehlende EU-Bankenabsicherung könnten den deutschen Steuerzahler belasten, schreibt Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrats, in einem Gastbeitrag.

Bei transnationalen Bankenfusionen in Europa sind Haftungsfragen ungelöst

Gastbeitrag

Bei transnationalen Bankenfusionen sind Haftungsfragen ungelöst

Die Soziale Marktwirtschaft lebt von schöpferischen Prozessen, zu denen selbstverständlich auch Übernahmen und Fusionen wie Marktbereinigungen und Konkurse gehören. Manche politische Reaktion auf die Übernahmeabsicht der Unicredit in Richtung Commerzbank war hingegen eher reflexhaft als fundiert – und keineswegs im marktwirtschaftlichen Sinne begründet. Aber dennoch muss man sich die Folgen der möglichen Übernahme der Commerzbank sehr konkret unter Risiko-Aspekten ansehen.   

Schwerer politische Versäumnisse und nicht gemachte Hausaufgaben rücken wieder in den Blick. Die Notwendigkeit, Banken- und Länderrisiken zu entflechten, war eine der Hauptlehren aus der Finanz- und Eurokrise. Seit Jahren wird in Europa in der Diskussionen über ein gemeinsames Einlagensicherungssystem darüber gesprochen, Staatsrisiken in Bankbilanzen etwa über Großkreditgrenzen nachhaltig abzubauen und die regulatorische Vorzugsbehandlung von Staatsanleihen abzuschaffen. Die vergangenen Jahre haben wieder und wieder gezeigt, dass Staatsanleihen eben keine risikolosen Anlagen sind. Doch obgleich dieses Problem lang bekannt ist, wurde es nicht entschlossen angegangen, weil eine verpflichtende Eigenkapitalunterlegung die Refinanzierung der Staatsschulden verteuern würde.

Keinesfalls dürfen weitreichende Fragen zu Haftung und Risikoverteilung nun durch die Hintertür einem Fusionsprozess aufgebürdet und Fakten am parlamentarischen Prozess vorbei geschaffen werden. Gerade Italien ist seit Jahren der Elefant im Raum. Die Unicredit hält einen enormen Bestand von 40 Mrd. Euro an italienischen Staatsanleihen in ihrer Bilanz – damit gehen ohne Wenn und Aber substanzielle Risiken einher. Die Botschaft mag niemand gern hören, doch bei einem Schuldenstand von knapp 140% des Bruttoinlandsprodukts ist die Tragfähigkeit der italienischen Staatsschulden weiterhin ein virulentes Thema.

Noch vor einem Jahr drohte eine Herabstufung in den Non-Investment-Grade-Bereich – nie zuvor wurde bei einem G7-Staat ein solch erhebliches Kreditrisiko konstatiert. Trotz einiger Fortschritte ist die Situation weiterhin angespannt. Aufgrund des übermäßigen Defizits hat die EU-Kommission erst kürzlich ein Defizitverfahren gegen Italien eröffnet. Schon 2025 könnte allein der Schuldendienst mehr als 100 Mrd. Euro verschlingen.

Italiens Anleihen belasten

Eine zusätzliche Herausforderung entsteht durch den schrittweisen Rückgang der EZB-Bestände an italienischen Staatsanleihen – hier müssen nun andere Anleger einspringen. Es bleibt vollkommen unklar, wie der Markt die Flut an italienischen Schulden absorbiert. Es wäre fahrlässig und kurzsichtig zu behaupten, die Gefahren einer sich zuspitzenden Schuldendynamik lägen hinter uns. Mit Ankauf- und Rettungsprogrammen hat die EZB über Jahre die Spreads italienischer Staatsanleihen zu den als sicher geltenden Bundesanleihen künstlich geringgehalten. Dabei hat sie sich die Zentralbank immer weiter zugunsten Italiens vom Kapitalschlüssel entfernt. Bei Einführung des Transmission Protection Instrument (TPI) der EZB wurde am Markt sogar gewitzelt, TPI stehe in Wahrheit für „To Protect Italy“.

Auch beim europäischen Wiederaufbauprogramm Next Generation EU erhält Italien mit Abstand die höchsten Mittel und Zuschüsse aller Länder. Zudem: Italien hat als einziges Land der Eurozone den Vertrag zur Änderung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) nicht ratifiziert. Mit dieser Reform soll der ESM zusätzlich als Letztabsicherung für den europäischen Bankenabwicklungsfonds SRF dienen. Ohne diesen Backstop würde im Falle einer Bankenkrise, wenn der Abwicklungsfonds aufgebraucht ist, keine staatliche Letztsicherung bestehen.

Wer an den europäischen Binnenmarkt und die Notwendigkeit eines integrierten EU-Bankenmarkt glaube, dürfe den Finanzmarkt nicht rein national denken und müsse etwaige Fusionspläne unterstützen, so ein wiederkehrendes Argument. Aber der Binnenmarkt für Banken ist nicht vollendet, solange Banken und ihre nationalen Regierungen weiter zu eng verwoben und für Staatsanleihen weder Kapitalanforderungen noch Großkreditgrenzen eingeführt sind – und der ESM nicht als transnationale Letztabsicherung bereitsteht.

Risiko für den Steuerzahler

Würde etwa die Unicredit als bedeutender Gläubiger des italienischen Staats ihren Fußabdruck in Deutschland durch eine Übernahme vergrößern, ergäben sich daraus weitreichende Haftungsfragen und erhebliche Risiken für den deutschen Steuerzahler. Denn systemrelevant wäre eine solche Großbank allemal. Zwar wären die Kundeneinlagen in den einzelnen Ländern durch die jeweiligen nationalen Einlagensicherungssysteme geschützt, aber die systemischen Risiken aus dem Straucheln einer Großbank gehen weit darüber hinaus. Für Abwicklung oder Restrukturierung einer systemisch relevanten Bank braucht es in aller Regel sowohl frische Liquidität als auch neues Kapital. Ohne einen europäischen Auffangmechanismus würde ein Tauziehen zwischen Rom und Berlin drohen, bei dem am Ende das finanzstärkere Land die Kosten trägt.

Wolfgang Steiger

Generalsekretär des Wirtschaftsrates

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