„Brasilien ist als Hedge interessant“
Alex Wehnert.
Herr Weyerer, Franklin Templeton will sich am umkämpften ETF-Markt unter anderem mit seinen Single-Country-Indexfonds abheben. Doch warum sollten Passiv-Anleger überhaupt auf einzelne Schwellenländer statt ganze Regionen setzen?
Ein Argument ist die Diversifikation. Die Korrelation zwischen den breiten Emerging Markets und den Industrieländer-Märkten ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Konnten Investoren ihre Portfolios in den 1990er Jahren mit einem gewissen Schwellenländer-Anteil noch schnell und einfach diversifizieren, hat die zunehmende Regulierung insbesondere in Asien zu einer stärkeren Integration der globalen Märkte geführt. Einzelne Schwellenländer bieten dagegen durchaus noch Diversifikationspotenzial, das bei der Aggregation von Rohstoffimporteuren wie Südkorea und Exporteuren wie Brasilien und in einem Gesamtindex schlicht verloren geht.
Gerade in Lateinamerika ist indes ein politischer Umschwung nach links spürbar. Inwieweit wird das für gezielte Investitionen in Brasilien zur Gefahr?
Die vergangene Underperformance des FTSE Brazil könnte durchaus auch auf die starken Umfragewerte des Linkspolitikers Lula da Silva vor den Präsidentschaftswahlen im Oktober zurückzuführen sein. Allerdings ist die Unsicherheit vor den Wahlen für die Märkte wohl schädlicher, als es ein Wahlsieg Lulas letztendlich wäre – schließlich ist der ehemalige Präsident nach lateinamerikanischen Maßstäben kein extrem linker Reformer. Langfristig betrachtet sind die Aussichten für Brasilien durchaus positiv.
Inwiefern?
Aufgrund des hohen Fokus der dortigen Wirtschaft auf Rohstoffexporte ist Brasilien als Hedge gegen Inflation und geopolitische Risiken wie den Ukraine-Krieg interessant. Die Notenbank fährt im Kampf gegen die Teuerung zudem einen restriktiven Kurs, weiter steigende Zinsen dürften die Attraktivität des Real für ausländische Investoren noch erhöhen. Auch der hohe Halbleiterbedarf ist für Rohstoffnationen ein Treiber, und zwar nicht nur in Bezug auf Seltene Erden. Außerdem profitiert das Land insgesamt von einem Anziehen des Welthandels, der zu 80% über Schiffe abgewickelt wird. Denn diese brauchen nun einmal Öl.
Wie viel Potenzial entsteht infolge der Halbleiterknappheit noch für Produktionsstandorte wie Südkorea, die bereits eine starke Kursentwicklung hinter sich haben?
Der durch die Pandemie ausgelöste Digitalisierungsschub und der Homeoffice-Trend dürften auch über das Ende der Coronakrise hinaus anhalten, die Halbleiternachfrage sollte hoch bleiben. Mit den USA, China, Taiwan und Südkorea dominieren einige wenige Nationen den globalen Halbleitermarkt, daran dürfte sich wenig ändern. Schließlich kann man Chipfabriken nicht einfach aus dem Boden stampfen, dafür braucht es viel Platz und technologisches Know-how. Zudem muss die Produktion äußerst steril ablaufen. Für die führenden Staaten auf diesem Gebiet bleibt der Halbleiterbedarf also vermutlich bis mindestens 2023 ein Treiber.
Gerade in Bezug auf China haben Sie sich in der Vergangenheit optimistisch geäußert. Inwieweit hat sich das durch die schwache Performance im vergangenen Jahr geändert?
Natürlich gibt es in Bezug auf China mehrere Belastungsfaktoren, sei es die Krise im gesamtwirtschaftlich sehr bedeutsamen Immobiliensektor oder die Regulierungskampagne im heimischen Tech-Sektor. Auch das Geschäft mit Nachhilfeunterricht, dem einst starke Wachstumsraten vorhergesagt wurden, ist nach staatlichen Eingriffen weitgehend tot. Mittel- bis langfristig sind diese wiederkehrenden Regulierungszyklen in China allerdings positiv zu bewerten. Schließlich verfolgt Peking damit das Ziel, langfristig mehr Menschen am Wohlstand zu beteiligen. Ein Wachstum der Mittelschicht und der Wandel Chinas von der Exportnation zum Verbrauchsmarkt ist für Konzerne wie Alibaba und Tencent, die an der Schnittstelle zwischen Technologie und Konsum operieren, äußerst chancenreich.
Die Folge der Regulierung sind allerdings auch erzwungene Abschiede chinesischer Unternehmen von den US-Börsen. Beschneidet das nicht die Möglichkeiten internationaler Anleger, an Chancen in China zu partizipieren?
Zugleich sind ja auch anderweitige Partizipationsmöglichkeiten in den vergangenen Jahren gewachsen, zum Beispiel durch die höhere Gewichtung auf dem chinesischen Festland notierter A-Aktien in internationalen Indizes. Im FTSE China, den wir für unseren ETF nutzen, belief sich die Allokation Ende des vergangenen Jahres auf 23% – im Dezember 2020 lag sie noch bei 16%.
Woran liegt das?
Entscheidender Grund ist die relativ stärkere Performance von A-Aktien. Diese haben sich ab März 2020 seitwärts entwickelt, während es für den breiten Markt nach unten ging. Denn die Regulierungskampagne samt erzwungener Delistings in den USA hat auf Unternehmen mit Festland-Notiz natürlich kaum oder gar keinen Einfluss. Natürlich lassen sich Risiken durch politische Entwicklungen und die wirtschaftliche Rivalität auch hier nie ganz ausschließen. Doch für fundamentale Investoren mit langem Atem bleibt China, auch mit Blick auf die vergleichsweise niedrigen Bewertungen, äußerst chancenreich. Auch hier ist für Anleger die breite Diversifikation über Aktienklassen hinweg ein wichtiger Baustein.
Während Chinas Zentralbank auf Lockerungskurs ist, spielt an den globalen Märkten die Wende hin zu einer restriktiven Geldpolitik eine entscheidende Rolle. Welche Auswirkungen hat das auf Ihre Faktor-ETFs, insbesondere mit Blick auf den Faktor Value?
Für die Federal Reserve besteht großer Handlungsbedarf. Steigende Zinsen sind in der Theorie schlecht für Aktien, doch sind sie auch ein Indikator für eine starke Wirtschaft. Für Value-Titel, die durch eine hohe Dividendenrendite und ein niedriges Kurs-Gewinn-Verhältnis charakterisiert werden, ist das positiv zu werten. Allerdings zeigen Statistiken von MSCI auch, dass Werte mit besonders hoher Dividendenrendite in der Phase des Zinsanstiegs underperformen.
Klingt nach einem gemischten Bild.
Deshalb haben wir keine reinen High-Dividend-Yield-Strategien im Programm, sondern verbinden dies stets mit dem Faktor Qualität. Dieser ist unter anderem durch eine hohe Eigenkapitalrendite bzw. Profitabilität, eine starke Bilanz und einen niedrigen Verschuldungsgrad charakterisiert. Viele Unternehmen, gerade aus dem Versorgungsbereich, zahlen hohe Dividenden aus, halten aber relativ niedrige Gewinndecken und sind hoch verschuldet. Wenn dann die Zinsen steigen, werden die Refinanzierungskosten höher, was die Gewinne auffrisst. Dann kann ein Unternehmen die Dividende nicht mehr halten, ohne sich bezüglich der Investitionen in zukünftiges Wachstum massiv einzuschränken. Für uns steht daher die Nachhaltigkeit der Dividende im Vordergrund.
Wie wirken sich in diesem Zusammenhang enttäuschende Zahlen großer US-Banken aus der Berichtssaison zum Schlussquartal 2021 sowie die Risiken für den Finanzsektor im Zusammenhang mit Russland aus?
Für Dividendenstrategien sind Banken wichtig, weil sie in der Regel relativ viel ausschütten. Natürlich ist in Bezug auf diese Werte immer ein wenig Vorsicht geboten, weil diese in hohem Maß von Marktzyklen abhängig sind – und zwar nicht nur in Bezug auf die Aktienbörsen, sondern auch mit Blick auf Fixed Income. Auch bei einer Kombination aus Dividendenstrategie und Qualitätsansatz hat man natürlich eine Übergewichtung an Finanzwerten, aber im Vergleich zu einem reinen Ausschüttungsfokus mehr stabile Versicherungswerte dabei. Auch für weniger zyklische Retail-Banken dürften steigende Zinsen vor allem in Europa ein Segen sein.
Neben Emerging-Markets- und Faktor-ETFs sind nachhaltige Indexfonds für Franklin Templeton ein wichtiges Standbein. Inwiefern wirkt sich die kontroverse Debatte um die Entscheidung der EU, Atomenergie als nachhaltig einzustufen, auf ESG-Strategien aus?
Allgemein könnte dies Schwierigkeiten in der Abstimmung auslösen. Einige Anbieter haben sich bereits positioniert und mitgeteilt, dass sie Atomenergie weiterhin nicht als ESG-fähig sehen. Andere folgen der Regulierung einfach. Wenn dann noch einzelne Länder wie Deutschland strengere Regeln durchsetzen, entsteht ein Flickenteppich, der dem Grundgedanken einer einheitlichen Taxonomie widerspricht. Für Anbieter entstehen in der Folge Reibungskosten, die auf die Produktkosten durchschlagen und somit letztendlich dem Kunden zur Last gehen. Unsere Paris-aligned-Strategien dürften davon aber weitgehend unberührt bleiben, da diese ja auf einem globalen, übergeordneten Standard basieren, der die ganze Breite der Wirtschaft einbezieht.
Welche Faktoren haben denn in Bezug auf Paris-aligned-Strategien größeren Einfluss?
Ein wichtiger Punkt ist sicherlich, dass Finanzberater und -vermittler nach Plänen der EU-Kommission ab August einer Pflicht zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden unterliegen. Viele Anbieter folgen dem jetzt schon, dennoch wird es im Spätsommer sicherlich noch einen Schub für Nachhaltigkeitsstrategien geben. Hinzu kommt, dass die Ergebnisse der UN-Klimakonferenz in Glasgow nun in die Tat umgesetzt werden müssen. Die Reduktion von Treibhausgasemissionen dürfte nun noch stärker zum dominierenden Thema werden als zuvor, Kapitalströme werden entsprechend umgelenkt. Paris-aligned-ETFs sind deshalb attraktiv, weil sie auf Klimaschutz-konformen Versionen von Standard-Benchmarks basieren und zugleich ein ähnliches Chance-Risiko-Profil aufweisen wie der Ursprungsindex.
Planen Sie zusätzlich ein größeres Engagement bei thematischen ETF-Strategien?
Das ist für uns natürlich interessant, weil wir uns durch den nächsten Indexfonds auf den Dax oder den S&P 500 wenig von anderen Anbietern abheben können. Einige unserer Strategien könnten zu gewissem Grad bereits als thematisch gelten, zum Beispiel die Einzelländer-ETFs. Denn wenn man zum Beispiel eine Lieferketten- oder Halbleiter-fokussierte Strategie verfolgen würde, hätte man vorrangig Aktien aus Korea, Taiwan, China und Brasilien im Portfolio.
Das Interview führte