Europas Gasversorgung bleibt prekär
Europas Gasversorgung bleibt prekär
Analysten der Bank of America rechnen mit steigenden und volatilen Preisen – Ukraine will Durchleitung von russischem Erdgas per Pipeline beenden
Nach Einschätzung der Analysten der Bank of America wird es nicht bei der reichlichen Erdgasversorgung Europas und den relativ niedrigen Preisen bleibt. Sie rechnen mit Knappheit, Volatilität und steigenden Notierungen. Dazu trägt bei, dass die Ukraine ab 2025 kein russisches Gas mehr durchleiten will.
ku Frankfurt
Die Gasspeicher in Deutschland und der gesamten EU sind schon deutlich vor dem Winter weitgehend gefüllt. In Deutschland beträgt der Füllstand aktuell etwas mehr als 95%, was die gesetzlichen Vorgaben übererfüllt. Europaweit sind sind die Speicher zu 93,2% voll. Dementsprechend ist das Preisniveau am europäischen Spotmarkt für Erdgas, dort am virtuellen niederländischen Übergabepunkt Titel Transfer Facility (TTF), relativ entspannt. Der Monatskontakt wird derzeit an der Intercontinental Exchange zu 35,65 Euro je Megawattstunde gehandelt. Dies ist zwar deutlich mehr als im Februar, als der Preis unter 25 Euro fiel, sowie erst recht höher als vor dem Beginn der europäischen Energiekrise, als über mehrere Jahre ein Niveau von 20 Euro üblich war. Insofern stellt die aktuelle Lage nach wie vor eine erhebliche Belastung für die – noch vorhandene – europäische Industrie dar. Allerdings liegen die Notierungen weit unter dem Niveau auf dem Höhepunkt der Krise von mehr als 300 Euro.
Trugschluss der Europäer
Es wäre gleichwohl ein Trugschluss, daraus abzuleiten, dass die europäische Gasversorgung gesichert ist und dass die Gaspreise auf dem aktuellen Niveau bleiben werden. Wie die Rohstoffanalysten der Bank of America anmerken, bietet der hohe Füllungsgrad der EU-Gasspeicher nur eine trügerische Sicherheit. Sie weisen darauf hin, dass das zweimal in Folge warme Winterwetter dafür gesorgt hat, dass der Gasmarkt quasi in überschüssigen Gasbeständen schwimmt, was zu dem genannten Preisverfall im Februar geführt habe. Seither habe allerdings eine Mischung aus Angebotsausfällen, starker Nachfrage und geopolitischen Risiken beinahe für eine Verdoppelung des Preises gesorgt. Die bisherige Preisspitze im laufenden Jahr von rund 42 Euro ergab sich Anfang August, als die Gefahr bestand, dass es aufgrund der Kriegsereignisse in der Ukraine und im russischen Gebiet Kursk zu einem Ausfall der noch vorhandenen russischen Lieferungen von Pipeline-Gas durch die Ukraine kommen könnte.
Aktuell importiert die EU immer noch rund 8% ihres gesamten Erdgases über Pipeline aus Russland. Derzeit werden über die Pipeline mit Übergabe an der Grenzstation Sudzha im Gebiet Kursk im bisherigen Jahresverlauf durchschnittlich 42 Mill. Kubikmeter Erdgas von Russland über die Ukraine nach Europa geliefert. Es wird erwartet, dass die Ukraine diesen Transport ab Anfang Januar blockiert, da sich die ukrainische Regierung weigert, einen neuen Vertrag über die Durchleitung des Erdgases zu unterzeichnen, offenbar um weiteren Druck auf die Europäische Union auszuüben. Durch die ukrainische Offensive im russischen Gebiet Kursk besteht sogar die Gefahr, dass die Lieferungen noch früher gekappt werden. Zusätzlich gibt es noch russische Gaslieferungen über die Pipeline Turkstream, wobei es aber nach Einschätzung der Analysten der Bank of America unwahrscheinlich ist, dass über diese Strecke noch wesentlich höhere Mengen kommen können.
Risiken in Frankreich
Nach Einschätzung der Bank of America kann es dann zu deutlich höheren Preisen kommen, wenn es einen kälteren Winter gibt mit höherem Heizungsbedarf, wenn gleichzeitig die Lieferungen russischen Gases durch die Ukraine blockiert werden und wenn kriegsbedingt oder durch Entscheidung der ukrainischen Regierung die EU nicht auf die ukrainischen Gasspeicher zugreifen kann. Es ist nämlich nicht so, dass die Gasspeicher in der EU den gesamten Bedarf bis zum Frühjahr abdecken können. Risiken sehen die Analysten auch darin, dass viele französische Atomreaktoren wegen Wartungsarbeiten abgeschaltet werden könnten, sodass stärker auf fossile Energien wie Gas zum Heizen zurückgegriffen werden muss, was den Marktpreis weiter erhöhen würde. Die Experten der US-Großbank weisen außerdem darauf hin, dass es auch in den USA zu Produktions- und Exportausfällen gekommen ist.
Verschärft wird die Lage dadurch, dass die Ukraine künftig kein russisches Erdöl mehr über Pipeline in die Slowakei und Ungarn durchleiten will. Außerdem ist innerhalb der EU immer wieder gefordert worden, dass kein russisches LNG-Erdgas über Tanker mehr importiert werden soll. In Kombination aus LNG und Pipeline-Gas war Russland wieder der wichtigste Lieferant der EU vor den USA. Mit einem Boykott würde sich die EU daher selbst hart treffen. Davon ist allerdings momentan auch nicht mehr die Rede, nur der Re-Export von russischen LNG aus der EU ist verboten worden.
Gespräche laufen
Derzeit laufen Gespräche, wie weiter Gas über ukrainische Pipelines in die EU gelangen könnte. Die Ukraine bietet an, Gas aus Kasachstan, Aserbaidschan und Usbekistan in die EU durchzuleiten. Dem müsste allerdings Russland zustimmen, da das Gas auch durch russische Pipelines fließen müsste. Zudem gehen die meisten Analysten davon aus, dass Kasachstan und Usbekistan kaum zusätzliche Gasmengen zur Verfügung stellen können. Was Aserbaidschan betrifft, so ist das Verhältnis zur EU nicht besonders gut, weil die EU der Regierung des Landes Menschenrechtsverletzungen vorwirft und sich in der Auseinandersetzung mit Armenien auf die armenische Seite stellt. Zudem sind auch die in Aserbaidschan verfügbaren Mengen laut Analysten wohl zu gering, um das russische Gas vollständig zu ersetzen. Zu rechnen ist daher mit einer wieder deutlich steigenden Volatilität am europäischen Gasmarkt und zeitweilig deutlichen Anstiegen, was den Gaspreis für europäische Unternehmen längerfristig vollkommen unkalkulierbar macht.