Das Geld ist ständig in Gefahr
Von Werner Rüppel, Frankfurt
In den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat der Geschichtsprofessor Heinrich Euler an der Universität Würzburg die Vorlesung „Krise als historisches Phänomen“ gehalten. Dabei zeigte der renommierte Wissenschaftler den Studenten auf, dass fast immer Krise war, zu Kriegen addieren sich zahlreiche Staats- und Wirtschaftskrisen. Selbst nach Gründung des Deutschen Reichs 1871 folgte alsbald eine Krise mit Einbruch der Aktienkurse. 1923 kam es in Deutschland zu einer Hyperinflation. Und nach dem Börsenboom der zwanziger Jahre folgte nach dem Schwarzen Freitag 1929 die Weltwirtschaftskrise inklusive des Zusammenbruchs etlicher Banken.
Investoren, die heute an den Märkten tätig sind, erleben derzeit Ähnliches: Krise ist quasi ständig. Soeben hat zum Beispiel die Credit Suisse, immerhin ein Schweizer Institut mit großer Tradition, infolge der Kreditfinanzierung des in Schieflage geratenen US-Hedgefonds Archegos Capital 4,4 Mrd. sfr verloren. Nun ja, welche Gefahren speziell Hedgefonds bergen, das sollten Investoren – und auch die Credit Suisse – seit der Schieflage von LTCM im Jahr 1998 eigentlich wissen. Mitte März ging die Greensill Bank in Insolvenz. Hier werden private Kunden zwar durch den gesetzlichen Einlagenschutz und den Einlagensicherungsfonds des Bankenverbands entschädigt. Dies gilt aber nicht für Städte wie u. a. Pforzheim oder Gießen, die durch die Pleite der Bank millionenschwere Verluste erleiden dürften.
Darüber hinaus strahlt auch die unverhofft hereingebrochene Pandemie aus. Manche Unternehmen wie die Lufthansa wurden vom Staat gerettet. Andere aber nicht. So mussten zum Beispiel die börsennotierten Adler Modemärkte Anfang Januar Insolvenz anmelden. Und dann ist da natürlich noch der Bilanzbetrug und die Insolvenz von Wirecard, einem Unternehmen, das noch dem deutschen Leitindex Dax angehörte, als es im Juni 2020 pleiteging, beziehungsweise als offensichtlich wurde, dass Guthaben in Asien über schlappe 1,9 Mrd. Euro einfach nicht existierten. Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek ist immer noch flüchtig und wird ob des milliardenschweren Betrugs von der Polizei per Steckbrief gesucht (siehe auch Foto). Doch nicht nur mit Wirecard verloren manche Anleger einen Gutteil ihres Vermögens oder gar fast ihr ganzes. Auch die Insolvenz des im grauen Kapitalmarkt angesiedelten Containervermittlers P&R hat im Jahr 2018 viele Investoren getroffen. Denn nahezu 4 Mrd. Euro hatten sie in Containern angelegt.
Über die Finanzkrisen und Pleiten der vergangenen Jahre lässt sich locker ein ganzes Buch schreiben. Auf das Platzen der Neuer-Markt- und Dotcom-Blase von 2000 bis 2003 ist nur wenige Jahre später die Banken- und Subprime-Krise gefolgt, die ihren Höhepunkt in der Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 hatte. Mit der Bankenkrise einher gingen zahlreiche Insolvenzen von ehemals großen Unternehmen wie Enron und Worldcom, General Motors oder Arcandor (Karstadt und Quelle). Hingegen wurden die meisten Banken wie u. a. die Commerzbank vom Staat gerettet.
Bilanzbetrug gibt es öfters
Was auffällt, ist die hohe kriminelle Energie, die an den Finanzmärkten herrscht – was daran liegen mag, dass gerade mit Betrug an denselben viel Geld zu verdienen ist. Bilanzbetrug, das ist nicht etwas, was auf Wirecard beschränkt ist. Das gab es in den Jahren zuvor öfters, wenn nicht gar häufig. Zum Beispiel am Neuen Markt, wo u. a. Comroad Geschäfte in Asien erfand. Oder eben bei Worldcom und Enron. Betrügerische Aktivitäten waren übrigens auch bei P&R im Spiel.
Und auch die Fondsindustrie hat Erfahrung mit Betrug. Der Finanzschwindel von Bernie Cornfeld mit seiner IOS hat die Branche über Jahre belastet. Dass Hedgefonds pleitegehen, das ist immer noch an der Tagesordnung. Und immer wieder tauchen Betrüger mit Schneeballsystemen und Scheingewinnen auf. In den USA wurde Bernie Madoff im Dezember 2008 verhaftet und dann im Juni 2009 zu einer Haftstrafe von 150 Jahren verurteilt. Im Oktober 2009 wurde Helmut Kiener, der damals in Aschaffenburg-Schweinheim wohnte und dort die örtliche Kirchengemeinde großzügig unterstützte, verhaftet. Kiener hatte u. a. Fondsabrechnungen mittels des Einsatzes eines Fotokopierers gefälscht. Und weltweit renommierte Banken sind auf solche Betrügereien des ausgebildeten Psychologen und Sozialpädagogen hereingefallen.
Investoren, die durch Finanzkrisen, Pleiten und Betrügereien geschädigt wurden, das sind übrigens nicht allein Privatanleger. Zahlreiche Banken inklusive staatlicher Landesbanken haben in US-Subprime investiert. Etliche Kreditinstitute wie u. a. die Commerzbank, die ING oder die LBBW haben Wirecard großzügig Kredit gewährt. Und Kommunen haben nicht nur bei Greensill, sondern auch bei anderen Fehlinvestments das Geld ihrer Bürger eingebüßt.
Doch was können Investoren nun aus all diesen Krisen lernen, und wie können sie es vermeiden, dass sie hohe Verluste erleiden oder gleich alles verlieren? Von den Aufsichtsbehörden dürfen sie dabei eher wenig erwarten, diese werden meist erst tätig, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. In Deutschland hat die BaFin zuletzt zumindest bei Wirecard und auch bei P&R leider nicht entsprechend frühzeitig eingegriffen, obwohl es durchaus Hinweise auf betrügerische Machenschaften gab. Vielleicht sollte die BaFin die ökonomische und analytische Kompetenz der Bundesbank künftig stärker nutzen, das könnte helfen. Ob die US-Aufsicht besser ist, darf bezweifelt werden. Enron, Worldcom oder Subprime und Madoff sind in erster Linie US-Finanzskandale. Allerdings sind die Haftstrafen für Betrüger in den USA höher als hierzulande.
Ein zentraler Ratschlag lautet, sich selbst eine Meinung über Firmen und Investments zu bilden und nicht allein auf Ratingagenturen, Wirtschaftsprüfer oder die Urteile von Analysten zu hören. Lehman hatte vor der Insolvenz ein positives Rating von S&P, das hat aber der in Zertifikaten der Investmentbank engagierten „Lehman-Oma“ nichts genutzt. In der gesamten Subprime-Krise haben die Ratingagenturen weitgehend versagt. Auch bei der Beurteilung von Mittelstandsanleihen in Deutschland und der Greensill Bank haben die Agenturen kein gutes Bild abgegeben, wobei dies aber nicht die großen internationalen Häuser, sondern die kleineren deutschen Agenturen waren.
Aktienanalysten agieren häufig prozyklisch. So wurde zum Beispiel am Neuen Markt Comroad mehrfach vor der Pleite empfohlen. Bei Wirecard war es ähnlich. Wobei allerdings ausgewählte Credit- und Aktienanalysten wie eine Expertin der Bayerischen Landesbank durchaus intern (oder mitunter auch extern) vor Engagements bei dem Zahlungsdienstleister warnten. Insgesamt sollten die Urteile von Ratingagenturen sowie von Analysten aber allenfalls als Meinungsäußerungen gesehen werden.
Damit sich Investoren umfassend über Investments oder Aktiengesellschaften informieren können, gibt es inzwischen reichlich Möglichkeiten. Hierzu zählen Branchenstudien, Geschäftsberichte mit Bilanzen und Anhang und eben auch unabhängige Medien wie gute Finanzzeitungen. Bei vielen Skandalen wurde in der Presse frühzeitig gewarnt. Dass der Neue Markt nichts anderes als eine Blase ist, hat Daniel Schauber im Sommer 2000 in dieser Zeitung im Leitartikel „Schöne Geschichten“ aufgezeigt. Den Comroad-Skandal hat die damals für „Börse Online“ tätige Journalistin Renate Daum aufgedeckt. Und dass es sich bei Wirecard um Betrug handelt, war frühzeitig in der „Financial Times“ zu lesen.
Warren Buffett ist dafür bekannt, dass er nur in profitable Unternehmen investiert, deren Geschäftsmodelle er auch versteht. Buffetts Erfolg über Jahrzehnte unterstreicht, dass dieser Ansatz richtig ist. Kein Anleger muss in ein Unternehmen investieren, das er nicht versteht. Und wenn Zweifel bestehen, dann ist es immer sicherer, nicht einzusteigen.
Heiße Wetten bei Wirecard
Leider halten sich auch Investmentprofis nicht an die Grundregel der Risikobegrenzung, nämlich Anlagen möglichst breit und über mehrere Assetklassen zu streuen. Ein solches Vorgehen senkt das Risiko eines Portfolios merklich. Aber bei Wirecard sind selbst renommierte Fondsmanager heiße Wetten auf den Titel eingegangen. Dass der Aufbau von Leverage das Risiko deutlich erhöht, ist gleichermaßen bekannt, wird aber vielfach wenig beachtet.
Überhaupt haben viele Investoren nur die Performance im Blick, über Risiken wird viel weniger gesprochen. Ein phänomenaler Wertzuwachs in der Vergangenheit – wie zum Beispiel aktuell bei Bitcoin oder Tesla – sollte doch eher ein Grund sein, vorsichtig zu agieren, als jetzt unbedingt groß einzusteigen.
Doch kehren wir zurück zu Professor Euler. Studenten haben in seiner Vorlesung auch gelernt, dass es nach heftigen Finanzkrisen häufig zu einer unverhofft kräftigen Erholung kommt. So war es nach der Subprime-Krise und auch nach dem Corona-Einbruch im vergangenen Jahr.