Teuerung

Keine Entwarnung bei US-Inflation

Die Inflation könnte in den USA ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht haben. Allerdings gibt es gute Gründe, dass der Rückgang der Preise nur graduell ist, darunter der angespannte Arbeitsmarkt.

Keine Entwarnung bei US-Inflation

Die Inflation hat im Oktober in den USA weniger stark zugenommen als von Ökonomen erwartet. Gegenüber dem Vorjahr stieg der Verbraucherpreisindex um 7,7% anstatt der prognostizierten 7,9%. So klein die Differenz, so groß war die Wirkung auf die Märkte. Preise zahlreicher Anlageklassen schossen nach oben. Globale Aktien kletterten, Renditen auf Festverzinsliche gaben nach und Währungen wie der Euro oder das Pfund, die im laufenden Jahr stark abgewertet hatten, erholten sich. Der Nasdaq, Amerikas Technologie-Benchmark, kletterte am 10. und 11. November um gut 9% und verzeichnete damit die stärkste zweitägige Rally seit der Finanzkrise.

Der moderatere Preisanstieg stützt die Hoffnung der Investoren, dass die Inflation in den USA ihren Höhepunkt erreicht hat. Dies würde der Federal Reserve mehr Spielraum bei den Zinserhöhungen geben. Die amerikanischen Währungshüter müssten nicht mehr so stark auf die Bremse treten, wie bisher erwartet. Die Wahrscheinlichkeit einer heftigen Rezession in Amerika würde sich dementsprechend verringern.

Es gibt tatsächlich einige Gründe, die für einen weiteren Rückgang der Inflationsraten sprechen. So haben sich einige Komponenten der Kern­inflation – ohne Lebensmittel und Energie – im Oktober gegenüber dem Vormonat ermäßigt. Zum Teil ist der Rückgang auf Basiseffekte aus der Zeit der Pandemie zurückzuführen, wie bei den Preisen für Gebrauchtwagen. Allerdings war der Preisrückgang breit gefächert: Haushaltwaren, Kleidung und einige Dienstleistungen wurden wieder billiger. Zudem ist das Wachstum der Mietpreise, die ein gutes Viertel des amerikanischen Inflationswarenkorbs ausmachen, zumindest rückläufig.

Steigende Lagerbestände im Einzelhandel deuten zusätzlich auf eine schwächere Verbrauchernachfrage hin. Auch auf globaler Ebene gibt es Entspannungssignale. Seit Beginn des Jahres ist eine kontinuierliche Normalisierung der Lieferketten zu beobachten. Verantwortlich dafür sind in erster Linie ein Rückgang der Importnachfrage, sowie gesunkene Transportkosten. Der Nettoeffekt scheint der lang erwartete Rückgang der Warenpreise zu sein.

Graduelle Entspannung

Trotzdem kann im gegenwärtigen Wirtschaftsumfeld nur von einer graduellen Entspannung bei der Inflation die Rede sein. Erstens ist der Realzins, also der Nominalzins abzüglich Preissteigerungsrate, nach wie vor negativ. Er liegt momentan bei −3,1%, deutlich unter dem Mittel der vergangenen zehn Jahre von −1,5% Prozent. Damit ist die Geldpolitik der Fed trotz der bisherigen Zinserhöhungen nicht wirklich restriktiv. Die Aufnahme neuer Schulden ist weiterhin attraktiv.

Die Erfahrungen der 1980er Jahre haben aber gezeigt, dass die Fed einen signifikant positiven Realzins schaffen müsste, um einen inflationssenkenden Effekt zu erreichen. Der damalige Notenbankpräsident Paul Volcker bekämpfte die Geldentwertung mit zweistelligen Leitzinsen. Das führte zwar zu einem vorübergehenden Einbruch der Konjunktur, die Wirtschaft stand danach aber auf gesünderen Füßen. Aufgrund der massiven Ausweitung der Verschuldung – damals lag die Staatsschuldenquote bei 40 %, heute liegt sie bei 120 % – ist ein Anstieg in diesem Umfang heutzutage nur schwer vorstellbar, da sie die Tragfähigkeit der Schulden massiv gefährden würde.

Zweitens ist die Geldmenge in den vergangenen zweieinhalb Jahren aufgrund der expansiven US-Geldpolitik stark gestiegen. Die zusätzliche Liquidität ist über die umfangreichen Rettungsmaßnahmen der US-Regierung während der Pandemie auf den Konten der privaten Haushalte und Unternehmen angekommen. Damit hat sich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhöht. Entsprechende Gegenmaßnahmen seitens der Fed wurden im Mai zwar eingeleitet, als sie verkündete, ihre Bilanz verkürzen zu wollen. Bis diese Bilanzverkürzung jedoch umgesetzt ist und ihre volle Wirkung entfaltet, dürfte noch einige Zeit vergehen.

Drittens ist der Arbeitsmarkt in den USA trotz schwächerer Konjunktur überhitzt. So lag die Arbeitslosenquote in den USA im Oktober bei 3,7% und damit nahe der Vollbeschäftigung. Zusätzlich hat sich die Anzahl der Arbeitssuchenden in den USA verringert, so dass derzeit auf einen Arbeitssuchenden zwei offene Stellen kommen. Die Nachfrage nach Personal übersteigt das derzeitige Angebot deutlich. In einem derartigen Arbeitsmarktumfeld steigt der Druck auf die Unternehmen, den steigenden Lohnforderungen der Arbeitnehmer nachzukommen. Die höhere Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer birgt die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale, in der sich Löhne und Güterpreise gegenseitig gefährlich hochschaukeln.

Hinzu kommt eine Reduktion der Gewinnmargen von US-Unternehmen in den ersten beiden Quartalen im Vergleich zum Vorjahr. Es ist anzunehmen, dass zumindest Unternehmen mit Preissetzungsmacht ihre Margen wiederherstellen oder sogar ausweiten, um Kostensteigerungen auf die Abnehmer abzuwälzen.

Die Geldentwertung könnte in den USA ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht haben. Allerdings gibt es gute Gründe dafür, dass der Preisrückgang nur graduell ist. Die Fed ist mit den Zinsanhebungen noch „hinter der Kurve“, die Liquidität ist hoch und die Situation am Arbeitsmarkt bleibt angespannt. Hinzu kommen Risiken wie der China-Taiwan-Konflikt, die chinesische Null-Covid-Strategie und der Krieg in der Ukraine. In diesem Umfeld ist es anspruchsvoll, Inflationsraten von unter 4% zu erreichen.

Value- und Rohstoffaktien

Investitionen in Value-Aktien und in den Rohstoffsektor können einen Schutz vor Inflation bieten, da Preissteigerungen in diesen Bereichen einfacher auf die Verbraucher umgelegt werden können. Außerdem wichtig für Anleger: keine strategischen Scheuklappen, sondern Flexibilität bei der Auswahl geeigneter globaler Investmentthemen.

Zuletzt erschienen:

Währungshedging als wichtiges Mittel zur Reduzierung der Portfolio-Volatilität (251), Columbia Threadneedle

Hochzinsanleihen – im El Dorado für aktive Manager ist vieles eingepreist (250), DWS