Versicherer errechnen Klimarisiken
Von Antje Kullrich, Köln
Eine höhere Frequenz zerstörerischer Hurrikans, ausgedehnte Dürreperioden oder hohe Schäden durch lokale Starkregengüsse – mit den Auswirkungen des Klimawandels beschäftigen sich die Versicherer schon länger. Etwas neuer ist der Blick auf die Aktivseite. Der Klimawandel wird auch erhebliche Effekte auf die vielen Milliarden haben, die die Versicherer unter ihrer Verwaltung haben. Klimastresstests rücken allmählich in den Fokus der Assekuranz.
Für die deutschen Marktteilnehmer ist das bislang eine freiwillige Übung. Die BaFin bezeichnet Klimastresstests als wichtig, plant aber derzeit keinen nationalen Test. Sie will das Thema nach eigenen Angaben über die europäische Ebene vorantreiben, eine entsprechende EIOPA-Arbeitsgruppe existiert seit geraumer Zeit. Die Aufseher der Branche in anderen Ländern preschen bei diesem Thema weiter vor. In Frankreich haben Versicherer schon gerechnet, in England sind sie gerade dabei. Im April 2021 hat die französische Finanzaufsicht ACPR die Ergebnisse ihres 2020 aufgelegten Klimastresstests für die wichtigsten Finanzdienstleistungsakteure vorgelegt. Neun Banken und 15 Versicherer nahmen teil. Das Ergebnis dieser Pilotstudie war ein „moderates Exposure“ der französischen Institute in Bezug auf Klimarisiken. In England hat die Bank of England gerade Anfang Juni einen Klimastresstest für die größten Banken und Versicherer des Landes vorgelegt, dessen Ergebnisse im Mai 2022 vorliegen sollen.
In Deutschland ist nachhaltiges Investieren in der Assekuranz, die rund 1,5 Bill. Euro Kapitalanlagen verwaltet, bereits ein quasi etabliertes Thema. Mit den potenziell erheblichen Effekten des Klimawandels auf den Wert der Assets haben sich die Versicherer jedoch lange kaum beschäftigt. In einer Erhebung der BaFin 2018 kam heraus, dass damals lediglich 6% der deutschen Versicherer Klimastresstests für ihr Risikomanagement in den Kapitalanlagen verwendeten. Inzwischen sind es mehr, auch wenn ein Marktüberblick mangels Daten fehlt.
Marktführerin Allianz ist hierzulande eine der Vorreiterinnen in Sachen Klimastresstests. Sie experimentiert und rechnet schon seit mehreren Jahren mit Modellen, die vor allem die Effekte steigender CO2– Preise abbilden. 2021 hat sie erstmals die Ergebnisse eines Klimastresstests für ihr Aktienportfolio veröffentlicht. Die Allianz legt darin Szenarien zugrunde, in denen der CO2-Preis bis 2030 entlang eines 2-Grad-Pfades auf bis zu 115 Euro je Tonne bzw. auf einem 1,5-Grad-Pfad auf 95 bis 374 Euro je Tonne steigt. Im härtesten Fall, so das Ergebnis der Studie, könnte das Aktienportfolio durch verringerte Unternehmensgewinne angesichts der hohen CO2– Preise und damit fallender Aktienkurse um bis zu 19% an Wert verlieren. Wobei sich die Sensitivität des Portfolios 2020 im Vergleich zum Vorjahr schon merklich verringert hat. 2019 wären die potenziellen Wertverluste noch deutlich höher ausgefallen.
Besonders ausgefeilt ist ihr Modell noch nicht, worauf die Allianz selbst in ihrem Nachhaltigkeitsbericht hinweist. So unterscheidet der Stresstest nicht zwischen Scope-1- und Scope-2-Emissionen (also die direkte Freisetzung klimaschädlicher Gase im eigenen Unternehmen oder die indirekte Freisetzung klimaschädlicher Gase durch Energielieferanten) oder berücksichtigt nicht geplante CO2-Reduktionen der Unternehmen, in die investiert wurde. Die Allianz will nach eigenen Angaben sowohl ihr Klimastresstest-Modell verfeinern als auch auf andere große Assetklassen wie Unternehmensanleihen oder Immobilien ausweiten.
Wettbewerber steigen ein
Die Wettbewerber sind meist noch nicht ganz so weit. Die Talanx plant für dieses Jahr die Quantifizierung von Klimarisiken für den Konzern mittels Stresstests, wie eine Sprecherin auf Anfrage mitteilte. Auch die R+V beschäftigt sich seit einiger Zeit mit dem Thema. „Im Risikomanagement der Kapitalanlagen benutzen wir bereits heute eine Kennzahl ,Climate Value at Risk‘, bei der über verschiedene Klima-Simulationen physische und transitorische Klimarisiken in einen übergeordneten Klima-Score eingehen“, erläuterten die Wiesbadener. Das sei kein reinrassiger Klimastresstest, aber methodisch auch nicht weit entfernt. Auch die Versicherungskammer Bayern will Stressszenarien in ihren Kapitalanlagen untersuchen. Die Munich Re hat bereits vor zwei Jahren für ihre britischen Töchter den ersten damaligen Klimastresstest mitgerechnet. Auf Konzernebene hat sie die Risiken im Blick, sieht aber wie viele Konkurrenten auch das Problem in den Annahmen. Denn die Modellierung von Klimastresstests ist noch weit schwieriger als zum Beispiel Solvency II. In Frankreich und England werden 30-Jahres-Szenarien zugrunde gelegt, doch wie realistisch die sind, können auch die Studieninitiatoren nur schwer einschätzen. Historische Daten fehlen.
Die europäischen Aufseher tasten sich an das Thema heran. 2020 hatte EIOPA ein zweites Diskussionspapier zu Klimastresstests veröffentlicht, das derzeit noch überarbeitet wird. Im Dezember 2020 hatte die Behörde einen Bericht zu einer Klimasensitivitätsanalyse vorgestellt, in der erstmals versucht worden war, die Transitionsrisiken für die Kapitalanlagen von Versicherern, die sich aus dem Übergang in eine CO2-neutrale Welt ergeben, zu quantifizieren. Die Studie nutzte Solvency-II-Daten und darf als erste Annäherung verstanden werden. Einen unternehmensindividuellen Klimastresstest hat EIOPA für 2021 noch nicht auf der Agenda.