„Die Aussichten für Growth-Aktien erscheinen attraktiv“
Alex Wehnert.
Herr Ellison, die Europäische Zentralbank signalisiert eine erste Zinserhöhung im Juli. In welchem Ausmaß dürfte infolge eines solchen Schritts noch Druck auf Aktien aus Ihrem Anlageuniversum entstehen?
Beim Threadneedle European Select liegt unser Fokus auf europäischen Unternehmen mit globalen Geschäften. Das bedeutet, dass nicht nur die EZB, sondern vielmehr das globale Umfeld relevant ist. Nestlé oder SAP sind ja auf der ganzen Welt aktiv. Die Zinssätze der Europäischen Zentralbank spielen für ihre Geschäfte also eine geringere Rolle als für Gesellschaften mit europäischem Fokus. Langfristig betrachtet sind Aktien die einzige liquide Anlageklasse, die Renditen oberhalb der Inflationsrate erzielen kann – sicherlich besser als Anleihen. Für den Gesamtmarkt glauben wir, dass die aktuelle geldpolitische Kontraktion lediglich einen kurzfristigen Schock darstellt, der zu großen Teilen bereits in den niedrigeren Aktienkursen eingepreist ist.
Können Sie das genauer ausführen?
Die Europäische Zentralbank muss ein Gleichgewicht zwischen der Bekämpfung der Inflation und der Stützung der Wirtschaft finden. Schließlich sind die aktuell vorherrschenden Rezessionsrisiken nicht zu leugnen. Wenn die Federal Reserve die Zinssätze weiter rapide erhöht, wächst zwar der Druck auf die EZB. Denn ein schwacher Euro dürfte wesentlich zu weiteren Anstiegen der Teuerung beitragen. Allerdings gehe ich davon aus, dass die Rezessionsgefahren die Inflationsanstiege in der Betrachtung der Währungshüter überwiegen werden, da der Konsum stark unter Druck steht. Deshalb dürfte die EZB mittelfristig zu ihrer alten Geldpolitik zurückkehren.
Inwieweit dürfte dies den zuletzt gebeutelten Growth-Werten wieder Schwung verleihen?
Die jüngste Rotation in Richtung Value ist sicherlich in hohem Maß auf die Bewertungsmodelle zurückzuführen, die in der Assetmanagement-Branche und bei anderen institutionellen Investoren verbreitet sind. Denn diese beruhen auf einer Analyse des Discounted Cash-flow. Wenn die Zinssätze steigen, erhöht dies auch die Finanzierungskosten und den Diskontierungssatz und belastet somit die Bewertungen. Wir haben innerhalb unserer DCF-Betrachtung allerdings schon immer einen konservativeren Ansatz verfolgt und dabei längerfristige Zinssätze zugrundegelegt. Deswegen hat uns die aktuelle Entwicklung nicht wirklich überrascht. Und auf dieser Grundlage erscheinen eben auch die Aussichten für Growth-Aktien attraktiver.
Wie beurteilen Sie das Potenzial europäischer Technologiewerte im Vergleich zu jenem ihrer US-Pendants?
Das Coronavirus und der Work-from-Home-Trend haben dem Segment enormen Schwung verliehen, der bei europäischen Werten in den vergangenen Jahren sicher noch weniger stark zu spüren war als bei US-Titeln. Im Zuge der Pandemie wurden indes nur langfristige Trends beschleunigt, viele Treiber für Technologiewerte dürften auch über die Coronakrise hinaus intakt bleiben. Neben dem Homeoffice fallen auch die Automatisierung der Produktion und die Integration verschiedener Software-Systeme darunter. Europäische Aktien, beispielsweise aus der Halbleiterbranche, weisen dabei noch niedrigere Bewertungen auf als ihre US-Pendants und dürften somit auch mehr Aufwärtspotenzial besitzen.
Allerdings besteht mit dem Ukraine-Krieg ein Belastungsfaktor, der die europäische Wirtschaft stärker belasten dürfte als die amerikanische.
Das stimmt, wir gehen aber dennoch nicht davon aus, dass die aktuellen Lieferkettenschwierigkeiten und die hohen Energiepreise ein dauerhaftes Problem darstellen. In den jüngsten Quartalsberichten gab es nur wenige negative Überraschungen. Zudem stehen große Veränderungen in der Struktur der Rohstoffmärkte bevor, durch die sich die Abhängigkeit des Westens von russischen Energielieferungen reduzieren dürfte.
Wie wirkt sich das konkret auf Werte aus einzelnen Branchen aus?
Von dieser Entwicklung werden Aktien von Industrieunternehmen profitieren, die wichtige Komponenten für den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Wasserstoffwirtschaft liefern. Dazu zählt zum Beispiel die Metallbranche, in der auch das Wachstum bei der E-Mobilität zu einer steigenden Nachfrage führt. Für Elektroautos wird zudem viel Kunststoff benötigt, so dass die Produzenten in diesem Segment ebenfalls Vorteile genießen dürften. Auch die Halbleiterbranche zählt sicherlich zu den Profiteuren der Mobilitätswende.
Welchen Einfluss dürften die E-Mobilität-Bemühungen der europäischen Autohersteller denn noch auf deren Aktienkurse entfalten?
Mit Tesla kommt der Vorreiter in Bezug auf die E-Mobilität natürlich aus den USA. Doch während die Aktie sehr teuer ist, gibt es in der europäischen Automobilbranche interessante Gelegenheiten. Die deutschen Konzerne profitieren zusätzlich von ihren diversifizierten Geschäftsmodellen über andere Antriebsklassen hinweg und sind in Bezug auf Elektrofahrzeuge besser positioniert als die großen US-Autobauer oder ihre japanischen Pendants. Aber auch innerhalb Europas besitzen sie zum Beispiel Vorteile gegenüber den französischen Fahrzeugherstellern.
Welche Auswirkungen haben die harten Corona-Gegenmaßnahmen in China noch auf die Kurse der europäischen Autobauer?
Für hiesige Automobilwerte spielt die chinesische Anti-Corona-Strategie sicherlich eine besondere Rolle. Nicht nur aufgrund der gestörten Lieferketten, sondern weil die Volksrepublik für sie auch ein wichtiger Absatzmarkt ist. Natürlich sind die Coronasorgen noch nicht zu Ende, wir sehen aber langsam ein Licht am Ende des Tunnels. Schanghai steigt nun ja aus dem Lockdown aus. Dies dürfte einen wirtschaftlichen Aufschwung nach sich ziehen, der auch an den Aktienmärkten für Beruhigung sorgen sollte.
In einigen Branchen, zum Beispiel im Luxussektor, hat sich durch den Wegfall der chinesischen Nachfrage in Coronazeiten der Fokus auf andere Märkte verlagert. Wird sich dieser Trend wieder umkehren?
Für Luxusanbieter ist es in jedem Fall wichtig, ein flexibles Geschäftsmodell zu besitzen und auf eine veränderte Nachfragesituation reagieren zu können. Das hat sich während der Pandemie gezeigt: Je stärker ein Unternehmen die wegfallende Nachfrage aus China in einem anderen Markt auffangen konnte, desto attraktiver war es als Investment. Anleger müssen aber auch bedenken, dass die entsprechenden Fähigkeiten von der jeweiligen Produktklasse abhängen. Hersteller von Luxusspirituosen wie Cognac können sich beispielsweise schneller auf neue Zielmärkte ausrichten als Luxusautobauer, weil diese mit deutlich höheren Frachtkosten und einem schärferen Markenwettbewerb umgehen müssen.
Sollten Investoren eher auf große Luxuskonzerne setzen, die in vielen Segmenten vertreten sind, als auf spezialisierte Anbieter?
Für die großen Luxuskonzerne ist ihre breite Produktpalette sicherlich von Vorteil. Denn diese gibt ihnen die Möglichkeit, neue Kundensegmente anzuzapfen, ohne die exklusive Aura ihrer Premiummarken zu beschädigen. Dagegen verfügen Nischenanbieter über eine wesentlich kleinere Kundenbasis und damit auch über geringere Reaktionsmöglichkeiten in Krisenzeiten.
Geht die Schere im Luxussegment also weiter auseinander?
Das beobachten wir aktuell durchaus. Kleinere Anbieter sind nicht in der Lage, einen ähnlich hohen Kapitaleinsatz für die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen zu erbringen wie die großen Branchenvertreter. Dabei ist die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens gerade im Luxussektor sehr bedeutend. Für Modeartikel und Accessoires wie Uhren wird die Qualität der verbauten Technologie zunehmend wichtiger. Hinzu kommt der Nachhaltigkeitstrend, der für die Luxusbranche ebenfalls massiv an Bedeutung gewinnt. Auch hier besitzen die großen Anbieter deutlich größere Investitionsmöglichkeiten, um das Recycling und andere Prozesse innerhalb ihrer Lieferketten zu optimieren.
Auch für die großen Branchenvertreter dürften aber die Kosten steigen. Welche Rolle spielt die anziehende Inflation nun für Luxusinvestments?
Der Vorteil bei Investitionen im Luxussektor ist ja gerade die Preissetzungsmacht der meisten Unternehmen. Wenn diese nicht gegeben ist, würden wir als Investoren uns zu abhängig von der Entwicklung der Teuerung und damit auch der Energiepreise machen. Der Vorteil bei Luxuskonzernen ist, dass diese die steigenden Kosten im Regelfall an die Kunden weiterreichen können, Investitionen in diese Titel stellen also eine Inflationsabsicherung dar. Damit sind Anlagen in Luxuswerte auch langfristig interessant – und wir versuchen ohnehin immer, die langfristigen Aussichten eines Investments zu beurteilen. In unserem European Select Fund sind insgesamt sechs Werte enthalten, die schon seit 2007 zum Portfolio gehören.
Birgt ein solch langer Anlagehorizont nicht auch die Gefahr, dass sich ein Portfoliomanager zu stark an bestimmte Aktien bindet und den Zeitpunkt zum Verkauf verpasst?
Das ist nicht auszuschließen. Allerdings müssen wir uns auch fragen, was wir mit unseren Investitionen erreichen wollen. Als aktiver Investor wollen wir auf Verbesserungen der Unternehmensstrategie hinwirken – dies ergibt aber nur mit einem langfristigen Fokus Sinn. Wenn wir mit dem Kurs des Managements nicht zufrieden sind, können wir als Aktionär Einfluss darauf nehmen, zum Beispiel indem wir unser Stimmrecht aktiv ausüben. Im vergangenen Jahr haben wir auf 50% der Hauptversammlungen gegen mindestens einen Antrag gestimmt. Wenn uns ein Geschäftsmodell aber gar nicht mehr gefällt, dann verkaufen wir die Aktie auch wieder.
Das Interview führte