„Bei Netflix haben wir auf solche Kurse lange gewartet“
Wolf Brandes.
Herr Fischer, welche Auswirkungen haben die Folgen des Ukraine-Kriegs für einen Investor?
Bei unserem Ansatz liegt der Fokus auf den Einzelwerten. An diesem Blickwinkel ändert sich nichts, solange eine Firma nicht nachhaltig gefährdet ist. Wenn eine Aktie günstig zu haben ist, spielt es keine große Rolle, was draußen am Markt los ist.
Nun gibt es aber Branchen, für die der Krieg große Folgen hat, oder?
Sicher, wir agieren nicht im luftleeren Raum. Am Markt stellt sich aber immer die Frage, wann ich als Investor zuschlage. Und das mache ich unabhängig vom geopolitischen Umfeld. Das ändert doch nichts daran, dass die britische Versicherung Admiral Kostenführer im Segment der Kfz-Policen ist. Das Unternehmen hat 60% der Angestellten an der Firma beteiligt, kein Mitarbeiter hat einen Dienstwagen, sie sitzen preisgünstig in Wales und nicht teuer in London. Auf solche Sachen kommt es beim Investieren an. Admiral hat 50% Eigenkapitalrendite. Eine Allianz würde sich über 15% freuen.
Sind Sie auch ein Fan von Ryanair?
Die haben wir gerade zugekauft. Ryanair gefällt uns nicht nur unter wirtschaftlichen Aspekten, sondern weil sie bei ESG hervorsticht. Ich will niemandem vorschreiben, ob er fliegt oder nicht. Aber wenn, dann ist es besser, ein Flugzeug so eng wie möglich zu bestuhlen und mit den modernsten Maschinen zu fliegen. Pro geflogene Passagiermeile hat Ryanair den geringsten CO2-Verbrauch in der Luftfahrtbranche.
Beeinträchtigt der hohe Ölpreis nicht Ihre Überlegungen?
Das beeinflusst die Branche massiv. Aber die Schwachen werden ausscheiden, nicht die Starken. Angefangen von Alitalia gibt es tonnenweise zweit- oder drittklassige Fluggesellschaften, die keine Kostenführer sind. Ryanair hat mit Michael O’Leary einen CEO, der durchaus umstritten sein mag. Ich finde ihn herzerfrischend, und er ist ein Eigentümer, auf den man sich verlassen kann. Er führt seinen Laden diszipliniert, hat seine neue Flotte günstig eingekauft – rechtzeitig zur Erholungsphase. Mit den neuesten Maschinen wird er die Konkurrenz abhängen.
Bezahlen muss er den Preis für Kerosin aber auch . . .
Die Preissteigerung ist in der Luftfahrtbranche ein Thema. Ryanair hat aber geschickt agiert und sich über einen CAP ein bestimmtes Preislevel für die nächsten acht Monate gesichert, während die anderen Gesellschaften Kerosinpreise bei den Tickets aufschlagen müssen. Ich finde den Mann als Unternehmer brillant. Natürlich ist die Aktie heruntergekommen, aber jetzt war sie so günstig, dass man kaufen musste. Der Kurs hat aus meiner Sicht eine Perspektive, sich in den nächsten fünf Jahren vor Kosten zu verdoppeln. Gemessen am KGV von 4 ist Ryanair ein klassisches Value-Investment. Das Unternehmen hat es geschafft, sich einen Burggraben zu bauen.
Wie bewerten Sie den Einfluss der Energiepreise?
Wo es Probleme geben wird, sind wir nicht investiert. Beispielsweise im Energiesektor. Aber es gibt auch noch andere Unternehmen, von denen wir die Finger lassen. Speziell dann, wenn das Geschäftsmodell nicht zu verstehen ist.
Was haben Sie für Beispiele?
Tesla. Die Aktie haben wir uns genau angeschaut, denn das Wachstum ist beeindruckend. Momentum, nicht Growth, ist das Gegenteil zu Value. Wachstum ist ein Teil des Unternehmenswertes. Was wir nicht wollen, ist im Momentum-Stil zu investieren. Bei Tesla haben wir aber keine Ahnung, wie sich das Geschäftsmodell entwickeln wird. Ich traue mir nicht zu vorherzusagen, ob Tesla künftig alle Taxiflotten der Welt stellen wird. Es ist vorstellbar, dass Tesla die erhofften Gewinne bringt, aber ich kann das nicht greifen. Das ist Spekulieren und nicht Investieren, und deshalb lassen wir die Finger davon.
Hohe Energiepreise, noch niedrige Zinsen. Letztere haben Einfluss auf Bewertungen. Wie wirkt sich das auf Ihren Ansatz aus?
Keine Frage, die zukünftigen Cashflows sind zu diskontieren, und wenn die Zinsen steigen, wird der Zahlungsstrom weniger wert. Über Jahrzehnte hatten wir Rückenwind von den Zentralbanken, von den niedrigen Zinsen und der hohen Liquidität. Jetzt wird über Zinserhöhungen geredet, die Fed hat einen ersten Schritt gemacht. Und ich sehe das auch nicht in großem Umfang.
Viele glauben trotz des Ukraine-Krieges an deutliche Zinserhöhungen, zumindest in den USA. Warum sehen Sie das anders?
Angesichts der Rohstoffpreise und der Inflation müssten die Notenbanken erhöhen, aber das Umfeld spricht dagegen. Starke Zinserhöhungen würden direkt in die Rezession führen. Dieses Umfeld wird nun dazu führen, dass zyklische Titel weiter leiden und Bankaktien fallen. Banken sind eine Branche, die ich mir nicht mal anschaue.
Aber Versicherungen?
Am liebsten Versicherungen mit kurz laufenden Verträgen wie Sachversicherungen. Demografierisiken bei Lebensversicherungen sind für uns schwer zu kalkulieren. Die Veränderung der Langlebigkeit und die Auswirkung auf die Sterbetafeln kann ich nicht beurteilen.
Was spricht gegen Banken?
Bei Banken verstehe ich die Bilanz nicht. Ich kann nicht beurteilen, wie gut eine Bank ihre Risiken in den Griff kriegt. Das ist bei unserem Vorbild Warren Buffett anders. Buffett hat über Berkshire Hathaway einen Bezug zur Finanzbranche, und seine Kollegen sitzen im Aufsichtsrat, zum Beispiel von J.P. Morgan. Ohne einen solchen Zugang halte ich es für unmöglich, die Risiken von Banken abzuschätzen.
Banken würden aber von steigenden Zinsen profitieren. Böte sich dann eine Chance?
Es wird nicht viel an Zinssteigerungen kommen. Wir haben eine Rezession vor uns, und das wissen die Notenbanken. In Europa gibt es ohnehin keinen Spielraum für Zinserhöhungen in Anbetracht der Verschuldung Italiens. In den USA wird sich die Notenbank zurückhalten und allenfalls symbolische Schritte gehen. Das alles wird auf die Märkte kaum Einfluss haben.
Glauben Sie denn auf der anderen Seite, dass die Rohstoffmärkte sich wieder beruhigen werden?
Wir sind bei 130 Dollar pro Barrel extrem überkauft im Öl und im Gold. Beim Öl kann ich mir trotzdem vorstellen, dass der Preis für ein Barrel Brent auf 160 bis 200 Dollar steigt. Das ist ein Niveau, bei dem die Notenbanken normalerweise eingreifen müssen, weil sie gesetzlich dazu verpflichtet sind, etwas gegen die Inflation zu unternehmen. Doch das Umfeld lässt das kaum zu. Wenn der Krieg mit der Ukraine vorbei sein wird, müssen die Zentralbanken die Liquiditätsschleusen wieder öffnen. Hinzu kommt, dass mit gemeinschaftlichen europäischen Anleihen zur Finanzierung von Rüstung und Wiederaufbau die Fiskaldisziplin der Staaten weiter den Bach runtergehen wird. Es könnte also sein, dass wir nach dem Blutbad in der Ukraine an den Märkten wieder neue Rekorde erreichen, so zynisch das ist.
Wird es dann zu einer Fortsetzung des Tech-Booms kommen?
Ungeachtet der Perspektiven sind wir aktuell vorsichtig und haben die Aktienquote von 90% phasenweise auf 40% abgesichert. Im Moment herrscht am Markt Angst vor. Zu befürchten ist, dass die Investoren mehr und mehr aus dem Aktienmarkt aussteigen. In dieser Phase bieten sich für uns Chancen. Eine davon ist Netflix. Bei der Aktie haben wir auf solche Kurse lange gewartet. Eine wunderbare Firma, die die Erwartungen enttäuscht hat und an der Börse abgestürzt ist. Deshalb sind wir eingestiegen.
So wie bei Ihrer langjährigen Top-Position Amazon?
Amazon haben wir zuletzt deutlich reduziert. Wir warten auf niedrigere Kurse. Amazon finden wir richtig gut, das Unternehmen hat nach zwei Seiten hin einen strukturellen Wettbewerbsvorteil. Die Kunden kommen auf die Plattform, weil dort viel angeboten wird. Die Anbieter kommen auf die Plattform, weil dort viele Kunden sind. Und dann schalten die Anbieter auch noch Werbung. Das ist genial. Das hat Alibaba vorgemacht.
Haben Sie auch Alibaba?
In China haben wir wenige Werte wie Tencent, Alibaba und früher auch JD. Das sind die günstigsten Aktien, die Sie zurzeit überhaupt kaufen können. Da es aber ein politisches Risiko gibt, können wir die Quote bei diesen Unternehmen leider nicht so hochfahren, wie wir gerne würden. Alibaba hat eine Rendite von 25% pro Jahr, das sind mehr als 150% in fünf Jahren. Das muss jeden Investor anschreien.
Was halten Sie von Titeln der Alten Welt?
Die haben wir auch. Während alle Welt von Glasfaser spricht, haben wir uns mit Aktien von Kabelanbietern eingedeckt. Coax-Kupferkabel sind nicht ganz so leistungsstark, aber attraktiv. In den USA gibt es sehr interessante Unternehmen. Bedauerlicherweise nicht in Europa, da hier der Markt totreguliert ist.
Wie sieht es aus mit defensiven Werten, mit Versorgern?
Es gibt Bereiche, die günstig sind, aber Versorger gehören nicht dazu. Das Geschäftsmodell ist zu kapitalintensiv. Wir schauen uns allerdings im Bereich der erneuerbaren Energien um und haben dort zum Beispiel in PNE Wind investiert. Mit Solaredge haben wir einen israelischen Wettbewerber von SMA Solar gekauft.
Wie halten Sie es mit ESG, haben Sie einen Kriterienkatalog?
Da wir viel mit Stiftungen arbeiten, sind wir schon früh mit ESG in Berührung gekommen. Das Thema Nachhaltigkeit steht daher bei uns oben auf der Agenda, auch wenn es manchmal wehtut, in bestimmte Firmen nicht investieren zu können. Nehmen wir den Getriebehersteller Renk. Getriebehersteller klingt erst mal harmlos, aber ausgestattet wird auch das Militär. Wenn der deutsche Panzer dann nach Saudi-Arabien exportiert und im Jemen eingesetzt wird, haben wir ein Problem. Unser ESG-Kriterienkatalog orientiert sich an den Leitlinien der evangelischen Kirche. Mit gewissen Abweichungen: Wir schließen Gentechnik nicht aus, weil das aus unserer Sicht für die Welternährung wichtig ist.
Was halten Sie von der Brüsseler Taxonomie?
Das ist für mich eine Überregulierung. Die Politik hat die Neigung, die Finanzbranche zu einem verlängerten Arm ihrer Ziele zu machen. Aber unsere primäre Aufgabe ist es, eine positive Realrendite zu erwirtschaften. Schließlich geht es ja auch darum, Renten zu finanzieren. ESG und Rendite ist ein gewisser Spagat, und ich hoffe, dass es bei der Regulierung Kompromisse gibt.
Ein Favorit ist Secunet, Anbieter von Cybersecurity. In dem Fall ist das Militär ein wichtiger Auftraggeber. Passt das zu ESG?
Sehr gut. Hier geht es um Daten und Sprachkommunikation in sicheren Netzwerken, die auch das Militär nötig hat. Das sind keine Systeme, mit denen Angriffe gestartet werden. Den Schutz der kritischen Infrastruktur wie Energieversorger und Wasserwerke sehe ich nicht im Widerspruch zu unseren Kriterien.
Das Interview führte