Der Yen könnte 2023 zu den Gewinnern zählen
Von Sven Schubert *)
Es sieht danach aus, dass der Yen seinen Titel als schwächste G10-Währung in diesem Jahr verteidigen könnte. Derzeit liegt der Yen mit einem Minus von 17% zum Dollar an letzter Stelle, weit abgeschlagen hinter der zweitschwächsten G10-Währung: der schwedischen Krone, die um 13% zurückgesetzt hat. Aufgrund seiner schwachen Performance in einem Jahr, in welchem Sicherheit mehr denn je gefragt war, haben die Yen-Pessimisten der japanischen Währung sogar den Status des „sicheren Hafens“ abgesprochen.
Diese Sicht dürfte nicht nur übertrieben sein, sondern auch das Erholungspotenzial des Yen für die kommenden zwölf Monate unterschätzen. Denn seine Schwächephase der vergangenen beiden Jahre ist extremen Sondereffekten und den Folgewirkungen der japanischen Deflationserfahrungen aus den 1990er Jahren geschuldet.
Die seit zehn Jahren praktizierte ultralockere Geldpolitik der japanischen Zentralbank ist für die erste Abwertungsphase gegenüber dem Dollar um 39% zwischen 2012 und 2015 und die zweite um 31% zwischen 2021 und Oktober 2022 hauptverantwortlich. Seit Februar 2007 hat Japan als einziges Land der Industrie- und größeren Schwellenländer seine Leitzinsen nicht ein einziges Mal erhöht.
Historischer Hintergrund
Um die Geldpolitik Japans zu verstehen, ist ein Blick auf die 70er und 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts notwendig, welche durch den Handelskrieg zwischen den USA und Japan gezeichnet waren. Die damalige hohe japanische Produktqualität sowie protektionistische Maßnahmen der japanischen Regierung in den 1960er Jahren sorgten für den Erfolg japanischer Firmen auf dem Weltmarkt, zum Nachteil von US-Produzenten.
Der resultierende Außenhandelsüberschuss und das überdurchschnittlich hohe Wirtschaftswachstum sorgten nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems fixer Wechselkurse für eine beispiellose Aufwertung des Yen. Diese dauerte bis weit in die 1970er Jahre an, auch weil der Druck der US-Behörden den Erfolg japanischer Unternehmen vorerst kaum schmälerte. Erst mit konzertierten G5-Interventionen zwischen 1985 und 1987 und einer Yen-Aufwertung von 250 auf 120 Yen per Dollar wurde die Vormachtstellung japanischer Unternehmen gebrochen.
In Kombination mit der platzenden japanischen Immobilien- und Börsenblase in den frühen 1990er Jahren sorgte die Aufwertung indes für eine lang anhaltende Deflationsepisode, welche über die Zeit einen selbstverstärkenden Aufwertungsdruck zur Folge hatte. Schließlich sorgt eine nachhaltig tiefe inländische Inflation für Kaufkraftgewinne heimischer Unternehmen und so tendenziell für Aufwertungsdruck.
Allerdings sorgt Deflationsdruck auch für ein unfreundliches Unternehmensklima bei auf den Binnenmarkt ausgerichteten Firmen. Denn wer will schon in die Güterproduktion investieren, wenn die Preise der produzierten Güter in der Zukunft tiefer sind? Das setzte eine gefährliche Spirale tieferen Wachstums und Deflationsdrucks in Gang.
Diese Erfahrung prägt bis heute die japanische Geldpolitik und lässt die Zentralbank noch an der Zinskurvenkontrolle festhalten. Die Betonung liegt aber auf „noch“. Zwar bleibt die überalterte Gesellschaft ein deflationäres Element. Jedoch ist auch in Japan ein langsam zunehmender Inflationsdruck auszumachen. So ist nicht nur die Konsumentenpreisinflation mit 3,8% auf dem höchsten Stand seit den 1980er Jahren. Auch der Arbeitsmarkt befindet sich im Bereich der Vollbeschäftigung.
Enger Arbeitsmarkt
Ein Blick auf die Arbeitsbeteiligung verschiedener Altersgruppen verrät, dass insbesondere bei den 25- bis 60-Jährigen eine Beteiligung von 80% bis teilweise über 90% zu beobachten ist, was ebenfalls auf einen extrem „engen“ Arbeitsmarkt hindeutet. Das Verhältnis von Stellenausschreibungen zu Bewerbern ist von 1,3 mittlerweile auf Niveaus angestiegen, welche in der Vergangenheit für Lohndruck gesorgt haben. Somit besteht für das Jahr 2023 Hoffnung, dass die japanische Zentralbank ihre Zinskurvenkontrolle lockert.
Neben einer möglicherweise weniger expansiven japanischen Geldpolitik spricht ein weiterer Faktor dafür, dass der Yen im Jahr 2023 zu den Gewinnern zählen könnte. Insbesondere gegenüber dem Dollar, da der über die kommenden Monate weniger aggressiv werdende Zinserhöhungszyklus der US-Notenbank dem Greenback ein wesentliches Aufwertungsargument nehmen dürfte. Zwar verkompliziert die Unsicherheit über den Höhepunkt des US-Leitzinses den optimalen Einstiegszeitpunkt beim Yen. Allerdings dürfte das Ende des Zinserhöhungszyklus bei ca. 5% bereits Anfang 2023 erreicht sein. Die Kaufkraftparität sieht den fairen Wert des Yen gegenüber dem Dollar bei knapp 90 Yen pro Dollar.
Gegenüber dem Euro dürfte der Yen 2023 weniger Aufwertungspotenzial haben, da der Euro selbst von einem Ende des US-Zinserhöhungszyklus profitieren würde. Allerdings spricht die Rally europäischer Aktien über die vergangenen beiden Monate für ein von den Investoren ausgeblendetes Rezessionsrisiko. So dürften die gefüllten europäischen Energielagerbestände darüber hinwegtäuschen, dass kältere Temperaturen Anfang 2023 für eine stark steigende Energienachfrage sorgen könnten. Und das in einer Phase, in der Russland als Lieferant wegen Boykotts nicht zur Verfügung steht.
Sinkende Zinsdifferenzen
Erneut steigende Rezessionsängste dürften dem Yen umso mehr in die Karten spielen, da Zinsdifferenzen wohl schrumpfen werden. Dies dürfte die Pessimisten, welche dem Yen den Status des „sicheren Hafens“ absprechen, wohl verstummen lassen.
*) Sven Schubert ist Senior Investment Strategist bei Vontobel.