Im InterviewMarc Decker, Merck Finck

„Big Tech wird nach wie vor gesucht sein“

Aktienstratege Marc Decker von der Merck-Finck-Mutter Quintet sieht KI weiter als einen wesentlichen Markttreiber. Im Interview der Börsen-Zeitung erklärt der Experte, warum er keine große Rotation in Small und Mid Caps erwartet und warum Diversifizierung gerade im Healthcare-Sektor so wichtig ist.

„Big Tech wird nach wie vor gesucht sein“

Im Interview: Marc Decker

„Big Tech wird nach wie vor gesucht sein“

Merck-Finck-Stratege wehrt sich gegen einen Abgesang auf KI-Titel – Kartellrecht ist Damoklesschwert für Alphabet – China wird Fiskalpaket schnüren müssen

Merck-Finck-Aktienstratege Marc Decker sieht KI weiter als wesentlichen Markttreiber. Im Interview der Börsen-Zeitung erklärt der Experte, warum er keine große Rotation in Small und Mid Caps erwartet und warum Diversifizierung im Healthcare-Sektor so wichtig ist.

Herr Decker, Donald Trump wird erneut US-Präsident. Hat es Sie überrascht, wie deutlich Trump die Wahl gewonnen hat, und was bedeutet das nun für die Märkte?

Dass er so deutlich gewonnen hat, ist schon überraschend. Aber der Vorteil ist, dass es dieses Mal keinen Schwebezustand gibt, in dem die Dinge für längere Zeit unklar sind. Auch keine Ausschreitungen. Das finden die Märkte erst einmal gut. Was das langfristig bedeutet, ist natürlich schwer absehbar. Man muss jetzt schauen, was er tatsächlich wie umsetzt. Das sind ja immer zwei Paar Schuhe: Mit was gehe ich in den Wahlkampf und was setze ich letztlich um. Dass die Republikaner auch über die Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses verfügen, ist für seine Agenda sicher hilfreich.

Was heißt das konkret?

Wir haben Sektoren identifiziert, für die das erstmal positiv ist. Da sind zum einen Finanzwerte, also Banken, weil Trump hier auf eine Deregulierung setzt. Gleichzeitig werden wir durch die Defiziterhöhung inflationäre Tendenzen bekommen, und dann wird vermutlich auch das Zinsniveau hochgehen.

Was die Fed auf den Plan rufen würde

Die Fed muss sich das natürlich anschauen. Wir sehen ja jetzt schon, dass Fed-Präsident Powell den Zinssenkungszyklus bremst. Wir werden als Ergebnis wohl eine Öffnung der Schere im Vergleich zur EZB sehen. Die könnte sogar noch größer werden, wenn die Fed dank guter US-Konjunktur die Zinsen schneller wieder hochnimmt, als es die EZB tut. Das hätte dann gegebenenfalls einen negativen Rückkopplungseffekt auf das Kreditgeschäft der amerikanischen Banken. Zunächst einmal wirken Trumps Pläne für Banken aber unterstützend.

Negative Auswirkungen könnten auch die Zölle haben.

Wenn Trump seine Pläne wirklich durchboxt und Zölle nicht nur auf chinesische, sondern auch auf europäische Produkte massiv erhöht, dann werden europäische Industrieunternehmen, seien es Maschinenbauer, seien es Autobauer, natürlich darunter leiden. Umgekehrt werden Industrieunternehmen in Amerika unterstützt. Trotzdem wissen wir ja alle aus dem ersten Semester Volkswirtschaftslehre, dass Zölle eigentlich nicht das Allheilmittel sind, um eine Wirtschaft effizient zu gestalten. Ein effizienter internationaler Handel hilft eigentlich allen Beteiligten.

Sehen Sie noch weitere Sektoren, die profitieren könnten?

Der IT-Sektor. Amerika ist sowieso schon IT-lastig und eine protektionistische Politik, wie sie jetzt kommen könnte, würde auch diesen Sektor erst einmal noch zusätzlich unterstützen. Nicht zu vergessen auch alle Unternehmen, die mit Erdöl zu tun haben, Exploration, Förderung etc.

Zählt Green Energy dann umgekehrt zu den Verlierern?

Das ist mit dem „Red Sweep“ definitiv ein Sektor, der jetzt unter Druck kommt. Da kommen jetzt Leute an die Regierung, die auf den Klimawandel und auf Dekarbonisierung einen anderen Blick haben als wir in Europa. Ob und inwieweit sich das auch auf die europäische Green-Energy-Branche auswirkt, bin ich gespannt. Das ist etwas, dass ich noch nicht ganz absehen kann.

Manche Experten glauben, dass nun eine Rotation von Big Tech in kleinere US-Werte, wie sie im Russell 2000 versammelt sind, anstehen könnte, weil sie eben von Zöllen und Gegenzöllen nicht so betroffen sein werden. Wie schätzen Sie das ein?

Ich glaube nicht, dass da eine große Rotation stattfinden wird. Big Tech wird nach wie vor gesucht sein. Aber richtig ist, dass Trumps Zollpolitik für amerikanische Small und Mid Caps zunächst unterstützend wirkt. Aber Big Tech wird die hohen Erwartungen aufgrund von Skaleneffekten im Großen und Ganzen weiter erfüllen können. Die Big Techs haben auch in der letzten Berichtssaison Ertragsstärke gezeigt, und ich sehe diese Ertragsstärke auch nicht verschwinden. Daher würde ich jetzt nicht zwangsläufig auf eine große Rotation setzen.

Zuletzt konnten die Tech-Größen aber nicht alle überzeugen. AMD ist mit seinem Ausblick durchgefallen. Auch ASML hat Anleger enttäuscht. Andere dagegen, wie Microsoft zum Beispiel, haben starke Zahlen abgeliefert, sind vom Markt aber trotzdem nicht mehr gefeiert worden.

Dafür gibt es ein ganzes Potpourri an Gründen. ASML kam unter Druck, weil sich Probleme, die wir bei TSMC und bei Intel gesehen haben, negativ auf die Orderbücher ausgewirkt haben. Aber wenn man sich das Unternehmen und sein Geschäftsmodell ansieht, dann gibt es keine Alternative zu einem Wert wie ASML. Deswegen mache ich mir hier keine großen Sorgen.

KI bleibt also ein wesentlicher Markttreiber?

Ja. Wir haben jetzt in der Berichtssaison gesehen, dass die großen KI-relevanten Unternehmen ihre Capex in KI noch mal erhöhen. In dieses Thema laufen also weiter massiv Investitionen rein. Und für diese Investitionen brauche ich auch die entsprechende Infrastruktur und die entsprechenden Chips – und damit eben ASML.

Die hohen Bewertungen von KI-Titeln sind für Sie kein Problem?

Fakt ist, ob ich jetzt eine Nvidia oder eine ASML nehme, da sind schon hohe Bewertungen am Start. Auf der anderen Seite haben wir gesehen, dass diese Unternehmen ihre Bewertungen mit den entsprechenden Ertragssteigerungen auch immer wieder rechtfertigen. Trotzdem werden Anleger aufgrund der Bewertungen schnell nervös, wenn mal eine nicht ganz optimale Nachricht kommt, und verkaufen gleich, weil sie sich sagen, das ist eh schon zu teuer. Dabei bleibt doch immer die Frage, wenn ich mich von diesen Aktien verabschiede, wann gehe ich wieder rein? Das Risiko, gar nicht mehr dabei zu sein, wäre mir zu hoch. Ich stimme definitiv keinen Abgesang auf diese Werte an.

Dann schauen wir doch mal konkret auf die „Magnificent Seven“.

Microsoft hat ein unfassbar solides, ertragreiches und mit guten Margen unterlegtes Business, auch mit den entsprechenden Cashflows. Die können sich die ganzen Investitionen in die KI-Welt entsprechend auch leisten. Tesla ist ein spezieller Fall. Mit Trumps Wahlsieg hat sich Elon Musk in eine sehr schöne Situation gebracht, da sieht man aber auch, wie schnell sich Kursbewegungen ändern. Ich habe schon oft den Abgesang auf Tesla gehört, aber irgendwie kommt der halt nicht. Amazon hat gigantische Zahlen vorgelegt und deswegen glaube ich, dass die ihre Skaleneffekte weiter ausspielen werden. Über allem schwebt natürlich immer wieder das Kartellrechtsthema. Auch Trump hat die Karte schon ein paarmal gespielt. Das ist auch für Alphabet ein Damoklesschwert. Aber selbst, wenn „Antitrust“ es einhegen sollte, heißt das ja nicht, dass dieses Businessmodell an sich obsolet würde.

Sehen Sie im KI-Bereich denn neben den Big-Tech-Titeln auch andere Unternehmen, die von diesem Trend und vom Thema KI profitieren können?

Wir sehen schon Unternehmen aus dem Dunstkreis der KI-Entwicklung, die hier profitieren. Der Einsatz von Halbleitern im Hinblick auf KI erhöht deren Komplexität und damit die Anforderungen an das Design. Spezifikationen für bestimmte Anwendungen müssen bereits beim Entwurf von Chips berücksichtigt werden. Auch physikalische Aspekte, etwa wie die verschiedenen zum Einsatz kommenden Materialien miteinander harmonieren, müssen mitberücksichtigt werden. Vermehrt geht es auch um Designansätze, die eine Reduktion des Stromverbrauches versprechen. Das ist das Spielfeld der EDA (Electronic Design Automation), der Software für das Design von Halbleitern; da sehen wir Chancen.

Sie plädieren für eine möglichst breite Diversifizierung bei der Geldanlage und auch für substanzstarke Titel. Im Pharmasektor konnten Größen wie Novo Nordisk und Eli Lilly lange überzeugen. Auch die Aktien stiegen rasant.

Ich halte Healthcare auch für eine aussichtsreiche Branche. Da spielen mehrere Megatrends wie das Thema Demographie eine Rolle. Es ist aber sehr schwer zu beurteilen, welche Pharmaunternehmen wo das Rennen machen könnten, welche neuen Medikamente sich durchsetzen, was noch in der Pipeline ist. Deswegen bin ich gerade im Pharmabereich ein Fan davon, breit zu diversifizieren.

Wie schätzen Sie Eli Lilly und Novo Nordisk ein? Beide Unternehmen wurden von den Märkten lange gefeiert, haben zuletzt aber enttäuscht.

Eli Lilly und Novo Nordisk haben mit ihren Abnehmprodukten einen Trend losgetreten und diesen auch sehr schön fahren und den First-Mover-Effekt mitnehmen können. Sie kamen zuletzt unter Druck, weil inzwischen auch andere Pharmaunternehmen in die gleiche Kerbe schlagen und in diesem Hochmargengeschäft ihr Stück vom Kuchen abhaben wollen. Der Konkurrenzdruck wächst also.

Trotzdem bleibt Pharma ein attraktiver Sektor?

Ja. Es gibt ja auch noch kardiovaskuläre Themen, Krebs, also Onkologie, Alzheimerforschung. Das sind ganz viele Bereiche, in denen es Durchbrüche geben könnte. Der könnte wieder anderen Unternehmen gelingen, die dort dann den First Mover Effekt mitnehmen. Deswegen bin ich ein großer Fan davon, breit zu diversifizieren. Das gilt für den Healthcare -Bereich, aber auch generell.

Welche Sektoren haben Sie da noch im Blick?

Ich bin nach wie vor ein Fan von Financials. Ein bisschen aufpassen würde ich dagegen bei Consumer-related-Aktien. Auch im Luxusbereich gab es zuletzt sehr viel Ungemach. Aufgrund des schwachen chinesischen Konsumenten sind hier viele Aktien unter Druck gekommen. Die Frage ist nun: Wie reagiert das Land auf die neue Situation mit Trump? Vermutlich wird die chinesische Regierung auch ein Fiskalpaket schnüren müssen. Und ich glaube, sie sind sich bewusst, dass sie da was Größeres kommen muss, damit der chinesische Markt einen entsprechenden Impuls bekommt. Und wenn so ein Impuls kommt, dann sehe ich auch europäische Luxusaktien wieder im Aufwind.

Eine andere Branche, die momentan sehr kritisch gesehen wird, sind Autotitel. Sei es wegen der Konjunkturschwäche in China, sei es wegen der doch sehr mühsamen Umstellung auf E-Autos. Sehen Sie hier ein Licht am Ende des Tunnels oder wird es schwierig bleiben?

Bei Autotiteln wäre ich für den Moment eher verhalten. Wir haben wirklich schlechte Zahlen von BMW, von Audi, vor ein paar Wochen schon von VW gesehen. Das sieht alles nicht gerade rosig aus. Zwar könnte man sagen, die Bewertungen sind im niedrigen einstelligen KGV-Bereich, könnte das nicht spannend sein? Aber ich wäre da vorsichtig und würde da noch nicht reinfassen. Das ist für mich wie ein fallendes Messer.

Was sind die größten Probleme für die Branche?

Wir sehen einen massiven Konkurrenzdruck aus China, Überproduktion, eine Subventionierung, die schwierig ist für die deutschen Hersteller. Dazu kommt, dass die Chinesen bei der Technologie heutzutage kein billiger Abklatsch mehr sind, die haben wirklich massiv aufgeholt und teilweise auch die Innovationsführerschaft übernommen, gerade bei der Batterietechnologie. Die deutschen Hersteller haben da eine Herkulesaufgabe vor sich. Ich bin gespannt, wie die Diskussion bezüglich Verbrennerautos weitergeht. Ich denke, dass Technologieoffenheit hier eigentlich der richtige Weg ist. Weniger Regulierung wäre auch gut. Allein schon wegen Trump werden wir Deregulierungsimpulse in Europa sehen müssen. Und wenn wir sie nicht sehen, dann könnte es schwierig werden.

Damit sind wir zum Abschluss wieder beim Thema Politik. Über das Ampel-Aus in Berlin habe ich noch gar nicht mit Ihnen gesprochen. Trotz der Unsicherheiten, die die Märkte an sich nicht mögen, ging es für den Dax am ersten Tag nach dem Aus nach oben. Sind das schon Hoffnungen, dass und was sich möglicherweise ändern könnte?

Rein aus Marktsicht denke ich in der Tat, dass wir eine gewisse Hoffnung sehen, dass sich mittelfristig etwas ändert und dass die Probleme, die wir zweifellos in der Wirtschaft haben, von einer neuen Regierung besser adressiert und angepackt werden. Auch, dass mehr Konstanz reinkommt. Die bisherige Regierung hat ja nicht gerade ein industrie- oder marktfreundliches Auftreten gezeigt. Gewisse Marktvolatilitäten werden aber erstmal bleiben, weil es ein paar Themen auf politischer Seite gibt, die noch nicht ganz klar sind. Wir haben noch nicht viel gehört von Trump, was jetzt direkt angefasst wird. Was passiert noch in Deutschland, bis wir wieder eine handlungsfähige Regierung haben? Das sind so Themen, die der Markt als Unwägbarkeiten einpreist. Und wenn der Markt irgendetwas nicht mag, dann ist das Ungewissheit.

Zur Person: Marc Decker ist Leiter Aktien von Quintet, der Muttergesellschaft der Münchener Privatbank Merck Finck. Decker hat langjährige Erfahrung im Portfoliomanagement, unter anderem bei der DWS sowie bei Meag, der Anlagegesellschaft des Munich-Re-Konzerns. Zudem war er als Portfoliomanager und Vorstand der Fondsboutique Skalis auch unternehmerisch tätig.

Das Interview führte Tobias Möllers.