Alibaba gerÀt bei Investoren in Misskredit
Von Norbert Hellmann, Schanghai
Im weltgröĂten Markt fĂŒr E-Commerce-Dienste kennt man eine wohletablierte Hackordnung: Der chinesische Technologieriese und Onlinehandelsbetreiber Alibaba gibt in Sachen Umsatzvolumina, GewinnstĂ€rke und natĂŒrlich auch Börsenperformance den Ton an, wĂ€hrend sich die ewige Nummer 2 JD.com redlich bemĂŒht, zumindest den Anschluss nicht zu verlieren. Und dann gibt es noch einen jungen Wilden namens Pinduoduo, auf dessen SchnĂ€ppchen-Plattform sich der E-Commerce-Betrieb mit SoÂcial-Media-Funktionen und EnÂtertainment mischt, was insbesondere jĂŒngeres Verbraucherpublikum wie auch risikofreudige Tech-Anleger in Kauflaune bringt. In diesem Jahr ist die Hierarchie allerdings ein wenig durcheinandergewirbelt worden, weil Chinas aufsehenerregende Regulierungskampagne fĂŒr den Internet- und Technologiesektor Alibaba das Leben schwerer als je zuvor gemacht hat und die direkte Konkurrenz Morgenluft wittert.
Absage von Ant-IPO schockt
Auf den Tag genau vor 13 Monaten fand ein Erdbeben statt, das die Alibaba-Aktie erstmals seit ihrem spektakulĂ€ren Börsengang im September 2014 in ihren Grundfesten erschĂŒtterte. Am 3. November 2020 machte die Nachricht die Runde, dass die von Alibaba-GrĂŒnder Jack Ma groĂgezogene Fintech-Schwester Ant Group ihr monumentales Initial Public Offering (IPO) an den Börsen in Hongkong und Schanghai 48 Stunden vor dem geplanten Handelsstart auf regulatorisches GeÂheiĂ absagen muss. Alibaba, die eine Drittelbeteiligung an Ant Group und dem auf ihren Plattformen genutzten Zahlungssystem Alipay hĂ€lt, musste damit nicht nur die Hoffnung auf gigantische InÂvestmentgewinne begraben, sondern zum Schrecken der Anleger feststellen, dass das gesamte von Ma verantwortete Tech-Imperium in politischen Misskredit geraten ist.
Wenige Monate spĂ€ter flatterte die schriftliche Quittung ins Haus. Alibaba bekam wegen monopolistischer Praktiken und Marktmachtmissbrauchs im KerngeschĂ€ft mit den Onlinehandelsplattformen Taobao und Tmall eine Strafe ĂŒber 2,8 Mrd. Dollar aufgebrummt, was den einsamen BuĂe-Rekord in Chinas Wirtschaftsgeschichte bedeutet. FĂŒr einen Cash-flow-Titanen wie Alibaba bedeutet auch eine Megastrafe letztlich nur einen Griff in die Portokasse. Wesentlich schwerer allerdings wiegen die KollateralschĂ€den in Form eines regulatorischen GeneralĂŒberholungszwangs fĂŒr ein GeschĂ€ftsmodell, das auf absoluter Marktdominanz beruht und von Peking in dieser Form nicht mehr geduldet wird.
TatsĂ€chlich sorgt nun eine ganze Reihe von nachgelagerten Regulierungsauflagen dafĂŒr, dass die mit weniger aggressiven Marktpraktiken auftretende JD.com im Wettbewerb mit Alibaba erheblich den RĂŒcken gestĂ€rkt bekommt. Vontobel Asset Management geht davon aus, dass Alibaba im Zuge des regulatorischen Drucks rund 5% ihrer E-Commerce-Erlöse an JD.com und Pinduoduo âabgebenâ wird. Mit Blick auf die Marktanteilsdominanz von Alibaba ist es sicher noch zu frĂŒh, von einer Wachablösung im E-Commerce-GeschĂ€ft zu sprechen. An der Börse jedoch hat die Dynamik durchaus gedreht, was zu Portfolioumschichtungen weg von Alibaba und hin zu JD.com anregt.
Zwar verzeichnete Alibaba im dritten Quartal noch immer ein Umsatzwachstum von 29%, fiel aber gegenĂŒber den Markterwartungen zurĂŒck und rechnet mit einer Wachstumserosion fĂŒr 2022. AuĂerdem zeigte bei Alibaba erstmals seit fĂŒnf Jahren wieder der bereinigte Gewinn nach unten â und das gleich um 40%. DemgegenĂŒber glĂ€nzte JD.com im dritten Quartal mit Wachstumsfortschritten und der Aussicht auf langfristige MargenkrĂ€ftigung.
Die Reaktion der Analysten ist eindeutig ausgefallen. Bei Alibaba wurden die Kursziele zuletzt durchweg um mindestens 5% zurĂŒckgenommen, bei JD.com jedoch im Mittel um 15% angehoben. Auch in der Kursperformance geht die Schere auseinander. WĂ€hrend JD.com seit August wieder um gut 50% zugelegt hat, nimmt die Misere bei Alibaba weiter ihren Lauf. Zur Wochenmitte fielen die US-Anteilscheine um weitere 4% auf den tiefsten Stand seit Mai 2017 zurĂŒck.
Der heftige Vertrauensverlust wird noch an anderer Stelle besonders deutlich: Alibabas Kurs-Gewinn-VerhĂ€ltnis (KGV) auf Basis der berichteten Ergebnisse ist mit zuletzt 18,7 erstmals ĂŒberhaupt unter die Marke von 20 gegangen. Alibaba erlebt mithin die bislang niedrigste fundamental abgesicherte Marktbewertung in ihrer nunmehr gut siebenjĂ€hrigen Börsengeschichte, weil der Wachstumsstory der Stoff auszugehen droht.
Damit bleibt nur noch die Frage, ob es die Analystengemeinde auch wagt, am Nimbus der unablĂ€ssigen Kaufempfehlungen zu rĂŒtteln. Bislang ist die RĂŒcknahme der Kursziele immer nur âwiderwilligâ den bereits gefallenen Kursen gefolgt. Offenbar wagt es niemand, auf âUnderperformâ oder âSellâ zu votieren. Wirklich niemand? Nein, es gibt eine Ausnahme, und zwar die DZBank. Diese stufte Alibaba bereits im Juli als verkaufswĂŒrdig ein und kann sich nun als einsamer Rufer im Wald bestĂ€tigt fĂŒhlen.