Rasante Rekordfahrt am Kryptomarkt
Es ist eine atemberaubende Rekordfahrt, auf der sich der Kryptomarkt nun schon seit Monaten befindet. Bitcoin, die nach Marktkapitalisierung mit Abstand schwerste Cyberdevise, hat seit dem Corona-Markteinbruch im März 2020 bis Mitte Februar 945% an Wert gewonnen und ist zuletzt erstmals über die Marke von 50000 Dollar geklettert – dabei schien selbst der Ende 2017 aufgestellte Rekordstand von knapp 20 000 Dollar im vergangenen Frühjahr noch außerhalb jeder Reichweite zu liegen. Bei der Nummer 2 des Segments, Ethereum, beläuft sich der Kursgewinn im gleichen Zeitraum sogar auf 1365%.
Zunehmend rücken die Digitalwährungen ins öffentliche Interesse und rufen teils heftige Diskussionen hervor. Für eingefleischte Fürsprecher sind Bitcoin & Co. die Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel der Zukunft, die ihnen zugrundeliegende Technologie die Infrastruktur der Wirtschaft von morgen. Skeptiker wollen am Kryptomarkt hingegen eine Blase erkannt haben, die sich überraschend weit ausdehnt, aber schlussendlich mit einem umso lauteren Knall platzen muss – und die vor allem unerfahrenen Privatanlegern, die sich vom Hype anstecken lassen, herbe Verluste einbringen wird. Die deutsche Finanzaufsicht BaFin etwa warnte Verbraucher Mitte Januar erneut davor, sich von Preisanstiegen blenden zu lassen. Auch derivative Produkte wie Differenzkontrakte (CFDs) und Zertifikate auf Kryptowährungen stellten ein riskantes Investment dar.
Kurstreiber sind intakt
Bei aller Skepsis: Das Makroumfeld für die Cyberdevisen erscheint derzeit durchaus günstig. „Alle Faktoren, die Kursgewinne der Kryptowährungen in den vergangenen Monaten begünstigt haben, sind nach wie vor intakt“, sagt Hendrik Leber, geschäftsführender Gesellschafter der Frankfurter Fondsgesellschaft Acatis. So sei im laufenden Jahr mit einer deutlichen Beschleunigung der Inflation zu rechnen – die Sorge vor einer solchen hatte den Notenbank-unabhängigen Kryptowährungen infolge der expansiven Geldpolitik und der massiven Ausweitung der Staatsschulden in Reaktion auf die Coronakrise zuletzt Zulauf beschert. Laut Leber wird die aufgestaute Nachfrage der Konsumenten nach eventuellen Lockerungen der Corona-Gegenmaßnahmen auf ein verknapptes Angebot stoßen, was zu steigenden Verbraucherpreisen führen werde.
„Neben der Angst vor einer zunehmenden Fragilität des Finanzsystems spricht auch die weltweit hohe politische Unsicherheit infolge der Coronakrise für Kryptowährungen. Im Anschluss an Ereignisse, die Angst auslösen, ist der Bitcoin-Kurs in der Vergangenheit kräftig angestiegen“, sagt Leber, der mit seinem Fonds Acatis Datini Valueflex bereits seit Oktober 2016 in Bitcoin-Zertifikate investiert. Als dritten Faktor, der Kursanstiege der Cyberdevisen wesentlich begünstigt, erachtet der Fondsprofi das wachsende Engagement institutioneller Investoren.
Tatsächlich ist die Liste der großen Vermögensverwalter, Banken und Unternehmen, die in Cyberdevisen investieren, in den vergangenen Monaten deutlich länger geworden. Im laufenden Jahr befeuerte eine Meldung von Tesla den Kurs der größten Kryptowährung: Der E-Autobauer hatte offengelegt, 1,5 Mrd. Dollar in Bitcoin investiert zu haben. Zudem will der von Multimilliardär Elon Musk geführte Konzern künftig Zahlungen in Bitcoin akzeptieren. Auch machten zuletzt Berichte die Runde, laut denen eine Einheit der Investmentbank Morgan Stanley eine großvolumige Investition in Kryptowährungen plant. Und während sich Vermögensverwalter wie Fidelity International bereits seit Jahren mit Kryptowährungen beschäftigen, war die Öffnung großer Zahlungsdienstleister für Cyberdevisen aus Sicht anderer Anbieter aus der Assetmanagement-Branche ein wichtiges Signal zum Einstieg. Im vergangenen Jahr hatte Paypal mit seiner Ankündigung, Kunden den Handel mit digitalen Devisen ermöglichen zu wollen, die Rally erst richtig ins Rollen gebracht, 2021 zog Mastercard nun nach.
Aktivität der Banken angefacht
Hinzu kommt, dass der US-Regulator OCC den Banken Anfang Januar erlaubt hat, Kryptowährungen zu verwahren und sogenannte Stablecoins – also an Basiswerte wie den Dollar gekoppelte Cyberdevisen – als Zahlungsmittel durchzuleiten. Dies facht die Aktivität an. Mit Bank of New York Mellon will nun der größte Wertpapierverwahrer der Welt bis Ende des Jahres eine Infrastruktur für digitale Assets und Cyberdevisen fertigstellen. In Europa trifft die Deutsche Bank Vorbereitungen, eine Plattform für die Verwahrung digitaler Assets für institutionelle Kunden aufzubauen.
„Das institutionelle Engagement wächst zurzeit rasant und ist häufig längerfristig angelegt“, sagt Salah-Eddine Bouhmidi, Head of Markets beim Online-Broker IG. Die Kursrally bei Bitcoin sei mit einem starken Anstieg der sogenannten Cold Storages einhergegangen. Das bedeute, dass viele neu erworbene Bitcoin-Einheiten direkt von den Kryptobörsen abgezogen und offline gespeichert worden seien. Diese könnten in der Folge weniger schnell zu Geld gemacht werden, als wenn sie noch auf den entsprechenden Handelsplattformen gehalten würden.
Laut Acatis-Chef Leber lässt die verstärkte institutionelle Präsenz auf stabilere Kursentwicklungen hoffen. Vorerst dürfte die hohe Volatilität, die das Segment bislang prägt, aber erhalten bleiben. „Der Markt ist bei weitem noch nicht erwachsen, sondern nach wie vor sehr illiquide und durch wenige Spieler besetzt. Diese können durch einzelne große Transaktionen für heftige Kursverwerfungen sorgen“, führt der Fondsprofi aus. Bis eine ausreichende Markttiefe erreicht sei, um die Schwankungsbreite zu dämpfen, würden wohl Jahre vergehen.
Kursrücksetzer, die in anderen Assetklassen als Einbruch gewertet würden, gelten bei Kryptowährungen häufig als gesunde Abkühlung. Nach Bouhmidis Einschätzung sind starke Korrekturen angesichts der hohen Volatilität weiterhin zu erwarten, wobei der Aufwärtstrend intakt bleiben werde. „Insbesondere andere Kandidaten wie Ethereum haben hier noch erhebliches Aufholpotenzial im Vergleich zu Bitcoin“, sagt der IG-Analysechef. Während Bitcoin im laufenden Jahr noch die Marke von 60 000 Dollar angreifen könne, seien bei Ethereum nach dem Überschreiten der 2 000-Dollar-Grenze 2 800 Dollar das nächste Etappenziel.
Skeptiker verweisen indes darauf, dass vergangene Aufschwünge am Kryptomarkt von herben Rückschlägen oder langen Seitwärtsbewegungen abgelöst worden seien. Zudem reagiere die breite Masse der Privatanleger zu spät auf eine Rally am Kryptomarkt. Vor dem Bitcoin-Halving im Mai 2020, im Zuge dessen die Menge neu generierter Bitcoin effektiv halbiert wurde, war der Hype beispielsweise groß. Die Anleger nahmen die Angebotsverknappung vorweg, am Tag des Halvings selbst passierte wenig – kurzfristige Ernüchterung war die Folge.
„Bis jetzt entwickelt sich das Kundenverhalten in diesem Segment wie in einem Lehrbuch der Behavioral Finance“, sagt Manuel Heyden, CEO des Neobrokers Nextmarkets, über dessen Plattform Differenzkontrakte auf Kryptowährungen handelbar sind. Anleger investierten bisher zyklisch – nach dem Corona-Crash an den Märkten sei die Long-Exposition gering ausgefallen. Das Interesse der Privatanleger sei erst im Verlauf der Kursexplosion im Schlussquartal 2020 gestiegen. „Wer bei Niveaus nahe der 40 000 Dollar eingestiegen ist, wurde im Januar zunächst kalt erwischt. Zwar gab es auch von großen Investmentbanken optimistische Kursprognosen für Bitcoin, beim zwischenzeitlichen heftigen Drawdown verabschiedeten sich Privatinvestoren aber aus Enttäuschung in großen Zahlen“, sagt Heyden.
Leber sieht bei der aktuellen Kursexplosion abgesehen vom institutionellen Interesse allerdings weitere Unterschiede zu vergangenen Aufschwüngen am Kryptomarkt – insbesondere zur zuvor größten Rally vom Jahresende 2017, in deren Verlauf der Bitcoin-Kurs erstmals die Marke von 20 000 Dollar überschritten hatte. „Die Aufbewahrungsfunktion, die Bitcoin abdeckt, trennt sich inzwischen mehr und mehr von der Transaktionsfunktion, für die Ethereum künftig wohl Mittel der Wahl sein wird“, sagt Leber. In der Folge werde sich die bislang starke positive Korrelation der Kurse einzelner Kryptowährungen zueinander über die kommenden fünf Jahre hinweg abschwächen. „Es stellt sich dabei auch die Frage, ob Bitcoin langfristig noch eine so hohe Sicherheit gewährleisten kann wie aktuell“, ergänzt der Fondsmanager. Einerseits bestehe die Gefahr, dass die komplexen kryptografischen Algorithmen der Bitcoin-Blockchain durch die Entwicklung von Quantencomputern entschlüsselt werden könnten. Solche technologischen Fortschritte könnten den Wert der Cyberdevise als Aufbewahrungsmittel mindern oder komplexere Schutzmechanismen nötig machen.
Andererseits dürften die hohen Stromkosten, die für die Generierung neuer Bitcoin-Einheiten anfielen, langfristig politischen und gesellschaftlichen Druck nach sich ziehen. „Heute entspricht der weltweite Energiebedarf für das Bitcoin-Mining Studien zufolge dem Stromverbrauch von Neuseeland. Je höher aber der Kurs steigt, desto höher ist auch der Anreiz, mehr Strom in die Bitcoin-Produktion zu investieren – die Folge wird wohl ein harter Ressourcenkonflikt sein“, sagt Leber. So könne die gesamte Stromversorgung einer Stadt spürbar teurer werden, weil dort riesige Rechenkapazitäten für das Mining beansprucht würden. Allerdings seien Entstehungskosten für Edelmetalle wie Gold ebenfalls sehr hoch. Schließlich führe der Bergbau zu massiven Umweltbelastungen.
Auch hinsichtlich ihrer Eignung als Inflations-Hedge werden Bitcoin und Gold häuifg verglichen. Leber sieht in der komplexen Produktion und dem knappen Angebot Parallelen zwischen beiden Anlagen. „Allerdings ist die Kryptowährung vielseitiger einsetzbar und kann über ein digitales Wallet weitaus leichter geteilt sowie flexibel abgerufen werden“, kommentiert er.
Doch auch innerhalb der Kryptowelt suchen findige Investoren trotz der stark positiven Korrelation zwischen verschiedenen Kryptowährungen und der dominanten Rolle von Bitcoin beständig nach Möglichkeiten, mit denen sich die führende Cyberdevise noch schlagen lässt. Leber bevorzugt Bitcoin indes, weil die Menge der populärsten Digitalwährung auf insgesamt 21 Millionen Einheiten begrenzt ist – dieses Niveau wird voraussichtlich im Jahr 2140 erreicht werden. „Bei den meisten anderen Digitalwährungen gibt es kein fixes, unabänderliches Protokoll – die Mengen können also theoretisch stärker als absehbar hochgefahren werden, was für Investoren die Gefahr eines Wertverlustes birgt“, sagt Leber.
Bitcoin habe sich zudem seit der Entstehung im Jahr 2009 erstaunlich robust gegen zahlreiche Einflussfaktoren gezeigt – darunter auch die Abspaltung der kleineren Kryptowährung Bitcoin Cash im August 2017 und der Skandal um den Handelsplatz Mt. Gox. Bei Letzterem waren infolge eines vermeintlichen Hacks im Jahr 2014 über Nacht 85 0000 Bitcoin-Einheiten verschwunden. Japanische Ermittler – Mt. Gox war im Tokioter Stadtbezirk Shibuya ansässig – gingen allerdings schnell von einer internen Manipulation aus. Wegen Bilanzfälschung wurde CEO Mark Karpelès 2019 zu einer Bewährungsstrafe von 30 Monaten verurteilt, in weiteren Anklagepunkten wie Betrug und Unterschlagung wurde er indes freigesprochen.
Der Fall Mt. Gox ist nicht der letzte Skandal am Kryptomarkt geblieben. Immer wieder sehen sich Betreiber von Handelsplattformen mit Vorwürfen der Marktmanipulation konfrontiert. Hinzu kommen Fälle wie der von Ripple Labs: Kurz vor Weihnachten hat die SEC Anklage gegen den Emittenten der Kryptowährung XRP erhoben – die US-Börsenaufsicht wertet die Cyberdevise als nicht registriertes Wertpapier. Mehrere Handelsplätze haben XRP inzwischen den Rücken gekehrt, der Kurs brach zeitweise deutlich ein. „Vorwürfe und Anklagen richten sich meistens gegen Mittelsmänner und praktisch nie gegen die Konstruktion der Kryptowährungen an sich. Anleger sollten sich daher genau überlegen, wem sie im Kryptohandel Geld anvertrauen“, sagt Leber.
Absicherung für Institutionelle
Über indirekte Investitionen lässt sich das Risiko, dass der Anlagebetrag infolge krimineller Machenschaften weg ist, verringern. „Die Nachfrage nach strukturierten Produkten wird sich signifikant erhöhen“, sagt IG-Analyst Bouhmidi. Insbesondere institutionelle Anleger suchten bereits nach adäquaten Absicherungsinstrumenten. Mit der Einführung von Bitcoin-Futures Ende 2017 und der Einführung von Ethereum-Futures Anfang Februar 2021 an der US-Terminbörse CME seien dazu Möglichkeiten vorhanden.
Am Markt für Partizipationszertifikate gilt der Schweizer Vermögensverwalter Vontobel, der im Jahr 2017 als erster Emittent ein solches Produkt auf Bitcoin lancierte, als Pionier. In der Folge schob das Zürcher Haus Partizipationszertifikate auf Bitcoin Cash, XRP, Ethereum und Litecoin nach und legte ein Open-End-Produkt auf ein Kryptoportfolio aus verschiedenen Cyberdevisen auf. Auch andere Anbieter sind inzwischen im Bereich aktiv. Eine vom Investmentmanager Van Eck begebene Exchange Traded Note (ETN) hatte Anfang Februar nach weniger als drei Monaten ein verwaltetes Vermögen von 100 Mill. Dollar erreicht. Börsengehandelte Inhaberschuldverschreibungen gelten neben Differenzkontrakten und Zertifikaten als beliebter Weg, von den Kursentwicklungen der Cyberdevisen zu profitieren, ohne ein digitales Wallet verwalten oder an unregulierten Kryptobörsen handeln zu müssen.
Neben der Einfachheit bieten strukturierte Produkte auf Kryptowährungen laut Leber weitere Vorteile. So lasse sich die Gefahr, durch vergessene Zugangsdaten nicht mehr an sein Wallet zu kommen – angeblich sind drei bis vier Millionen der bisher geschürften Bitcoin-Einheiten aufgrund solcher Missgeschicke unwiederbringlich verloren – durch eine indirekte Anlage umgehen. „Der große Nachteil von Kryptoderivaten sind hingegen die Strukturkosten – bei 1 bis 2 % im Jahr können diese schon eine Menge ausmachen“, führt der Fondslenker aus. Zudem sei es „auch bei indirekten Investments äußerst wichtig, dass funktionierende Kontrollmechanismen vorliegen“, kommentiert Leber. So gelte es für Anleger zu überprüfen, bei welcher Bank das zugrundeliegende Asset verwahrt werde und unter welche Regulierung diese falle. Bisher gebe es einige Verwahrer in der Schweiz und in Liechtenstein, in Deutschland seien es aktuell zwei Bankhäuser. Eine stärkere Regulierung sei auch deshalb wünschenswert, weil sich in der Folge wohl mehr Banken in diesem Bereich engagieren würden und Kunden daher mehr vertrauenswürdige Möglichkeiten zur Anlage in Kryptowährungen erhielten.
Als wichtiger Faktor für eine breitere Akzeptanz von Cyberdevisen gilt die Einführung eines Krypto-ETF. Leber rechnet damit, dass ein solcher Exchange Traded Fund in den USA schneller eine Zulassung erhält als in Europa – der Zeitrahmen sei aber in beiden Fällen unmöglich abzuschätzen. „ETF-Zulassungsanträge wurden in den USA bereits mehrfach von der SEC abgelehnt“, gibt Bouhmidi zu bedenken. Allerdings scheine sich ein neuer Versuch anzubahnen, die Indexbetreiber Dow Jones und S&P planen für dieses Jahr einen breit gefassten Kryptowährungsindex. In Kanada ist man bereits weiter, dort hat die Marktaufsicht OSC zuletzt ihre Zustimmung für den weltweit ersten Bitcoin-ETF erteilt – und den Grundstein für eine Fortsetzung der atemberaubenden Rekordfahrt am Kryptomarkt gelegt.