„Wir sind nicht überrascht, dass Europa das Jahr stärker beginnt“
IM INTERVIEW: GILLES GUIBOUT
„Nicht überrascht, dass Europa das Jahr stärker beginnt“
Axa-Stratege sieht bessere Perspektiven als in den USA – Marktführer im Fokus – Banken und Basiskonsum bieten aktuell Chancen
Axa-Aktienchef Gilles Guibout sieht einige Chancen bei europäischen Aktien. Warum die Aktienmärkte hier stärker in das Jahr gestartet sind als die in den USA, erklärt er im Interview der Börsen-Zeitung. Trumps Zölle machen Guibout keine großen Sorgen, dennoch setzt der Stratege auch auf defensive Sektoren.
Herr Guibout, Sie sind Aktienexperte mit dem Fokus auf Europa. Dennoch müssen wir zum Einstieg kurz über die USA sprechen. Dort hat Donald Trumps zweite Amtszeit begonnen. Welche Auswirkungen erwarten Sie von dessen Politik für deutsche und europäische Unternehmen?
Optimistisch gesprochen, würde ich sagen, die Auswirkungen könnten letztendlich positiv sein. Und zwar, weil es die europäische Politik vor ihre Verantwortung stellen wird. Und sie sich so gezwungen sieht, die europäische Gemeinschaft zu verbessern. Wenn man sich Trumps erste Reden anhört, könnte das auch eine Chance für Europa sein. Zunächst bleiben aber natürlich Fragezeichen, was die Auswirkungen der Zölle angeht.
Bereiten Ihnen die Zölle Sorgen?
Wir sind nicht allzu besorgt. Wenn wir uns die europäischen Unternehmen ansehen, dann sind diese überwiegend global ausgerichtet und haben auch bereits Vermögenswerte in den USA. Unternehmen wie beispielsweise Prysmian (weltgrößter Kabelhersteller aus Italien, Anmerkung der Redaktion) oder Publicis (französischer Werbedienstleister und Medienkonzern, Anmerkung der Redaktion). Die einen verkaufen Kabel, die anderen Werbung für und in den USA.
Also sind die Zölle kein Problem für europäische Unternehmen?
Zölle könnten sich etwa auf Luxusprodukte auswirken. Aber wenn es um Luxusprodukte geht, ist die gute Nachricht, dass diese eine gewisse Preissetzungsmacht haben und so die Auswirkung abmildern können, weil ihre Kunden weniger preissensitiv sind. Grundsätzlich gilt, dass das, was Trump seit seiner Wahl angekündigt hat, nicht schlimmer ist als das, was erwartet wurde und bereits vorher von ihm angekündigt wurde. Aber natürlich können Zölle tendenziell den Welthandel reduzieren und sich damit auch negativ auf das globale BIP-Wachstum auswirken. Negativ für Europa ist, dass sich europäische Unternehmen vielleicht am weitesten für den Rest der Welt geöffnet haben und sie darum empfindlicher auf das globale BIP reagieren. Viele US-Unternehmen sind eher auf den heimischen Markt ausgerichtet.
Wegen oder vielleicht auch trotz Trump haben die europäischen Aktienmärkte in diesem Jahr bisher besser abgeschnitten als ihre amerikanischen Pendants. Hätten Sie das erwartet?
Um ehrlich zu sein, ja. Wir haben schon bei unserem Ausblick für dieses Jahr gesagt, dass wir für Europa eine potenzielle Rendite von 7–10% erwarten, die sich aus 3–4% EPS-Wachstum für 2025 zusammensetzt und aus fast 4% Dividendenrendite für europäische Unternehmen. Damit sind wir also bereits bei fast 8%. Und angesichts der Tatsache, dass wir von der EZB Zinssenkungen erwarten und die Inflation weiter sinkt, sollten wir mit einer Steigerung der Rendite rechnen. Das aktuelle KGV für europäische Unternehmen liegt bei 13,5, was dem langfristigen Durchschnitt entspricht. In einem Umfeld von einem niedrigen Zinssatz von 2% können wir aber vielleicht einen etwas höheren Multiplikator rechtfertigen. Zudem könnte ein Ende des Krieges in der Ukraine eine Reduzierung des Risikoniveaus in Europa bringen. Ein weiterer Faktor, der einen positiven Einfluss haben könnte, wäre, wenn eine neue deutsche Regierung vielleicht mehr Defizite akzeptiert.
Haben Sie auch ein pessimistisches Szenario?
Ja, natürlich. Trumps Politik könnte wirklich das globale BIP entgleisen lassen, wenn auch vielleicht nicht mehr in diesem Jahr. Und wenn wir das globale BIP nach unten revidieren müssen, dann sehen wir auch für Europa ein anderes Szenario. Aber das ist nicht das, was wir jetzt erwarten. Wenn man sich den US-Markt anschaut, dann ist dieser bereits sehr hoch bewertet. Dazu kommt, dass die Fed zurückhaltender bei Zinssenkungen sein wird. Der US-Markt ist daher für weitere Steigerungen hauptsächlich auf EPS-Wachstum angewiesen, und wir erwarten hier keine große Expansion der Marktbewertungen. Das spricht für Europa ,und daher sind wir auch nicht überrascht, dass Europa das Jahr stärker beginnt. Zuletzt hat Richemont Ergebnisse präsentiert, die über den Erwartungen lagen. Auch der starke Dollar ist positiv für europäische Unternehmen, weil er auch all jenen Unternehmen zugutekommt, die auf dem US-Markt aktiv sind, und so das Umsatzwachstum ein wenig ankurbelt.
Sie haben bereits die Wahlen in Deutschland erwähnt. Deutschland und auch Frankreich gelten momentan als die kranken Männer Europas. Was erwarten Sie von den Wahlen in Deutschland?
Das deutsche Wirtschaftsmodell steht vor einigen Herausforderungen. Eine Lockerung der Null-Defizit-Politik könnte helfen, diese Herausforderungen zu meistern. Deutschland braucht zum Beispiel große Investitionen in die Stromnetze. Eines der Probleme des deutschen Modells war der lange billige Strompreis, der auf dem billigen Gaspreis basierte. Wenn wir nun aber die Strompreise senken wollen, dann brauchen wir viel bessere Stromnetze. Da wir in Europa eine große Menge an erneuerbaren Energien haben, bedeutet das, dass wir massive Investitionen in die Netze brauchen. Wenn Deutschland hier aufrüstet, könnte sich das positiv auswirken und sogar einen Multiplikatoreffekt geben. Da Deutschland das größte Land in Europa ist, könnte das für ganz Europa positiv sein.
Und wie schätzen Sie die Lage in Frankreich ein?
Aktuell hat niemand mehr eine Mehrheit. Auch nicht die extrem linken oder extrem rechten Parteien. In Deutschland sind Sie viel vertrauter mit Koalitionen als wir in Frankreich. Aber vielleicht müssen auch wir Franzosen das lernen, denn es würde mich nicht wundern, wenn sich eine solche Situation in der Zukunft wiederholt.
Dennoch bleiben Sie für europäische und auch für französische Unternehmen optimistisch?
Wenn wir uns alle französischen Unternehmen ansehen, sind nur 15% der Verkäufe dem heimischen Markt zuzuschreiben. Die französischen Unternehmen sind also nicht auf den französischen Markt angewiesen. Und das ist eine gute Nachricht. Wir bevorzugen daher Unternehmen, die sogar noch weniger vom französischen Markt abhängig sind. Wenn wir unsere Portfolios betrachten, entfallen nur 5% des Umsatzes auf Frankreich. Dafür sind diese Unternehmen in den USA sehr stark engagiert.
In den USA gibt es die Magnificent Seven, die lange die Aktienmärkte angeführt haben. In Europa gibt es eine Art Gegenstück dazu, die Granolas. Auch diese haben sich lange gut entwickelt, waren aber zuletzt, wie etwa Novo Nordisk, etwas unbeständiger. Auf welche europäischen Unternehmen setzen Sie momentan?
Es stimmt, dass einige europäische Größen wie Novo Nordisk zuletzt weniger gute Ergebnisse gebracht haben, als wir erwartet hatten. Der zugrunde liegende Markt ist aber immer noch einer, der boomt. Die Zahl der fettleibigen und zuckerkranken Patienten nimmt weltweit weiter zu. Und im Moment gibt es einen Mangel an Angebot. Also werden alle Lieferungen, die auf den Markt kommen, absorbiert. Novo Nordisk könnte daher auch weiterhin interessant sein. Zumal zu dem aktuellen Preis. Und wir haben in Europa noch einige weitere weltweit führende Unternehmen. Ich erwähnte ja schon Prysmian. Sie sind die Nummer 1 unter den Kabelunternehmen der Welt. Dann Publicis, die bis zu der Fusion von Omnicom und IPG die Nummer 1 der Werbeagenturen weltweit waren.
Haben Sie noch weitere Namen?
EssilorLuxottica. Auch wenn Luxus im vorigen Jahr zurückging, weil der Covid-Boom nachgelassen hat, ist das Wachstum der wohlhabenden Menschen auf der Welt ja immer noch da. Auch wenn es kurzfristig noch Sorgen gibt, mittelfristig ist das Unternehmen immer noch gut aufgestellt. Wir sollten wirklich selektiv auf den Markt schauen. Wenn wir unsere Portfolios betrachten, ist die Idee nicht, eine Benchmark zu replizieren, sondern in die unserer Meinung nach besten Unternehmen zu investieren. Und man kann in jeder Branche einige Namen finden, die global aufgestellt sind und eine interessante Positionierung haben. Die einzige Branche, die vielleicht mit kurzfristigen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, ist der Automobilsektor, der vor einem strukturellen Wandel steht, der nicht einfach ist. Vielleicht ist das wirklich der schwierigste und herausforderndste Sektor, zumal einer, der für Deutschland sehr wichtig ist.
Luxus-Titel litten zuletzt insbesondere auch unter einer China-Schwäche. Was erwarten Sie, wie es dort weitergeht?
Wir hatten im vorigen Jahr eine Art Normalisierung nach der Covid-Periode, und wir rechnen nun mit einer gewissen Erholung, aber nicht mit einem Boom. Wenn wir uns die langfristigen Trends für Luxusgüter ansehen, dann sind wir auf dem richtigen Weg. Es ist vielleicht noch zu früh, um kurzfristig da reinzugehen, weil es noch einige Unsicherheiten gibt. In diesem Sektor könnte man mittel- bis langfristig investieren.
Ein Sektor, der zuletzt rund lief und der das BIP von südlichen EU-Ländern wie Spanien und Portugal nach oben gezogen hat, ist der Tourismus. Auch ein kleines Land wie Kroatien verzeichnet ein erhebliches Wachstum. Wie schätzen Sie das Potenzial dieses Sektors ein?
Es gibt nicht so viele Möglichkeiten, hier zu investieren. Hotels sind schon ziemlich gut gelaufen, als ein Bestandteil, ein Hauptprodukt innerhalb dieses Sektors. Sie können auch Fluggesellschaften in Betracht ziehen, aber das ist eine Branche, die auf lange Sicht keinen Wert geschaffen hat. Daher ist das kein Sektor, den wir wirklich schätzen, mit niedrigen Eintrittsbarrieren. Interessant finde ich ein Unternehmen wie Amadeus, das die Betriebssoftware für Hotels, Fluggesellschaften und Flughäfen bereitstellt. Das ist bei weitem der Weltmarktführer und wird trotz dieser Führungsposition immer noch zu einer recht anständigen Bewertung gehandelt.
Was ist denn aktuell Ihr Lieblingssektor in Europa?
Wir mögen natürlich Technologie, weil das der Bereich ist, wo man Wachstum hat. Unternehmen wie SAP. Aber diese großen Namen sind inzwischen nicht mehr billig. Wir ziehen daher auch andere Sektoren in Betracht, die von der Bewertung her attraktiver sind. Zum Beispiel der Finanzsektor. Hier sollten wir eine gewisse Verbesserung bei den Provisionen sehen. Wir sind der Meinung, dass dieser Sektor einen näheren Blick verdient, weil er immer noch zu einer historisch niedrigen Bewertung gehandelt wird. Daneben ziehen wir auch defensivere Sektoren in Betracht, wie z.B. Basiskonsumgüter, die auch unter dem langjährigen Durchschnitt gehandelt werden. Namen wie Nestlé. Vielleicht auch ein Bierunternehmen wie Carlsberg oder Heineken.
Defensive Sektoren auch wegen Trump?
In diesem Stadium sind wir erst einmal konstruktiv gegenüber Trump. Wir schließen aber nicht aus, dass die Dinge irgendwann einmal entgleisen könnten. Und da ist eine defensive Komponente im Portfolio keine schlechte Idee. Und beide Sektoren, die Banken auf der einen Seite und die Konsumgüter auf der anderen, zahlen eine schöne Dividende.
Zur Person: Gilles Guibout verantwortet als Head of Equity Europe bei Axa Investment Managers seit 2006 europäische Aktienstrategien. Zuvor war er mehr als zehn Jahre lang für die Assetmanagement-Sparte der ehemaligen Sanpaolo IMI Bank in verschiedenen Funktionen im Portfoliomanagement mit Schwerpunkt auf europäische Aktien tätig.
Das Interview führte Tobias Möllers. In voller Länge lesen Sie das Interview auf www.boersen-zeitung.de.