Italiens Banken sind heute stabiler
Von Gerhard Bläske, Mailand
Anders als in der Finanzkrise sind Italiens Banken diesmal nicht die Achillesferse Italiens. „Ich sehe keine Problematik auf der Bankenseite. Die Institute sind sehr gut kapitalisiert, haben ihre Kosten massiv reduziert, profitieren von steigenden Zinsen und höheren Teuerungsraten. Das Bankensystem ist heute sehr robust“, sagt Stefano Caselli, Bankenprofessor an der renommierten Mailänder Universität Bocconi.
Die italienischen Banken haben in den vergangenen zehn Jahren 12000 Geschäftsstellen geschlossen, das entspricht 36% des früheren Filialnetzes. Außerdem wurden die Volumina fauler Kredite drastisch reduziert, von 360 Mrd. Euro (brutto) 2015 auf 84 Mrd. Euro 2021. „Die Stärkung der Banken ist klar sichtbar wenn wir beispielsweise auf die Kapitalisierung schauen, die mit etwa 15,3% doppelt so hoch ist wie die 7% von Ende 2007 und nun im europäischen Durchschnitt liegt“, sagt Giovanni Sabatini, Generaldirektor des Bankenverbandes ABI. Im Juli stieg das Volumen fauler Kredite aber erstmals seit längerem: um netto 800 Mill. Euro gegenüber dem Vormonat.
Zur Stärkung des Bankwesens beigetragen hat eine beispiellose Fusionswelle. Innerhalb von fünf Jahren nahm die Zahl unabhängiger Bankengruppen laut ABI von mehr als 430 auf etwa 100 ab. Und die großen Banken wie Intesa Sanpaolo und Unicredit, die im ersten Halbjahr zusammen einen Nettogewinn von etwa 5 Mrd. Euro ausgewiesen haben, gehören zu den ertragsstärksten Banken Europas. Das liegt auch daran, dass Italiens Institute, deren Zinsüberschuss wegen der Niedrig- bzw. Negativzinsen in den vergangenen 15 Jahren massiv zurückgegangen ist, ihr Geschäftsmodell umgestellt haben. Sie setzen auf die ertragsstärkeren Segmente Bankassurance, Vermögensberatung und Beratung von mittelständischen Unternehmen und Family Offices. Aktuell profitieren die Institute jedoch von den nun wieder steigenden Zinsen. Nach Berechnungen der Zeitung „Il Sole 24 Ore“ werden dadurch bis Jahresende etwa 1,2 Mrd. Euro zusätzliche Einnahmen in die Kassen der sechs größten Banken des Landes gespült.
Gefahren lauern
Alles gut also in Italien? Nein! Der Spread zwischen deutschen und italienischen Staatsanleihen ist nach den Parlamentswahlen vom 25. September deutlich gestiegen und die Ratingagentur Moody’s hat Rom mit einer Abstufung der Bewertung auf Ramschanleihenniveau gedroht, sollte die neue Regierung unter der Führung der Postfaschistin Giorgia Meloni Reformen im Rahmen des europäischen Aufbauprogramms PNRR verzögern. Das könnte höchst gefährlich für Italien werden, denn dann würden die Refinanzierungskosten für das mit 150% des BIP verschuldete Land drastisch steigen und auch die mit italienischen Bonds vollgesogenen Banken könnten in Schieflage geraten.
Der Krieg in der Ukraine, die hohe Inflation, massiv gestiegene Energiepreise bremsen die Wirtschaftsentwicklung. „Die Gefahr liegt heute in einem Übergreifen einer allgemeinen Wirtschaftskrise auf das Bankensystem“, sagt Caselli. Bankenverbandspräsident Antonio Patuelli fordert deshalb eine Verlängerung und Ausweitung staatlicher Kreditgarantien und Moratorien über das Jahresende hinaus.
Notenbank-Chef Ignazio Visco sorgt sich vor allem um kleinere Institute. Banca d’Italia, das Wirtschaftsministerium und der Einlagensicherungsfonds FITD der Privatbanken arbeiten derzeit an der Einrichtung eines Hilfsfonds im Volumen von 500 bis 600 Mill. Euro für solche Institute. Den Großteil der Kosten müsste wohl der Staat tragen. „Es wäre keine gute Idee, wenn der Staat die Mittel dafür bereitstellte“, findet Caselli. Anders wäre es nach seiner Ansicht, wenn das Geld von privaten Investoren käme. Caselli hat aber ohnehin ein anderes Rezept: „Fusionen, Fusionen, Fusionen.“ Nur so lassen sich nach seiner Ansicht leistungsfähige Strukturen schaffen.
Keine Gefahr mag Caselli im traditionell hohen Bestand italienischer Staatsanleihen in den Bilanzen der italienischen Banken erkennen. Nach Angaben der Banca d’Italia hielten italienische Institute im Juli staatliche Bonds über 415 Mrd. Euro. Der Bankenverband weist darauf hin, dass davon 80% zu historischen Kaufwerten verbucht sind und nur 20% entsprechend der schwankenden Marktpreise (Fair Value).
Im Falle eines drastischen Anstiegs des Spread könnten jedoch dramatische Kursverluste die Bilanzen der Banken belasten und das Bankenwesen vor große Probleme stellen. Caselli räumt das ein, hält die Gefahr aber für gering. „Da wäre nur dann realistisch, wenn eine neue Regierung die falschen Schritte unternähme.“
Deutlich skeptischer
Der Konstanzer Ökonomieprofessor und frühere OECD-Ökonom Eckhard Wurzel ist deutlich skeptischer. „Relativ zu risikoabsorbierendem Eigenkapital ist das Volumen an heimischer Staatsschuld, das von den Banken gehalten wird, in Italien deutlich höher als in den anderen Ländern des Eurogebiets. Das erhöht nicht nur das systemische Risiko im italienischen Bankensystem, sondern erschwert auch notwendige Anpassungen der Europäischen Bankenregulierung zum Verhältnis von Eigenkapitalausstattung der Banken zu deren Krediten an den Staatssektor.“ Italiens Banken müssen auf Euro lautende Bankkredite an den Staat nicht mit Eigenkapital unterlegen, im Gegensatz zu allen anderen Krediten. „Das stellt eine Lücke in der Sicherheitsarchitektur des Finanzmarktes dar“, findet Wurzel.
Bisher erschienen:
Krise? Welche Krise? (7. Oktober)