Klaus Kaldemorgen

„Anleihen sind Ersatz für Cash“

Anlageprofi Klaus Kaldemorgen zeigt sich über aktuelle geopolitische Entwicklungen beunruhigt – diese könnten für Aktien zum Risiko werden. Derweil schichtet der Fondsmanager sein Bondportfolio um.

„Anleihen sind Ersatz für Cash“

Wolf Brandes.

Herr Kaldemorgen, die letzten Wochen des Jahres standen im Zeichen der Zentralbanken. Die Fed zieht die Zügel 2022 an. Was erwarten Sie von der Geldpolitik in den kommenden Monaten?

Es ist richtig, dass die Geldpolitik jetzt reagiert. Es war unübersehbar, dass die Inflationszahlen deutlich angestiegen sind. Das wurde von der Fed lange Zeit heruntergespielt mit dem Hinweis auf vorübergehende Basis­effekte. Zuletzt war die Fed unsicher geworden und hat nun den Zinserhöhungszyklus eingeleitet. Die EZB wirkt im Vergleich dazu entspannt, aber das liegt auch an der problematischeren Staatsverschuldung in Europa. Wenn man in Europa auf die geldpolitische Bremse tritt, könnte sich das schnell negativ auf die Stimmung auswirken. In Europa sind die Staaten stärker in einer Zwickmühle. Das liegt auch daran, dass sie für die ökologische Wende viel Geld brauchen.

Sie sagen, dass eine höhere Inflation uns im nächsten Jahr begleiten wird. Womit ist zu rechnen?

Es ist mit der Inflation so wie mit der Infektionsrate bei Covid. Die Kurve verläuft in Wellen. Ich bin mir sicher, dass nach einem ersten Abflauen der Inflation eine zweite Welle der Preissteigerung anrollen wird. Das liegt auch an den zu erwartenden höheren Lohnforderungen der Gewerkschaften.

Wie kommt es zu einem wellenförmigen Muster?

Einflussfaktoren sind die Rohstoff- und insbesondere die Energiepreise. Dazu kommen die Löhne. Ein weiterer Faktor ist das bemerkenswerte Umdenken beim Thema Globalisierung, denn das bedeutet für die Kosten nichts Gutes. Hinzu kommen die Engpässe bei den Lieferketten, die die Inflation ebenfalls antreiben. Diese verschiedenen Faktoren sind nicht im Gleichlauf, und daher kommt es zu wellenförmigen Bewegungen bei der Inflationsrate.

Wird die Liquidität die Märkte weiter antreiben?

Inflation ist nicht negativ für Aktien. In einem inflationären Umfeld können Unternehmen eher die Preise erhöhen, die höheren Kosten auffangen und vielleicht sogar die Gewinne steigern. Aber Unternehmen sind empfindlich, wenn es um steigende Zinsen geht. Denn damit würden sich wieder Alternativen für Anlagen auftun. Nun sind wir in Europa von auskömmlichen Zinsen noch weit entfernt. In den USA könnten diese sehr viel attraktiver werden, wenn die Zinsen für zehnjährige Treasuries auf 2,5% steigen. Das wird der Aktienmarkt nicht goutieren.

Welchen Einfluss hat es, dass die Notenbank weniger Anleihen kaufen wird? Trifft die geringere Liquidität den Aktienmarkt?

Nein, das belastet in erster Linie den Bondmarkt. Hinzu kommen bei Anleihen Abschläge, wenn die Renditen steigen.

Und die Hausse bei Aktien?

Das viele Geld ist auch 2022 nicht weg und wird sich weiter seinen Weg suchen. Das Geld auf Giro- und Sparkonten wird auch weiter umgeschichtet in Vermögenswerte, also Aktien und Immobilien. Das war einer der wesentlichen Treiber für die Kursgewinne. Davon haben in erster Linie Aktien der digitalen Ökonomie profitiert, also die sechs größten Unternehmen der Welt.

Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon, Tesla und Facebook . . .

Diese Giganten haben inzwischen ein enormes Gewicht, weil sie so stark gestiegen sind. Es ist allerdings zu befürchten, dass es bei diesen Werten bald zu Ermüdungserscheinungen kommen könnte.

Was sind andere Risiken 2022?

Mich beunruhigen die geopolitischen Entwicklungen, die für die Aktienmärkte zunehmend ein Risiko darstellen. An erster Stelle ist China zu nennen. Der Markt war 2021 mit einem Minus von rund 13% einer der schlechtesten Aktienmärkte. Und auch für 2022 sind die Risiken erheblich. Denn der Politikwechsel in China hat dazu geführt, dass sich die Prioritäten dramatisch verändert haben. Es ist nicht mehr der positive Aktienmarkt ein Beleg für das Wirtschaftswachstum, sondern es geht der Führung jetzt mehr um den Wohlstand der breiten Bevölkerung.

Muss man gleich alle chinesischen Aktien verkaufen?

Warum soll ich an Anlagen festhalten, deren Risiko größer ist als die zu erwartende Rendite? Ich habe alle chinesischen und auch alle russischen Titel verkauft. In Russland sind die Probleme mit Blick auf den Konflikt in der Ukraine anders gelagert. Aber zu China muss man ganz klar sagen, dass die Unternehmen stark durch die politische Ausrichtung unter Druck geraten. Wenn zudem Firmen gezwungen werden, sich von der New Yorker Börse zu verabschieden, dann ist das ein schlechtes Signal für Investoren. Da finde ich in allen Regionen Aktien mit weniger Risiko.

Wenn also nicht China, dann lieber Europa oder die USA?

Wenn es nach mir ginge, könnte Europa mal wieder vorne liegen. In den USA dominieren die Wachstumsaktien, während das in Europa leider nicht so ist. Dafür hat Europa seinen eigenen Charme. Hier finden Sie eher langweilige Werte wie zum Beispiel aus den Sektoren Infrastruktur, Versorger und Telekommunikation. Ich glaube, dass diese Unternehmen aufgrund ihrer niedrigen Bewertungen, der hohen Dividendenrenditen und der Stabilität im nächsten Jahr gut durch die kommenden zwölf Monate kommen werden. Hinzu kommt, dass diese Sektoren von einer höheren Inflationsrate eher profitieren dürften, anders als Wachstums- und Technologietitel.

Wie wichtig sind für Sie Bewertungen angesichts der Nullzinsen?

Es ist völlig normal, dass bei steigenden Zinsen die Bewertungen zurückgehen. Das trifft insbesondere die Technologieunternehmen, die stark wachsende Gewinne aufweisen und die dementsprechend stärker abdiskontiert werden. Was die absolute Höhe von Bewertungen angeht, muss jeder Investor für sich selbst entscheiden. Aber die relativen Veränderungen der Bewertungen sind durchaus ernst zu nehmen.

Nebenwerte eignen sich eher, um sich als aktiver Fondsmanager zu profilieren. Wie halten Sie es mit Small und Mid Caps?

Mein Fonds ist zu groß, als dass ich mit Nebenwerten Akzente setzen kann. Daher habe ich nur eine Hand voll etwas kleinerer Werte im Portfolio. Entscheidend ist aus meiner Sicht, wie sinnvoll der Fonds strukturiert ist. Ich möchte mich über eine aktive Strukturierung des Fonds profilieren, nicht über Stock Picking.

Welche Rolle spielt Gold in Ihrer Strategie?

Gold ist für mich eine eigene Assetklasse. Physisches Gold ist kein Rohstoff, sondern eine alternative Währung, und bietet einen gewissen Schutz vor geopolitischen Krisen. Angesichts der Beobachtung, dass der Ton in der Weltpolitik aggressiver geworden ist, braucht man einen solchen sicheren Hafen.

Die geopolitischen Verwerfungen sind also aus Ihrer Sicht einer der größten Risikofaktoren für die Märkte im nächsten Jahr?

Sie sind ein Risikofaktor, aber das Risiko der Zinserhöhung in den USA wiegt weitaus schwerer.

Als Manager eines Multi-Asset-Fonds investieren Sie auch in Anleihen. Welche Chancen bieten sich noch für Investoren am Bondmarkt?

Ich habe mich von Schwellenländeranleihen komplett getrennt und das Portfolio damit umstrukturiert. Auch Unternehmensanleihen habe ich verkauft oder auslaufen lassen. Demgegenüber spielen Staatsanleihen inzwischen eine große Rolle. Ein Schwerpunkt liegt im Dollar und in den norwegischen Kronen. Ich investiere in Papiere mit sehr niedriger Laufzeit und habe damit weder ein Kredit- noch ein nennenswertes Zinsänderungsrisiko. Bei Anleihen geht es aber nicht um Performance, sie sind für mich Ersatz für Cash.

Wie halten Sie es mit Währungen?

Meine Einschätzung hat sich im vergangenen Jahr deutlich geändert. Mittlerweile ist der Anteil des Dollar von 10% auf 30% gestiegen. Das hat sich in den vergangenen Monaten auch gerechnet. Ein Pluspunkt ist, dass es in den Vereinigten Staaten und in Norwegen weiterhin positive Zinsen gibt.

Wichtig für den Erfolg ist die Allokation. Als Mischfonds spielen für Sie Benchmarks keine Rolle. Kann Ihnen der Index egal sein?

Ich kann mir den Luxus leisten, große Werte mit einem kleinen Gewicht zu allokieren. Die Top 6 sind im MSCI All Countries World mit 16% gewichtet, das ist eine Hausnummer. Aus meiner Sicht sind die gängigen Indizes aufgrund ihrer Konzentration nicht mehr gut diversifiziert. Damit steigt das Risiko einer benchmark­orientierten Aktienanlage. In meinem Fonds mit einem Aktienanteil von 55%, von dem ich 10% abgesichert habe, haben Aktien den höchsten Risikobeitrag.

Sind Aktien im kommenden Jahr alternativlos?

In den vergangenen drei bis vier Wochen hat mich der Optimismus hinsichtlich der Aktienmärkte etwas verlassen. Das Argument, Aktien seien alternativlos, ist angesichts der Unsicherheiten im nächsten Jahr mit Vorsicht zu genießen. Ich möchte allerdings nicht den Eindruck erwecken, dass Aktien uninteressant geworden seien. Aber man sollte es vorsichtig angehen lassen. Trotz erhöhter Risiken und des reduzierten Renditepotenzials sind Aktien auch 2022 erste Wahl.

Das Interview führte