Paul Morgenthaler

Commerzventures glaubt an Greentech

Auch wenn Energiekrise und Inflation die Klimakrise kurzfristig überschatten, bleibt das Klimaproblem auf der Tagesordnung, sagt der Risikokapitalgeber Paul Morgenthaler.

Commerzventures glaubt an Greentech

Von Anna Sleegers, Frankfurt

Inflation und Versorgungskrise werden, wenn überhaupt, nur kurzfristig das Potenzial haben, dem Kampf gegen Klimawandel seinen Platz auf der gesellschaftlichen Agenda streitig zu machen. „Beide Phänomene sind zu einem guten Teil direkte Folgen der Klimakrise“, sagt Paul Morgenthaler, Managing Director bei Commerzventures, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung: „Lebensmittel verteuern sich vor allem, weil die Ernteerträge aufgrund von Dürren, Hitzewellen und Überschwemmungen zurückgehen.“

Vor diesem Hintergrund hegt Morgenthaler keine Zweifel daran, dass sich die von Commerzventures getätigten Investitionen in Unternehmen an der Schnittstelle zwischen Fintech und Climatech auszahlen werden. Ganz im Gegenteil. Denn seit der gemeinhin als enttäuschend wahrgenommenen ersten Investitionswelle in die sogenannten Cleantechs in den Jahren nach der Jahrtausendwende hätten sich die Rahmenbedingungen grundlegend gewandelt. Es gebe einen breiten gesellschaftlichen Konsens in den meisten Ländern, in Politik, Wirtschaft und auch bei den Investoren: „Allen ist klar, dass in diesem Bereich sehr, sehr viel investiert werden muss.“

Einen wesentlichen Grund hierfür sieht Morgenthaler darin, dass die Auswirkungen der Klimakrise für jeden greifbar geworden seien: „Es geht nicht mehr darum, die Erde für künftige Generationen zu bewahren“, stellt er fest. Wer heute jünger als 60 Jahre alt sei, werde massive Auswirkungen spüren. Nach drei Dürrejahren in Folge, die Europa heimgesucht haben, sollte es in der Tat nicht überraschen, wenn dies immer mehr Menschen bewusst wird.

Mit Blick auf die Branche stimmt Morgenthaler aber auch positiv, dass sich die Technologien weiterentwickelt hätten und deutlich interessanter seien als während des ersten Booms um die Jahrtausendwende. „Typischerweise investieren wir in einem Stadium, in dem die Unternehmen bereits fertige Produkte haben, erste Umsätze erzielen und vor dem Eintritt in einer Phase des schnellen Wachstums und der schnellen Skalierung stehen“, sagt der Risikokapitalgeber.

Durch den Fokus auf diese Phase der Unternehmensentwicklung um­schifft Commerzventures nach seiner Darstellung das Grundproblem der Greentech-Branche. Dieses bestehe darin, dass die Unternehmen zwar sehr viele Produkte entwickelten, die aus gesellschaftlicher Sicht höchst wünschenswert wären, die Frage, wer das bezahlen soll, jedoch unklar bleibt. Auch hier habe sich in den vergangenen Jahren Entscheidendes getan. Von der Offenlegungsverordnung, die nach und nach immer mehr Unternehmen zwingt, neben der finanziellen auch eine Nachhaltigkeitsberichterstattung zu erstellen, über die EU-Taxonomie bis hin zu den Selbstverpflichtungen von Städten und Regionen, in den kommenden Jahren klimaneutral zu werden – die Notwendigkeit, Nachhaltigkeitsdaten zu erfassen und Stellschrauben zu identifizieren, steige kontinuierlich. Das verschaffe den entsprechend spezialisierten Unternehmen Wachstumschancen: „Die regulatorische Seite ist ein Antreiber, weil sie eine Nachfrage schafft.“

Messbare Veränderung

Dabei legt auch Commerzventures keineswegs nur Wert auf ein betriebswirtschaftlich nachhaltiges Geschäftsmodell. „Wir investieren nur in Unternehmen, die aufzeigen können, wie viele Emissionen sie tatsächlich reduzieren können, ausgedrückt in Tonnen oder Megatonnen. Wir möchten, dass die Gründer das quantifizieren können“, unterstreicht Morgenthaler. Den Einwand, dass etwa die Erhebung von ESG-Daten keinen direkten Einfluss auf die Höhe von Emissionen habe, kontert Morgenthaler mit dem Hinweis darauf, dass die Kenntnis über die eigene Klimabilanz sowohl bei Unternehmen als auch bei Privatpersonen zu messbaren Veränderungen führe.

Als Beispiel nennt Morgenthaler die Commerzventures-Beteiligung Doconomy, die eine App entwickelt hat, die anhand der Transaktionsdaten von elektronischen Bezahlvorgängen einen CO2-Fußabdruck von Kreditkartennutzern erstellt (BZ vom 29. Juli). Es habe sich gezeigt, dass diese Information Wirkung zeige: Bankkunden, die diese App nutzen, hätten ihren Fußabdruck im Schnitt um 20 % verbessert. Wenn man das im Falle einer erfolgreichen Skalierung des Geschäftsmodells auf hunderte Millionen von Bankkunden hochrechne, ergebe sich aus dieser indirekten Wirkung ein beachtlicher Effekt.

Ruhig ein wenig Zeit geben

Um den Unternehmen die erforderliche Zeit zu geben, sich zu entwickeln und „Wirkung zu erzielen“, liege der Anlagehorizont der Risikokapitalspezialisten in der Regel bei etwa sieben bis zehn Jahren. Dabei versteht sich das Team von Commerzventures als unternehmerischer Partner in einer oftmals besonders kritischen Phase der Unternehmensentwicklung: „Wir stehen nicht nur mit Kapital, sondern auch mit Rat und Tat zur Seite.“ Dafür kann Morgenthaler auf eigene Er­fahrung zurückgreifen:  Sein erstes Unternehmen, TS Arrows, ein auf Kreditratings spezialisiertes Fintech, gründete er noch als Student gemeinsam mit einem Professor der Hochschule Reutlingen. Später baute er das Verbraucherportal „Finanztip“ mit auf, das auch dank Hermann-Josef Tenhagen hohe Popularität genießt. Neben VC-Spezialisten ergänzten auch langjährige Banker das Management von Commerzventures: „Wir sind ein ziemlich bunt gemischtes Team“, sagt Morgenthaler.

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