Geld oder BriefAktie des Elektrokonzerns boomt

KI-Stromnetzboom treibt Hitachi an

Das Geschäft mit Stromnetzen hat sich zum zentralen Wachstumstreiber von Hitachi entwickelt. Spartenchef Andreas Schierenbeck spricht von einen "Superzyklus".

KI-Stromnetzboom treibt Hitachi an

KI-Stromnetzboom treibt Hitachi an

Geld oder Brief

Von Martin Fritz, Tokio

Das bekannte Sprichwort, das Glück sei mit den Tüchtigen, trifft auch auf Hitachi zu. Der japanische Konzern übernahm die Stromsparte von ABB vor vier Jahren in zwei Schritten für insgesamt 10,8 Mrd. Dollar, um sich auf die Integration von Strom aus erneuerbaren Quellen und die Digitalisierung im Energiesektor zu konzentrieren. Die Kombination von ABBs Technologien mit Hitachis digitaler Lumada-Plattform sollte neue Marktchancen eröffnen, insbesondere im Bereich der dezentralen Energieversorgung und der nachhaltigen Energielösungen.

Boomende KI-Rechenzentren

Tatsächlich ist dieses Stromnetzgeschäft, das seit 2021 als „Hitachi Energy“ firmiert, inzwischen der größte Gewinntreiber des Konzerns geworden. Aber nicht nur, weil das ursprüngliche Kalkül aufgegangen ist – die zunehmende Erzeugung erneuerbarer Energien sorgt wie erhofft für Rückenwind. Nicht auf dem Zettel hatte Hitachi dagegen den Boom der generativen Künstlichen Intelligenz. Der Bau der notwendigen Datenzentren erhöhte die Nachfrage nach Stromnetzausrüstung dramatisch und bescherte Hitachi einen starken Wachstumsmotor.

Der weltweite Strombedarf für KI-Rechenzentren wird laut der Internationalen Energieagentur gegenüber 2022 bis 2026 um das 2,3-fache auf 1.050 Terawattstunden steigen. Zudem erfordern das Wachstum in Schwellenländern und der Ausbau erneuerbarer Energien den Bau von 80 Millionen Kilometern Verteilernetz. Vor diesem Hintergrund erwartet Hitachi Energy im Vergleich zum laufenden Geschäftsjahr eine Verdopplung ihres Umsatzes bis 2030 auf 30 Mrd. Dollar. Bereits jetzt generiert die Sparte 23% der Konzerneinnahmen und leistet damit den größten Beitrag von allen Sparten.

Seltener „Superzyklus“

Im ersten Geschäftshalbjahr zwischen April und September steigerte Hitachi Energy ihren bereinigten Ebitda-Gewinn um rund 90% zum Vorjahr auf 121,9 Mrd. Yen (760 Mill. Euro). Im zweiten Quartal zwischen Juli und September trug diese Sparte 56,7 Mrd. Yen (354 Mill. Euro) zu diesem Gewinnposten bei. Das machte 22% des bereinigten Ebitda-Ertrags aus. Dabei erreichten diese Geschäfte eine operative Marge von 10,1%.

Andreas Schierenbeck, der deutsche CEO von Hitachi Energy mit Hauptsitz in Zürich, beschrieb den aktuellen Anstieg der Nachfrage nach Stromverteilung und Umspannwerken als „Superzyklus, der 10 bis 20 Jahre andauern wird“. Allein im ersten Halbjahr erhielt Hitachi Energy neue Aufträge für 2 Bill. Yen (12,5 Mrd. Euro). „Die Erhöhung der Kapazität ist nicht einfach und wird wahrscheinlich nicht schnell genug gehen“, sagte Schierenbeck der Financial Times. Die Projekte von Stromversorgern würden sich verzögern und die bestehende Infrastruktur müsste länger in Betrieb bleiben. “Alle sind von der Nachfrage überfordert“, sagte der frühere CEO von Uniper. Das gelte insbesondere für Transformatoren.

Kursverdopplung in 2024

Die Aktie von Hitachi gehört wegen der erfolgreichen Strukturreform schon länger zu den Top-Performern in Japan, da man sich auf Stromnetze, Eisenbahnen und digitale Dienste fokussierte und andere Geschäftszweige konsequent verkaufte. Doch aufgrund des erwarteten Wachstums besonders im Stromnetzbereich hat sich der Aktienkurs von Hitachi in den letzten zwölf Monaten noch einmal verdoppelt. Mit aktuell 18,6 Bill. Yen (116 Mrd. Euro) liegt der Konzern in der Rangfolge der Marktkapitalisierung in Japan hinter Toyota (42,8 Bill. Yen), MUFG (22,2 Bill. Yen) und Sony (20,7 Bill. Yen) an vierter Stelle. Allerdings kletterte dabei das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf knapp 28. Auch das Kurs-Buch-Verhältnis von 3,4 und das Kurs-Umsatz-Verhältnis von 2 sind für eine japanische Aktie relativ hoch, während die Eigenkapitalrendite von 5,5% unterdurchschnittlich ist, ebenso wie die Dividendenrendite von 1%.

Siemens als Maßstab

Das ficht Hitachi aber nicht an. Laut Präsident Keiji Kojima hat sich der Konzern zu einem Investitionsgüter- und Technologieunternehmen entwickelt und orientiert sich beim Börsenwert an Siemens und Schneider Electric. Das Ziel sei es, „durch die Stärkung der Digitalplattform Lumada ein vergleichbares Kurs-Gewinn-Verhältnis wie digitale Unternehmen zu erreichen“, erklärte Kojima.

Viele Analysten bleiben optimistisch gestimmt. Stefan Rheinwald, Leiter Aktienanalyse bei Waverton Investment, prognostizierte ein wachsendes Gewinnpotenzial in den Bereichen Stromverteilung, Schienenverkehr und digitale Technologien. Der Vermögensverwalter Comgest erhöhte seine Hitachi-Beteiligung als eine „geografische Differenzierung“ zum Kauf von US-Technologieaktien, so Portfoliomanager Richard Kaye. „Die Aktie ist immer noch unterbewertet, da die Anleger ihr volles Wachstumspotenzial nicht vollständig einkalkulieren“, zitierte die Finanzzeitung Nikkei den Analysten.

Wenig konjunkturanfällig

Die Bilanz von Hitachi profitierte auch vom schwachen Yen, da der Konzern zuletzt 62% seiner Einnahmen im Ausland erzielte: Sowohl das Stromnetzgeschäft als auch die Sparte für Schienenverkehr haben ihren Schwerpunkt in Europa. Andererseits: „Die Systementwicklung ist größtenteils in Japan angesiedelt und daher stabil", betonte Tomonobu Sekiguchi vom japanischen Vermögensverwalter Asset Management One. Zugleich seien die Strominfrastruktur-Projekte im Ausland weniger anfällig für kurzfristige makroökonomische Faktoren.

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