Kleine Banken machen sich laut BaFin zu viel Stress
Im Interview: Raimund Röseler
„Wir haben ganz gezielt Erleichterungen eingeführt“
Der oberste Bankenaufseher der BaFin stellt für kleine und mittlere Institute Entlastungen und präzisierte Erwartungen in Aussicht
Die BaFin hat eine Aufsichtsmitteilung veröffentlicht, die Banken Entlastungen unter anderem im Berichtswesen verschaffen und Missverständnisse bereinigen soll. Mehr als drei Viertel der Institute in Deutschland würden davon profitieren, sagt Exekutivdirektor Raimund Röseler im Interview der Börsen-Zeitung.
Herr Röseler, wir haben es mit einer Vielzahl von Herausforderungen zu tun: Die Konjunktur ist im Keller, in Europa und im Nahen Osten toben Kriege, Trump steht vor der Rückkehr ins Weiße Haus, Handelskonflikte drohen und internationale Blockbildung. Ist Ihnen bange um die deutsche Finanzwirtschaft?
Die deutsche Finanzwirtschaft ist stabil und robust, auch wenn sie sich von globalen wirtschaftlichen Entwicklungen nicht abkoppeln kann. Wie sich etwa das ökonomische Umfeld nach der Rückkehr von Donald Trump ins Präsidentenamt entwickeln wird, ist schwer vorherzusehen – selbst die Amerikaner können das nicht genau sagen.
Zuletzt wurde der Finanzwirtschaft durch Stresstests ein positives Zeugnis ausgestellt. Gehen Sie auch weiterhin von dieser Stabilität aus?
Absolut. Die Stresstests haben gezeigt, dass die Banken gut aufgestellt sind. Wie immer gibt es dennoch einzelne Fälle, die Anlass zur Sorge geben, aber insgesamt bleibt die Branche widerstandsfähig – auch unter schwierigen Bedingungen.
Wo sehen Sie momentan die größten Risiken für die Branche?
Das Bild hat sich seit Jahresbeginn kaum verändert. Ein großes Thema bleiben Gewerbeimmobilien. Während wir bei Wohnbaufinanzierungen entspannt sind, sehen wir bei gewerblichen Immobilien Herausforderungen. Die gewerbliche Immobilienfinanzierung ist angesichts der Zinsentwicklung und sinkender Immobilienwerte unter Druck. Dazu kommen steigende Insolvenzraten bei Unternehmensfinanzierungen – das wirtschaftliche Umfeld ist schlicht schwierig. Unverändert gravierend bleibt außerdem das Risiko im Bereich Cyber- und IT-Sicherheit.
Kommen wir zu einem weiteren wichtigen Punkt: der Proportionalität. Welche Maßnahmen zur Entlastung der kleineren und mittleren Banken sehen Sie hier, und könnten Sie konkrete Beispiele nennen?
Wir haben ganz gezielt Erleichterungen eingeführt und zudem mit Missverständnissen aufgeräumt, die durch fehlerhafte Interpretation von Vorschriften entstanden sind. Dazu gibt es eine offizielle Aufsichtsmitteilung. Ein Beispiel: Eine kleine Volksbank im Bayerischen Wald mit 15 Angestellten meinte, jedes Jahr 13 Stresstests durchführen zu müssen. Dabei hätten drei bis fünf völlig ausgereicht. Wir haben ähnliche Fälle bei anderen Instituten festgestellt. Das Missverständnis entstand aus einer ungenauen Interpretation der Vorgaben. Wir haben klargestellt, dass das nicht nötig ist.
Es geht also weniger um neue Regeln als um eine Klarstellung bisheriger Vorgaben?
Richtig. Wir stellen klar, was wirklich beabsichtigt ist. Wir entlasten die Banken aber auch. Beispielsweise müssen kleine Institute künftig keine inversen Stresstests mehr durchführen – also Tests, mit denen untersucht wird, welche Ereignisse das Überleben einer Bank gefährden könnten. Wir verschlanken auch das Berichtswesen. Banken müssen etwa nicht mehr gesondert zu ihren Sanierungsplänen berichten, wenn diese Informationen schon in anderen Berichten enthalten sind. Ich könnte weitere Beispiele nennen. Mehr als drei Viertel der Institute werden von diesen Erleichterungen profitieren.
Regulierung klingt manchmal wie Überregulierung. Warum fühlen sich Banken oft verpflichtet, mehr zu tun, als nötig ist?
Das liegt häufig an den Prüfern, die sich absichern wollen. Wenn nicht alles detailliert geregelt ist, entstehen Interpretationsspielräume. Um auf der sicheren Seite zu sein, legen viele die Vorgaben übervorsichtig aus – und dadurch entsteht unnötiger Aufwand.
Kapitalerleichterungen spielen hier aber keine Rolle, oder?
Nein, Kapital- und Liquiditätsanforderungen sind durch europäische Regelwerke wie die CRR festgelegt. An der Strenge dieser Vorgaben sollten wir keinesfalls rütteln. Bei den Themen Entbürokratisierung und Proportionalität haben wir aber in unserer Verwaltungspraxis einen Spielraum, den wir zugunsten der Institute nutzen.
Kann man die Effekte der Maßnahmen beziffern?
In Euro und Cent ist das schwer zu beziffern. Das ist aber auch für die einzelne Bank nicht der entscheidende Faktor. Für die Volksbank im Bayerischen Wald ist entscheidend, dass ihre Mitarbeiterin, die bisher fast nur Stresstests gemacht hat, nun entlastet wird. Das sind die Veränderungen, die vor Ort spürbar sind.
Es wird oft gesagt, dass insbesondere Volksbanken durch Regulierung, Personalmangel und andere Herausforderungen zu Fusionen gedrängt werden. Wie beurteilen Sie die Konsolidierung der Branche?
Die Struktur des deutschen Bankenmarktes passt sehr gut zur Struktur unserer Wirtschaft. Die Vielzahl kleiner und mittelständischer Banken ist ein klarer Vorteil. Wir sehen eine gewisse Konsolidierung, die mit Regulierung, aber auch Skaleneffekten und dem Problem zusammenhängt, auseichend geeignete Mitarbeiter zu finden.
Aber Regulierung scheint laut den Volks- und Raiffeisenbanken ein wesentlicher Treiber zu sein. Es heißt, 30 bis 40 ihrer Institute würden jährlich „wegreguliert“.
Diese Zahl halte ich für übertrieben. Es verschwinden tatsächlich viele Volksbanken, aber nicht in erster Linie wegen Regulierung. Oft ist das Geschäftsfeld zu klein oder es werden strategische Fehler gemacht. Interessanterweise gibt es kleine Volksbanken in ähnlichen Regionen, die trotz gleicher Voraussetzungen rentabel sind. Hier spielt die Qualität des Managements eine große Rolle.
Viele der Banken, die geschlossen, fusioniert oder teuer saniert werden mussten, hatten schwache Kontrollmechanismen. Dominante Vorstände trafen riskante Entscheidungen, ohne dass jemand sie bremste.
Wie sieht es mit Problemfällen im genossenschaftlichen Bereich aus? Ist das ein Governance-Problem?
Meistens sind es Governance-Probleme. Viele der Banken, die geschlossen, fusioniert oder teuer saniert werden mussten, hatten schwache Kontrollmechanismen. Dominante Vorstände trafen riskante Entscheidungen, ohne dass jemand sie bremste.
Fälle wie Volksbank Düsseldorf Neuss, Volksbank Dortmund-Nordwest oder VR-Bank Bad Salzungen Schmalkalden sind also Beispiele dafür, dass Governance-Fehler zu großen Schwierigkeiten führen können. Wie gehen Sie mit Problembanken um?
Zu einzelnen Fällen kann ich mich nicht äußern. Grundsätzlich hängen unsere Maßnahmen immer von der Situation ab. Wir regen Vorstandswechsel an, stärken die Aufsichtsräte oder setzen Sonderbeauftragte ein, um eine Bank wieder auf Kurs zu bringen. Es ist wichtig, dass Governance und Kontrollmechanismen verbessert werden.
Gibt es Bereiche, in denen sich Problemfälle besonders häufen?
Es gibt Cluster, aber ich möchte das nicht auf eine Säule beschränken. In unserer Intensivaufsicht befinden sich Institute, bei denen wir ernsthafte Insolvenzrisiken sehen. In unserer Fokusaufsicht sind Institute mit besonderen Geschäftsmodellen – aber auch solide Institute, die systemrelevant werden könnten.
Erkennen Sie Muster bei den Problemfällen?
Ursache sind oft ein dominierender Vorstand und schwache Kontrollmechanismen. Ich habe das mal „das alte weiße Männer“-Syndrom genannt. Hier setzen wir gezielt an, um die Schwächen zu beheben.
Wir sehen, dass Vielfalt im Vorstand einsame Entscheidungen verhindern kann.
Wird Diversität in solchen Fällen stärker berücksichtigt?
Diversität ist kein explizites Ziel, aber gute Governance bleibt unser Fokus. Wir sehen, dass Vielfalt im Vorstand einsame Entscheidungen verhindern kann.
Lassen Sie uns von Problemfällen auf die Ebene der Risikovorsorge wechseln. Angesichts der schon erwähnten Risiken wie Gewerbeimmobilien. Was tun die Banken, um diesen Risiken zu begegnen?
Sie setzen auf präventive Maßnahmen wie stabile IT-Systeme, höhere Eigenkapitalpuffer und enge Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden. Diese Kombination ist der richtige Weg, um weiterhin widerstandsfähig zu bleiben.
Reichen die Maßnahmen der deutschen Kreditwirtschaft aus oder muss noch mehr getan werden?
Die meisten Banken verfolgen eine vernünftige, konservative Risikopolitik. 2023 war ein sehr gutes Jahr, 2024 ist ebenfalls solide. Dadurch können sich die Banken Risikovorsorge leisten. Ich sehe hier in der Breite keinen großen Handlungsbedarf. Geopolitische Risiken hingegen lassen sich nicht präzise kalkulieren, da stoßen auch Banken an ihre Grenzen.
Kommen wir zum Thema Zinsen und Zinsänderungsrisiken. Ist die Branche hier gut aufgestellt, oder gibt es noch größere Risiken?
Die stillen Lasten nehmen stetig ab, was gut ist. Zwar gibt es ein Ertragsrisiko, falls die Zinsen weiter sinken, aber das wäre nicht existenziell. Der Rückgang der Zinsüberschüsse wäre moderat, und gleichzeitig würden die verbliebenen stillen Lasten schneller verschwinden.
Sie hatten in der Phase steigender Zinsen Kapitalzuschläge für Zinsänderungsrisiken verhängt. Gilt das auch bei Zinssenkungen?
Ja, wir messen die Zinsänderungsrisiken in beide Richtungen. Wenn sie hoch ausfallen, gibt es Kapitalzuschläge – das bleibt so. Allerdings stellen wir fest, dass die Zinsänderungsrisiken insgesamt abgenommen haben. Viele Banken haben erkannt, wie wichtig eine Absicherung ist.
Wie sehen Ihre Prognosen für die Ertragslage der Banken aus?
Die Zinserträge werden leicht zurückgehen. Gleichzeitig steigen die Wertberichtigungen, was wir an der höheren Risikovorsorge bereits sehen. Das wird so bleiben, bis wir eine konjunkturelle Erholung sehen.
Personal scheint ein entscheidendes Thema für die Bankenbranche zu sein. Welche Entwicklungen sehen Sie hier, und wie wird sich das auf die Struktur der Banken auswirken?
Der demografische Wandel stellt auch die Banken vor große Herausforderungen. Schätzungen einer Unternehmensberatung zufolge könnten Sparkassen bis 2030 etwa 30% ihrer Mitarbeiter verlieren, bei Genossenschaftsbanken könnten es bis 2035 sogar bis zu 50% sein. Das hat großes Potenzial, die Struktur der Branche zu verändern – meiner Meinung nach sogar mehr als Regulierung. Der Verlust an Fachkräften wird vor allem durch Digitalisierung kompensiert werden müssen. Aber das hat auch seine Grenzen: Wenn zwei benachbarte Banken beide nicht mehr genügend Personal finden, um ihre Aufgaben abzudecken, wird der Druck zu Fusionen steigen. Das sehen wir schon jetzt in einigen Regionen.
Ist Digitalisierung bei Personalproblemen der Ausweg?
Digitalisierung kann Prozesse effizienter machen, aber sie ersetzt nicht alles. Digitalisierung wird zwangsläufig auch die Erfahrung der Kunden verändern. Ich denke nicht, dass das Angebot insgesamt eingeschränkt wird, aber es wird sich anpassen. Neue Vertriebs- und Servicewege werden an Bedeutung gewinnen. Schon heute erleben wir bei Hotlines, dass man oft nicht mehr merkt, ob man mit einer Maschine oder einem Menschen spricht. Solche Automatisierungen werden zunehmen, ebenso wie Veränderungen in den Backoffice-Prozessen. Für die Kunden bedeutet das einen Wandel, der auch von ihren eigenen veränderten Erwartungen getrieben wird.
Glauben Sie, dass Banken kreativ genug sind, um die Personalprobleme zu bewältigen?
Banken sind bereits deutlich kreativer geworden, was die Personalsuche betrifft, aber das gilt für fast alle Branchen. Die Konkurrenz um Fachkräfte ist enorm, und die Verfügbarkeit begrenzt. Banken setzen vermehrt auf alternative Ansätze wie die Rekrutierung von Quereinsteigern oder eine stärkere Nutzung von KI und Automatisierung. Wie genau sich das entwickeln wird, kann derzeit niemand seriös vorhersagen. Es ist aber klar, dass diese Veränderungen auch die Anforderungen an die Führungsstruktur in den Banken verändern werden.
Inwiefern betreffen diese Veränderungen die Vorstände?
Früher mussten Bankvorstände zwingend über langjährige Erfahrung im klassischen Kredit- und Bankgeschäft verfügen. Diese Anforderungen ändern sich bereits. Heute akzeptieren wir beispielsweise reine IT-Experten als Vorstände, wenn das Geschäftsmodell der Bank dies rechtfertigt. Das war früher undenkbar. Die Entwicklungen in der Personalstruktur und die zunehmende Digitalisierung werden auch die Anforderungen an Führungskompetenzen weiter verändern. Vorstände müssen nicht nur Know-how in ihrem Fachgebiet mitbringen, sondern auch die Fähigkeit, eine Bank durch komplexe Transformationen zu steuern.
Sprechen wir über IT-Sicherheit. Wie zufrieden sind Sie aktuell mit der IT-Sicherheit der deutschen Banken?
Banken schneiden im Vergleich zu anderen Branchen besser ab. Cyberangriffe haben bei ihnen selten Erfolg, und wenn etwas passiert, sind es oft hausgemachte Probleme, keine Angriffe von außen. Die Banken sind hier sensibel und vergleichsweise gut aufgestellt. Allerdings steigen die Professionalität und die kriminelle Energie hinter den Angriffen deutlich, mehr noch als die Anzahl der Angriffe selbst.
Ein ständiges Wettrennen zwischen Angreifern und Verteidigern.
Ja, es ist ein Wettrennen. Bisher gab es glücklicherweise keine Vorfälle, die wirklich gravierende Schäden verursacht hätten. Es gab einen Angriff auf eine Leasingfirma, die für einige Monate lahmgelegt war, was in dem Fall aber nicht kritisch war. Insgesamt sind die Banken bisher gut davongekommen.
Die Bedrohungslage bleibt ernst, und die Banken wissen, dass sie kontinuierlich an ihrer IT-Sicherheit arbeiten müssen. Es darf keinen Moment der Nachlässigkeit geben.
Das klingt stabil, aber auch nicht ganz sorgenfrei.
Richtig. Niemand in der Branche ruht sich darauf aus. Die Bedrohungslage bleibt ernst, und die Banken wissen, dass sie kontinuierlich an ihrer IT-Sicherheit arbeiten müssen. Es darf keinen Moment der Nachlässigkeit geben.
Was IT-Sicherheit angeht, so haben Sie der Finanzbranche im Jahr 2018 die Note 4 gegeben. Welche Note würden Sie ihr denn heute verpassen?
Es bleibt bei 4. Wir stellen immer wieder fest, dass Sicherheitsvorkehrungen fehlen, die eigentlich eine Selbstverständlichkeiten sein sollten. Zum Beispiel bemängeln wir bei fast jeder Prüfung etwas im Berechtigungssystem.
Das Interview führten Wolf Brandes und Tobias Fischer. Das vollständige Interview finden Sie unter www.boersen-zeitung.de.
Zur Person
Raimund Röseler ist seit Juni 2011 Exekutivdirektor für den Geschäftsbereich Bankenaufsicht der BaFin und damit im aktuellen Direktorium das am längsten dienende Mitglied. Wenn im März 2025 sein Vertrag planmäßig ausläuft, wird der dann 63-Jährige in den Ruhestand gehen. Die Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin läuft.
Bevor der gebürtige Kölner 2004 zur Finanzaufsicht stieß, wo er als Referatsleiter im Bereich Finanzinstrumente aktiv war und zusätzlich von 2009 an als stellvertretender Leiter der Abteilung Risiko- und Finanzmarktanalysen, hatte er verschiedene Aufgaben in der Finanzwirtschaft inne. So von 1999 bis 2004 beim Versicherer Axa und zuvor als Referent des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands sowie als Wertpapierspezialist bei der Bayerischen Vereinsbank.