„Simcorp ist eine langfristige Branchenwette der Deutschen Börse“
Im Interview: Christian Kromann
„Simcorp ist eine Branchenwette der Deutschen Börse“
Neuer IMS-Chef der Deutschen Börse über ein Jahr mit vielen Veränderungen und seine Vision für Investment Management Solutions
Nach der Rekordübernahme wechselte Simcorp-CEO Christian Kromann in den Vorstand der Deutschen Börse und verantwortet dort Investment Management Solutions. Im Interview spricht Kromann über seine Vision für das strategisch wichtige Geschäftsfeld und deutet an, wo demnächst weitere Zukäufe erfolgen könnten.
Herr Kromann, seit diesem Jahr verantworten Sie im Vorstand der Deutschen Börse den Bereich Investment Management Solutions (IMS), zu dem auch Simcorp gehört. Ist Ihre Nachfolge dort geregelt?
Simcorp hat ein voll funktionsfähiges Management und mit Georg Hetrodt zum ersten Mal einen Nicht-Dänen als Chef, der das Unternehmen seit 27 Jahren in- und auswendig kennt. Zum ersten April werde ich bei Simcorp den Vorsitz im Aufsichtsrat einnehmen, das Geschäft läuft also ganz normal weiter.
Also sucht Simcorp parallel keinen CEO?
Wir werden über kurz oder lang nach einem neuen CEO suchen, aber wir haben dafür Stand jetzt noch keinen festen Zeitplan.
Den Übernahme- und Integrationsprozess von Simcorp durch die Deutsche Börse bezeichneten Sie zuletzt als Ehe, deren Flitterwochen nun vorüber seien. Ist nach der Rekordübernahme so schnell Ernüchterung eingekehrt?
Nein, ganz im Gegenteil. Nachdem Simcorp die Veränderung verdaut hatte, haben wir alle sehr schnell realisiert, dass die Übernahme eine gute Sache ist. Untermauert von dem positiven Kunden-Feedback herrschte von Anfang an eine sehr positive Stimmung, die bis heute anhält. Auch die rasche und erfolgreiche Integration von Axioma hat dazu beigetragen, dass wir uns voll auf unser Geschäft konzentrieren. Wie viele Türen sich uns durch die Integration in die Deutsche-Börse-Gruppe geöffnet haben, hat meine Erwartungen sogar übertroffen. In diesem Geschäft kommt es wirklich auf Größe an – und unsere direkten Wettbewerber sind sehr, sehr groß.
Gegen wen tritt Simcorp im Markt an?
Wir vergleichen uns typischerweise mit State Street und Blackrock, da sie mit Charles River bzw. Aladdin Anwendungen haben, die vergleichbar mit dem sind, was wir über Simcorp One abbilden. Wir haben noch mehr Konkurrenten, aber die beiden sind die größten. Gleichzeitig sind State Street und Blackrock aber auch Partner.
Inwiefern?
State Street wickelt beispielsweise die Fondsbuchhaltung über Simcorp ab. Blackrock ist ein sehr enger Partner der Deutsche Börse Group. Die Zusammenarbeit erstreckt sich über mehrere Ebenen.
Teil des Integrationsprozesses war es, Axioma in Simcorp zu integrieren. Den Risiko-Software-Anbieter hatte die Deutsche Börse 2019 zusammen mit General Atlantic übernommen. Welche Rolle spielt der Finanzinvestor jetzt?
Axioma bildete zusammen mit dem Index-Geschäft Stoxx die Einheit „Qontigo“, woran General Atlantic mit rund 19% beteiligt war. Als die Deutsche Börse Simcorp übernommen hat, wurde Quontigo in eine Software-Einheit (Simcorp und Axioma) und eine Daten-Einheit (ISS Stoxx) aufgespalten. General Atlantic ging mit dem Index-Geschäft in die Daten-Einheit, sodass Simcorp inklusive Axioma heute zu 100% der Deutschen Börse gehören.
General Atlantic ist als Exit-orientierter Finanzinvestor nur ein Partner auf Zeit. Dafür gibt es doch nur drei denkbare Szenarien: Die Deutsche Börse könnte General Atlantic deren Anteile abkaufen …
Ja.
Die Deutsche Börse könnte die Daten-Einheit an die Börse bringen ...
Ja.
Oder die Deutsche Börse findet einen neuen Investor, der General Atlantic ablöst.
Das ist die Entscheidung von General Atlantic.
Welche bevorzugen Sie?
Wir haben bereits kommuniziert, dass wir alle Optionen prüfen. Bisher ist keine Entscheidung gefallen. Diese hängt auch von unserem Partner und dem Marktumfeld ab. Ich möchte nochmal betonen, dass wir hier ausschließlich über das Index- und Datengeschäft ISS Stoxx reden, nicht über Simcorp und Axioma.
Bis wann müssen Sie sich auf eines der Szenarien festlegen?
Wir sind im Prozess.
Die Integration von Axioma in Simcorp ist abgeschlossen. Jetzt gilt es, die Umsatz-Synergien zu heben. Wie stellen Sie sich das vor?
Dazu muss man zunächst beide Kundengruppen verstehen. Beginnen wir mit Simcorp. Das sind ohne Axioma rund 300 Kunden – alles große institutionelle Vermögensverwalter, also Asset Owner, Staatsfonds und Zentralbanken.
Wie viele solcher Kunden gibt es?
Wir adressieren weltweit zwischen 1.800 und 1.900 solcher Kunden. Rund 750 davon sind in den USA, weitere 750 in Europa, und der Rest sitzt im asiatisch-pazifischen Raum. In Amerika hat Simcorp aktuell 75 Kunden, die meisten unserer Kunden kommen aus Europa. In Deutschland zählen dazu große Assetmanager wie beispielsweise Meag, aber auch die Sparkassen-IT, über die 400 Sparkassen Simcorp nutzen.
Hat Axioma dieselben Kunden?
Axioma richtet sich mit seiner Risiko-Software ebenfalls an die großen institutionellen Assetmanager, spricht aber zusätzlich auch noch Hedgefonds und Vermögensverwalter an. Axioma hat derzeit rund 500 Kunden, überwiegend in den USA. Das Up- und Cross-Selling erklärt sich damit fast schon von allein: Man nimmt die stark europalastige Kundenliste von Simcorp, die kaum Überschneidungen mit Axioma hat, und spricht die rund 250 Kunden an. Umgekehrt können wir Axiomas US-Kunden als Entree für Simcorp nutzen – was jedoch zugegeben der schwerere Pitch ist.
Gibt es noch Links zu anderen Stellen innerhalb der Deutsche Börse Group?
Ja, definitiv. Wir untersuchen beispielsweise gerade interessante Schnittstellen zwischen Simcorp und Clearstream und auch im Bereich Trading & Clearing. Die Währungshandelsplattform 360T ist bereits in Simcorp integriert. Das ist ein erster Schritt hin zu einer echten Plattformlösung.
Sie haben gesagt, dass Sie sich auch wieder kleinere Zukäufe vorstellen können – um welche Lücken zu schließen?
Ein Thema, das unsere Kunden gerade sehr stark umtreibt, ist das Wachstum in den alternativen Anlageklassen, wo die Gebühren deutlich höher sind als mit liquiden Kapitalmarktprodukten. Rund 70 der 300 Simcorp-Kunden sind aktuell schon in alternativen Anlageklassen wie Private Equity oder Private Credit investiert. Ob unser Wachstum im Bereich der Alternatives dabei organisch oder anorganisch erfolgt, ist an dieser Stelle gar nicht entscheidend. Vor rund zehn Jahren gab es auch schon mal eine große M&A-Opportunität im Bereich Alternatives, wo sich Simcorp letztendlich aber dagegen entschieden hat.
Aus welchem Grund?
Wir haben uns dazu entschieden, das Geschäft organisch aufzubauen, und setzen bei den Alternatives auch stark auf Partnerschaften. Auf diesem Wege konnten wir unser Angebot in diesem Bereich eigenständig aufbauen und bieten ein vollumfängliches IBOR (Investment Book of Records) an. Wir haben in den zurückliegenden fünf Jahren bei Simcorp sehr viel unternommen, um ein Ökosystem mit rund 130 Technologieanbietern aufzubauen – viele davon im Bereich Alternatives.
Ein Beispiel?
Private-Equity-Investments ziehen viel manuelle Arbeit nach sich. Also haben wir mit Alkymi einen Partner gefunden, der Term Sheets mithilfe von künstlicher Intelligenz automatisch auslesen kann.
In diesem Bereich können Sie sich Zukäufe vorstellen?
Wie gesagt arbeiten wir hier sehr erfolgreich mit unseren Partnern zusammen, es kommt weniger auf anorganisches Wachstum an, aber natürlich beobachten wir den Markt sehr sorgfältig. Mit der Deutsche Börse Group im Rücken haben wir aber auch immer die finanzielle Stärke, solche Produktlösungen selbst zu entwickeln.
Noch viel stärker als für Ihre M&A-Liste interessieren sich Analysten für das mysteriöse Schlussquartal, das für Simcorps Software-Geschäft das wichtigste sein soll. Wir haben Februar – wie ist es gelaufen?
Zu den Geschäftszahlen muss ich leider auf die Bilanzpressekonferenz der Deutschen Börse Group verweisen. Das Einzige, was ich sagen kann, ist, dass das Momentum sehr gut ist und wir im Plan liegen mit der Entwicklung.
Werden die Analysten positiv oder negativ überrascht sein?
Das werde ich nicht kommentieren. (lacht)
Warum hat ein Geschäft, das angeblich so stabile und wiederkehrende Erlöse (Recurring Revenues) verspricht, so eine hohe Saisonalität?
Ein sehr großer Teil von Simcorps Erlösen ist wiederkehrend. Nur, die Einführung unserer Systeme ist in der Regel eine große, weil transformative Entscheidung für den Kunden. Und diese Entscheidungen werden für gewöhnlich am Jahresende getroffen. Das hat sich in der Softwarebranche so etabliert.
Wie viele Kunden hat Simcorp 2024 gewonnen?
Netter Versuch, das kann ich nicht kommentieren. (lacht) Spaß bei Seite, die reine Zahl ist nicht unbedingt ausschlaggebend. Wir können leider nicht alle unsere Kunden öffentlich nennen, aber wir haben beispielsweise im letzten Jahr wichtige große Kunden im Schlüsselmarkt Nordamerika wie PSP in Kanada und TRS in den USA gewonnen.
Wie viele Kunden wollen Sie denn dieses Jahr gewinnen?
Wir verfolgen zwei Ziele: Natürlich wollen wir neue Kunden gewinnen, vor allem in den USA. Noch viel wichtiger ist es aber, den Share of Wallet, also den Anteil der Ausgaben mit unseren bestehenden Kunden, zu erhöhen. Der größte Anteil unseres finanziellen Ergebnisses kommt schließlich über Bestandskunden. Hier geht es vor allem darum, bestehende Kunden auf ein Software-as-a-Service-(SaaS)-Modell umzustellen, was bisher nur ein Drittel aller Simcorp-Kunden nutzt.
Sie sind künftig aber nicht nur für die Entwicklung von Simcorp verantwortlich, sondern für das komplette IMS-Segment der Deutschen Börse. Welche Vision haben Sie für IMS?
IMS ist ein Wachstumssegment, deshalb schauen wir uns aktuelle und langfristige Markttrends an. Innerhalb der Wealth-Industrie gibt es beispielsweise einige sehr interessante Trends, die wir sorgfältig im Blick behalten müssen. Es gibt dafür bei uns allerdings noch keine aktiven Pläne.
Spielen Sie damit auf die Demokratisierung privater Kapitalmärkte über Privatanlegerprodukte wie den Eltif an?
Zum Beispiel. Was das Wealth Management vom institutionellen Assetmanagement unterscheidet, ist, dass es überall auf der Welt anders funktioniert. In den USA ist es sehr beratergetrieben. In Europa ist es noch immer stark bei traditionellen Banken aufgehängt, und in Asien läuft es nochmal ganz anders.
Der Zugang zu Private-Markets-Daten wird noch wichtiger werden, je weiter sich die Branche dem Retail öffnet. Mit Preqin war zuletzt einer der großen Anbieter auf dem Markt – und wurde von Blackrock gekauft. Hätte das nicht auch zu einem Infrastrukturunternehmen wie der Deutschen Börse gepasst, das im Alternative-Geschäft wachsen will?
Alternatives-Daten werden in der Tat immer wichtiger. Grundsätzlich kann ich sagen, dass wir als Plattform neutral und offen bleiben müssen, um unseren Kunden immer Zugang zu allen Datenanbietern zu gewähren. Auf keinen Fall dürfen wir ihnen einen Anbieter aufzwingen.
Noch eine größere Integration wäre nach der Simcorp-Übernahme vielleicht auch etwas viel gewesen im vergangenen Jahr. Was ist von Simcorp bzw. IMS in diesem Jahr zu erwarten – ohne die Integrationsarbeit?
Bei Simcorp hatten wir einen Drei-Jahres-Plan bis 2025. Dann wurden wir von der Deutschen Börse übernommen, deren Strategie bis 2026 geht und von der wir ein wichtiger Teil sind. Was wir dieses Jahr tun müssen, ist ganz einfach: Wir müssen liefern. Wir müssen in Nordamerika wachsen, die SaaS-Transformation umsetzen und das ausrollen, was wir Business Services nennen. Assetmanager können nicht nur ihre IT auslagern, sondern auch bestimmte Back-Office-Tätigkeiten, wie beispielsweise Bilanzierungsthemen.
Mit anderen Worten: Simcorp muss dieses Jahr beweisen, dass ein Kaufpreis von 4 Mrd. Euro gerechtfertigt war?
Ich war damals nicht auf der Käufer-, sondern Verkäuferseite. Den Druck gebe ich also gern an denjenigen weiter, der damals die Kaufentscheidung getroffen hat. (lacht) Als Analyst würde ich sagen, Simcorp ist eine langfristige Branchenwette der Deutschen Börse. Wir sehen es vor allem als gute Antwort auf Branchentrends und Kundenbedürfnisse. Die Entwicklung unseres Aktienkurses zeigt aber, dass die Diversifizierung in Wachstumsbereiche anscheinend zunehmend honoriert wird. Aber: Wir müssen jetzt liefern und sicherstellen, dass wir wachsen und Marktanteile gewinnen. Diese Aufgabe ist für mich sehr aufregend.
Zur Person
Christian Kromann gehört seit diesem Jahr dem Vorstand der Deutschen Börse an und verantwortet dort den Geschäftsbereich Investment Management Solutions. Dieser wurde nach der Übernahme des dänischen Spezialsoftware-Anbieters Simcorp geschaffen, dessen CEO Kromann zuvor gewesen ist. Nach dem Verkauf und der Integration in den Deutsche-Börse-Konzern muss Kromann als IMS-Chef nun liefern und zeigen, dass die Börse zu Recht knapp 4 Mrd. Euro für die Dänen bezahlt hat.
Das Interview führte Philipp Habdank.